Integration von behinderten Kindern:Wo Reiten Therapie und Verständnis fördert

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Vielen Privatinitiativen, in denen Behinderte und Nichtbehinderte zusammen aufwachsen, werden die Mittel gekürzt. Die Einrichtungen bangen um ihre Existenz.

Anne Goebel

Die Münchner Integrationskindergärten bangen um ihre Existenz. Der Bezirk Oberbayern hat die Förderung von Gruppen, in denen behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam betreut werden, drastisch reduziert.

Zwar bekommen die Einrichtungen freier Träger weiterhin städtische Zuschüsse, auch im Rahmen des neuen Bayerischen Kinderbildungs- und Betreuungsgesetzes, das vom 1.September an gilt.

Der Stadtrat hat eine Aufstockung beschlossen, aber nur als befristete Übergangslösung. "Wir sehen uns in unserer Existenz gefährdet", heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung der integrativen Kindergärten.

"Es wird auf die Schwächsten losgegangen. Auf lange Sicht heißt das, die Integrationskindergärten zu kippen", sagt Roland Widmer vom Förderverein des Kindergartens "Mimo". Der Mediziner weist darauf hin, dass gerade die Kombination aus kleinen Gruppen und zusätzlichen Therapiestunden den Erfolg des Modells Integration ausgemacht und garantiert habe.

Im Normalfall werden 25 Kinder von zwei Erzieherinnen betreut, eine integrative Gruppe besteht aus 15 Kindern, von denen drei bis fünf eine Behinderung haben. Ihnen stehen 2,5 Erzieher-Stellen zur Verfügung. Weniger Kinder, intensivere Betreuung: "Der bestehende Rahmen ist sinnvoll und muss erhalten bleiben", fordert Widmer.

Genau diese Qualitätssicherung sei nach der Reduzierung der Mittel durch die bayerischen Bezirke nicht mehr möglich. Indem der Tages-Pflegesatz pro Kind drastisch verringert wurde, stünden Münchner Einrichtungen in der Regel nur noch die Hälfte der bisherigen Summe zur Verfügung.

Der Bezirk begründet seinen Sparkurs mit dem Vereinheitlichen der Förderbedingungen innerhalb Bayerns. "Jedes Kind, ob in Hof, München oder Kempten, soll die gleichen Chancen haben", sagt Behördensprecherin Susanne Büllesbach. Das bedeute für bisherige Spitzenreiter wie Oberbayern "Niveauanpassungen", sprich: "Hier wird zurückgefahren." Büllesbach verweist aber auf die Möglichkeit von Härtefallregelungen.

Im Fall von Mimo ("Montessori Integrationskindergarten München Ost") - der "ohne großen Finanzier im Rücken dasteht", so Roland Widmer - haben die Eltern per Rundschreiben erfahren, dass die Reittherapie gestrichen wird. Man sei zu drastischen Schritten gezwungen, die Einrichtung könne "sonst nicht weiter existieren".

Kindergartenleiterin Ursel Faul sagt, die bisherige Kombination aus Musik- und Reittherapie habe sich als ideal erwiesen. "Das Reiten hat Kindern mit Gleichgewichtsproblemen Sicherheit und Zutrauen gegeben, die Musik bringt bei motorischen Störungen enorme Fortschritte."

Man habe Wert darauf gelegt, dass die Therapien integrativ, also auch mit nichtbehinderten Teilnehmern stattfinden. Der nun erzwungene Verzicht auf die Reittherapie - der Sparkurs des Bezirks hat die Zahl von 80 so genannten Fachdienststunden pro Kind und Jahr auf 50 zusammenschnurren lassen - sei ein schwerer Schlag.

Faul: "Im neuen Kindergartengesetz wird Integration befürwortet - der Bezirk führt sie ad absurdum." Tina Schmitz, deren Tochter als "Integrationskind" die Reittherapie im Mimo besucht, sagt: "Die Kinder brauchen früh eine besondere Förderung, sonst kommen später große Probleme auf sie zu." Es sei eine "Katastrophe", das Erfolgsmodell Integration aus finanziellen Gründen aufs Spiel zu setzen.

Max Heilmeier, im Schulreferat stellvertretender Leiter der Abteilung Kindertagesbetreuung, bestätigt das: "Die Zahl der integrationsbedürftigen Kinder steigt." Die Förderung der Stadt gleiche den Verlust der Integrationskindergärten aus, die wegen der kleineren Gruppen - die Mittel werden pro Kind berechnet - auf weniger Geld kämen.

Dies sei eine "Zwischenfinanzierung" und auf das kommende Kindergartenjahr beschränkt. Grundsätzlich fordert Heilmeier: "Integrationsangebote sind auszubauen." Dass stattdessen gespart wird, enttäuscht Sabine Tobies, Leiterin der integrativen SpielWerkstatt Allach-Untermenzing. "Ich werde 20000 Euro weniger im Jahr haben, das ist eine Reduzierung um 50 Prozent." Wie es weitergeht, weiß sie nicht.

Dass der Weg zur Aufbesserung der Finanzen die Aufnahme weiterer behinderter - und somit finanziell stärker geförderter - Kinder sein soll, will Topies nicht akzeptieren. Dies würde zum einen die effiziente Gruppenarbeit erheblich erschweren. Und: "Die Kinder bekommen sozusagen einen wirtschaftlichen Wert. Das wäre schlimm."

© SZ vom 29.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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