Aids-Kranke dreht durch:"Ich steck' euch alle an"

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Eine 24-jährige drogensüchtige Aidskranke hat in einem Lokal in der Müllerstraße drei Frauen gebissen. Der Richter ließ Milde walten.

Alexander Krug

Bianca R. hat Aids. Als sie es Anfang dieses Jahres erfuhr, brach für sie eine Welt zusammen. Monatelang verkroch sie sich in ihrer Wohnung, dann raffte sie sich auf, um mit ihrer Freundin auszugehen. Der Abend endete in einem Drama: Volltrunken rastete die 24-Jährige aus und biss drei Begleiterinnen in Arme und Beine. "Ich steck' euch alle an", brüllte sie dabei.

Nun sitzt Bianca R. auf der Anklagebank im Amtsgericht und ist am Boden zerstört. "Mir tut das alles so leid", sagt sie, und: "Ich bin so froh, dass sich niemand angesteckt hat."

Gefährliche Körperverletzung nennt die Staatsanwältin die Tat, die den (negativen) Höhepunkt einer tragischen Lebensgeschichte bildet. Als Kind wurde Bianca R. jahrelang von einem Verwandten sexuell missbraucht. Weil sie damit "nicht fertig" wurde, griff sie schon mit 14 Jahren erstmals zu Drogen. Die Sucht ließ sie nicht mehr los und führte schließlich auch zur Ansteckung mit Hepatitis und dem HI-Virus.

Am 7. Juni dieses Jahres traf sie sich mit ihrer Freundin Tamara M. und drei weiteren Bekannten in einem Lokal in der Müllerstraße. Der Alkohol floss in Strömen (die Angeklagte hatte 2,66 Promille), und irgendwann kam es zu einem Wortgefecht. "Sie bekam ihren Moralischen, weinte und flippte dann regelrecht aus", sagt die als Zeugin geladene Manuela S.

Den Mund voller Blut

Als sie zu dritt die "am Boden zappelnde" Bianca R. beruhigen wollten, biss die plötzlich um sich und brüllte: "Ich bring' euch alle um, ich steck' euch an, ihr seid alle Schlampen." Dass sich keine der drei jungen Frauen infizierte, grenzt an ein Wunder. Denn nach Zeugenaussagen biss Bianca R. so kräftig zu, dass sie eine Zahnkrone verlor und ihr Mund "voller Blut" war.

Der Angeklagten ist ihr Ausraster heute nur noch peinlich. "Ich bin selber erschrocken über das, was ich getan habe", sagt sie. Eine konkrete Erinnerung an das Geschehen habe sie nicht. Sie könne sich nur noch erinnern, im Krankenhaus auf einer Trage fixiert aufgewacht zu sein. Ein Pfleger habe gerufen, man solle sie bloß nicht losschnallen.

Ihre drei Opfer sind offensichtlich sehr großherzig. Eine junge Frau erschien erst gar nicht als Zeugin, die anderen beiden zeigten sich voller Mitgefühl. "Sie tut mir sehr leid heute, sie ist doch krank", sagt Manuela S. Ihre Freundin Anita W. pflichtet ihr bei. "Ich habe keine Anzeige gemacht. Es war doch zu sehen, dass sie nicht klar im Kopf war."

Das Gericht hat einen Psychiater geladen, der eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anregt. Doch Bianca R. möchte lieber "freiwillig" eine Therapie beginnen, "ohne Druck und Zwang". Der Amtsrichter ist sehr skeptisch, doch letztlich entscheidet er zu ihren Gunsten.

Bianca R. wird zu 18 Monaten Haft und Unterbringung in einer Entzugsanstalt verurteilt. Beide Strafen werden zur Bewährung ausgesetzt. Als Auflage muss sie umgehend eine stationäre Therapie anfangen. "Ich gebe Ihnen Ihr Leben wieder in Ihre Hand", sagt der Amtsrichter. "Nutzen Sie die Chance, sonst werden Sie keine 30 Jahre mehr alt."

© SZ vom 1.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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