Aufregung über Neubau:Bis hierhin und nicht weiter

Lesezeit: 4 min

In Harlaching soll nach dem Abriss einer Villa ein 40 Meter langes und 13 Meter hohes Gebäude entstehen. Nachbarn sind empört, die Stadt will den Bau verhindern. Allein der Investor kann die Aufregung nicht verstehen.

Von Kassian Stroh

Das Grauen überkam die Nachbarn per Post: Als sie im Februar in ihren Briefkästen die Baupläne fanden. Ein 40 Meter langes Gebäude, knapp 13 Meter hoch, sechs riesige Wohnungen und oben drauf ein 200-Quadratmeter-Penthouse - das soll auf dem Nachbargrundstück entstehen. Dort, wo jetzt noch, hinter hohen Bäumen verborgen, eine luxuriöse Villa steht, am Schmorellplatz in Harlaching, einem der feinsten Wohngebiete der Stadt.

Wenn diese Pläne Wirklichkeit würden, klagt Roman Telega, der gleich nebenan eine Eigentumswohnung besitzt, käme gar kein Sonnenlicht mehr auf seine Terrasse - "wie in einem Bärengraben". Ein paar Meter weiter steht Jan Lehmann in seinem Garten am Koikarpfen-Teich, blickt über den grünen Zaun hinüber auf die dem Abriss geweihte Villa und sagt: "Das ist, wie wenn man in einem Straßen-Café sitzt und nebenan legt ein Kreuzfahrtschiff an." Seine Nachbarin Karin Plodeck schimpft: "Wenn die das bauen, ist die Idylle hier vorbei."

Sie haben Gehör gefunden bei der Stadt. Ende vergangener Woche ließ das Planungsreferat wissen, dass man die Voranfrage für dieses Bauvorhaben ablehnen werde. "Das ist zu massiv, das Maß der baulichen Nutzung zu hoch", sagt Referatssprecherin Karla Schilde. Doch ob die Stadt damit auch vor Gericht durchkommt, sollte ihr Bescheid angefochten werden, ist fraglich; das Risiko geht sie ein. "Es ist unsere Aufgabe zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter", sagt Schilde.

Denn der Fall Schmorellplatz, der seit Wochen die Gemüter in Harlaching erhitzt, ist ein besonderer. Weniger noch wegen der Geschichte der Luxusvilla, die dem Appartementblock weichen soll. Die ist alles andere als abbruchreif und gerade mal 20 Jahre alt. Die Allianz baute sie für einen ehemaligen hochrangigen Manager: zwei Stockwerke, 420 Quadratmeter Nutzfläche, Schwimmbad natürlich auch.

Luiz Gustavo wohnte zuvor in der Villa

Der Manager lebte darin bis vor einigen Jahren, so erzählen es die Nachbarn. Dann zog Luiz Gustavo ein, brasilianischer Fußball-Nationalspieler und bis vor einem Jahr in Diensten des FC Bayern. Im Jahr 2012 kaufte der auch in Gesellschaftskreisen bekannte Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Stefan Leberfinger die Villa - er will das 2000 Quadratmeter große Areal nun neu bebauen.

Das Besondere an diesem Fall ist vor allem, dass sich in ihm bündelt, was viele Bewohner der sogenannten Gartenstädte umtreibt, jene Münchner Viertel, in denen oft Einfamilienhäuser auf riesigen Grundstücken stehen, die irgendwann von einem Investor gekauft und mit großen, teuren Appartementblocks bebaut werden. "Nachverdichtung" heißt das in der Sprache der Stadtplaner.

Am Schmorellplatz nahe dem Gutshof Menterschwaige argumentieren die Anwohner in den Schriftsätzen, die sie oder ihre Anwälte der Stadt zukommen ließen, zwar mit Bebauungsdichten, mit Stellplätzen, Abstandsflächen oder schützenswerten Bäumen. Doch es geht ihnen auch ums Grundsätzliche.

Sie haben Unterschriften gesammelt, 600 angeblich; in dem Aufruf heißt es: "Wir beklagen die ,Entgrünung' Harlachings zugunsten einer maximalen Verwertung der Grundstücke." Auch im Kommunalwahlkampf spielte das Thema eine große Rolle. Stadtbaurätin Elisabeth Merk bekundete bereits vor zwei Jahren, die Nachverdichtung der Gartenstädte sei an eine Grenze gelangt. Doch vielleicht hat die Stadt in der Menterschwaige da sogar ein Eigentor geschossen.

Wie hoch und groß gebaut werden darf, richtet sich dort - wie überall, wo es keinen Bebauungsplan gibt - nach den Häusern in der Umgebung. Und direkt neben dem Grundstück am Schmorellplatz, an der Harthauser Straße 87, genehmigte die Stadt vor vier Jahren einen Neubau, der viele Harlachinger erzürnte und die Gründung einer schlagkräftigen Bürgerinitiative nach sich zog. Dort wurden erstmals in der Gegend vier Stockwerke genehmigt - und genau darauf bezieht sich Leberfinger nun in seinem Antrag.

"Mich wundert, dass da ein Haus entstanden ist, das gar nicht hätte genehmigt werden dürfen, und dass das jetzt als Bezugspunkt genommen wird", sagt Nachbar Lehmann, der sein eigenes Heim vor Kurzem um einen Anbau erweiterte, aber lediglich ein Erdgeschoss genehmigt bekam. Was die Harlachinger vor vier Jahren befürchteten, scheint sich nun zu bewahrheiten: Dass ein einzelnes großes Haus viele weitere nach sich zieht. Sie nennen es "Erbsünde".

Sobald die Ablehnung vorliegt, werde man prüfen, ob man dagegen klage, sagt Leberfingers Anwalt. Er sieht sich im Recht: Alle Vorgaben, insbesondere was die Abstände zu den Nachbargebäuden betreffe, würden eingehalten, der Neubau sei gerade mal 30 Zentimeter höher als besagtes Haus in der Harthauser Straße. "Die Nachverdichtung kommt, überall, das ist klar", sagt er, "aber wir sind nicht die Vorreiter."

Man dürfe zudem nicht vergessen, dass hier in einer von Wohnungsnot geplagten Stadt sieben Wohneinheiten entstünden statt nur einer. Und man könne ja auch nicht von seinem Mandanten verlangen, auf sein Baurecht zu verzichten. In der Tat: Bei der Frage, was sich in die Umgebungsbebauung einfügt, haben die Gerichte oft mehr genehmigt, als den Anwohnern und auch der Stadt lieb gewesen wäre.

Rathauskoalition schließt Bebauungsplan aus

Um Richtern und Bauherren nicht weiter "ausgeliefert" zu sein, wie es Schilde formuliert, will ihre Chefin, Stadtbaurätin Elisabeth Merk, nun einen Vorstoß unternehmen, um vielleicht doch noch die Entwicklung in den Gartenstädten steuern zu können. Noch im Juli soll ihr der Stadtrat einen Versuch genehmigen: In zwei oder drei Gartenstadtgebieten will das Planungsreferat testweise ermitteln, wie viel dort nach der Gesetzeslage gebaut werden dürfte, schöpften die Grundbesitzer ihr Recht voll aus.

Darauf aufbauend will Merk prüfen, welche Instrumente es gibt, "um den Charakter der Gartenstädte stärker zu schützen" - und welche man gegebenenfalls in München neu erfinden könnte. Denn bislang gibt es nur die Möglichkeit, einen Bebauungsplan aufzustellen. Wenn der aber Baurecht beschneidet, muss die Stadt die betroffenen Eigentümer entschädigen.

Das wäre immens teuer - und CSU und SPD haben es in ihrer Koalitionsvereinbarung explizit ausgeschlossen. Dort heißt es ansonsten vage, für die Gartenstädte wolle man "ermessensregelnde Richtlinien" finden. "Bestehende Instrumente werden geprüft und fortentwickelt."

Merk scheint um die politische Brisanz nicht nur des Gesamtthemas zu wissen: An der entscheidenden Runde in ihrem Haus in Sachen Schmorellplatz am vergangenen Donnerstag nahm sie gar persönlich teil. Ein ungewöhnliches Vorgehen, ginge es denn nur um eine gewöhnliche Bauvoranfrage.

© SZ vom 16.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: