Auftragsmord und Scheinhinrichtung:Prozess gegen Familienoberhaupt

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Prozess-Serie nach Auftragsmord und Scheinhinrichtung: Eine türkische Familie mit vielen Verlierern.

Von Alexander Krug

Am Anfang stand ein Mord. Er war sozusagen der Auftakt dieser Tragödie, in der Begriffe wie "Ehre" und "Tradition" eine zentrale Rolle spielten und die zwei Zweige einer türkischen Familie ins Verderben riss.

Tatort am Südbahnhof. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Der Schlussakt des Dramas spielte sich am Freitag im Amtsgericht ab. Unter massiven Sicherheitsvorkehrungen wurde dem Mann der Prozess gemacht, der als Familienoberhaupt im Hintergrund vermutlich alle Fäden zog.

Ibrahim Ö., 47 Jahre alt, ist gebürtiger Türke und lebt seit 20 Jahren in München. Sein geregeltes Leben geriet - wie das aller anderen Beteiligten - 1998 aus der Bahn.

Am 8. Februar jenes Jahres wurde in der Aschenbrennerstraße im Hasenbergl sein jüngster Bruder Mehmet Ö., 36, brutal ermordet. Die Täter, vermutlich zwei Auftragskiller aus der Türkei, sind bis heute nicht gefasst. Den Mord befohlen hatte Mehmets Ehefrau Sevil Ö. - aus Hass, Eifersucht und Habgier.

Im Februar 2000 wurde sie vom Münchner Schwurgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Für die beiden Kinder des Ehepaares war der Mord ein einschneidendes Erlebnis. Hakan und Tugba Ö. waren damals 15 und elf Jahre alt. Sie waren praktisch zu Vollwaisen geworden und standen vor dem Nichts. In dieser Situation fühlte sich ihr Onkel Ibrahim verpflichtet, ihnen zu helfen.

Obwohl selbst Vater von zwei Kindern nahm er Hakan und Tugba in seine Familie auf. Doch das Zusammenleben klappte nicht, Ibrahim Ö. wollte als Familienoberhaupt anerkannt werden, doch vor allem die junge Tugba fügte sich nicht seinen traditionellen Wertvorstellungen.

Als sie ohne seine Erlaubnis intime Beziehungen mit einem Freund aufnahm, war Ibrahim Ö. außer sich. Die "Ehre" stand auf dem Spiel, und daher drohte er bei einem Treffen, sie und ihren Freund umzubringen. Es mache ihm nichts aus, dafür zehn Jahre in Haft zu gehen, erklärte er.

Möglicherweise war der Angeklagte auch für die weitere Eskalation verantwortlich. Der von seinem Onkel stark beeinflusste Hakan Ö. nämlich wandte sich nun auch gegen seine Schwester.

Im Mai 2005 entführte er Ersan E., den Freund von Tugba, gemeinsam mit einigen Komplizen. Auf einem abgelegenen Parkplatz am Südbahnhof sollte die angeblich beschmutzte Familienehre wieder hergestellt werden. Ersan E. wurde eine Pistole in den Mund gedrückt - es blieb indes "nur" bei einer Scheinhinrichtung.

Hakan Ö. wurde dafür im September 2006 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Dass Onkel Ibrahim im Hintergrund alle Fäden zog, dafür gab es Hinweise, doch zu beweisen war es nicht. So blieb es letztlich bei einer Anklage wegen der Morddrohung.

Ibrahim Ö. fiel es am Freitag sichtlich schwer, den Vorwurf einzuräumen. Richter Dieter Madlindl zeigte dafür durchaus Verständnis, da man den "ganzen Hintergrund dieser Tragödie" sehen müsse. Denn auch Ibrahim Ö. ist im Grunde ein Verlierer dieser Geschichte.

Er hat sein ganzes Vermögen für Privatdetektive ausgegeben, die in der Türkei die Mörder seines Bruders aufspüren sollen. Und seine Familie ist inzwischen auch zerbrochen, seine Frau hat sich nach all den Wirren scheiden lassen.

Er müsse die Geschichte "nun endlich beenden", forderte ihn Richter Madlindl auf. Sonst müsse er Tugba und Ersan als Zeugen vorladen, und der ewige Kreislauf von gegenseitigen Verletzungen und Vorwürfen würde von neuem beginnen. Die beiden sind derzeit in einem Zeugenschutzprogramm, ihr Aufenthalt ist nur dem Gericht bekannt.

Ibrahim Ö. zögerte, ließ dann aber über seine Anwältin den Vorwurf einräumen. Das Gericht kam ihm dafür entgegen: Statt der im Strafbefehl beantragten 3000 Euro muss er nun 450 Euro bezahlen.

Geld hat Ibrahim Ö. ohnehin keines mehr. Er lebt von 290 Euro Arbeitslosengeld. Seit dem Mord an seinem Bruder ist er auch beruflich nicht mehr auf die Beine gekommen.

© SZ vom 14.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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