Extrembergsteigerin Alix von Melle:Fünf Minuten Euphorie

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Eine tiefe innere Sehnsucht treibt sie an - auf die höchsten Gipfel der Welt. Extrembergsteigerin Alix von Melle hat bereits auf vier Achttausendern gestanden.

Astrid Bischof

Ein besonders intensives Glücksgefühl bahnt sich erst langsam den Weg durch den frierenden und zugleich schwitzenden Körper. Das Glücksgefühl, dass sie über allen anderen Gipfeln steht, über Wolkenbänken - und irgendwie auch über der Realität. "Dann gestehe ich mir fünf Minuten Euphorie zu", sagt Alix von Melle. Und die Frau, die sonst rastlos durch jeden Arbeitstag und jedes Wochenende hetzt, ist für einen Moment mal wirklich bei sich. Sie sieht keine neue Baustelle, die sie angehen, keinen Berg Wäsche, den sie noch bügeln, kein Schreiben, das noch schnell durchs Fax gejagt werden muss, und kein Zeitfenster, in das sie noch ein paar Trainingseinheiten zwängen kann. "Wenn die fünf Minuten auf dem Achttausender vorbei sind, dann lege ich in meinem Kopf den Schalter um, um sicher wieder absteigen zu können", sagt Alix von Melle. "Auf einem Berg war man erst, wenn man wieder runter ist. Die meisten Unfälle passieren beim Absteigen, weil die Konzentration nach dem Gipfelsieg nachlässt."

"So wie andere Leute eine ganz tiefe Sehnsucht nach dem Meer haben, habe ich die offensichtlich nach hohen Bergen", sagt Alix von Melle (Foto: privat)

Es ist gerade mal vier Jahre her, dass die heute 39-Jährige ihren ersten Achttausender bestiegen hat. Auf den ersten gigantischen Berg folgte dann beinahe jedes Jahr ein weiterer. Bis es in diesem Jahr dann plötzlich zwei wurden: Der Makalu in Nepal, dessen Gipfel aber so sehr in Sturmböen lag, dass Alix von Melle ohne Gipfelanstieg wieder absteigen musste, und im Oktober der Cho Oyu in Tibet. Melle ist die einzige Frau in Deutschland, die auf den Gipfeln von vier der höchsten Berge der Welt gestanden hat.

Warum sie wieder und wieder an ihre Grenzen gehen muss, kann sie schwer sagen: "Ich weiß nur, dass Berg nicht gleich Berg ist. Wenn man einen Achttausender geschafft hat, muss man da nicht noch mal rauf." Jeder Berg birgt sein eigenes Risiko. Bei jeder Besteigung könnte jemand aus der Gruppe nicht mehr lebendig zurückkommen. Und für die, die wieder runterkommen, könnte es der letzte Gipfelsieg gewesen sein, weil sie sich eine ernsthafte Verletzung zugezogen haben.

Melle ist stolz auf ihre Leistung. Und doch ist sie, die gerne über den Wolken steht, am Boden geblieben. Sie wundere sich selbst immer wieder, dass sie - das Hamburger Mädel, das mit 20 beschlossen hat, doch auch mal Sport zu machen - Deutschlands erfolgreichste Höhenbergsteigerin ist. Aber sie ist auch froh, dass seit diesem Jahr der Run bei den Frauen, alle 14 Achttausender der Welt zu bezwingen, vorbei ist.

"Ich will das ja nicht professionell machen, weil ich auch gerne arbeite", sagt die Diplom-Geographin aus Höhenkirchen, die so gar nicht aussieht wie eine Extrembergsteigerin: Kein wettergegerbtes, ausgemergeltes Gesicht, kein breites Kreuz, keine praktische Kurzhaarfrisur. Die 39-Jährige mit den langen blonden Haaren und dem jungmädchenhaften Körperbau wirkt etwa zehn Jahre jünger, was auch davon kommen könnte, dass sie so ausgelassen lacht wie ein Teenie und so schnell und viel redet, als müsse sie gleich los zum nächsten Gipfel. "Ich bin schon ein Workaholic. Zu Hause kann ich keine Waschmaschinenladung ungewaschen lassen - und in der Arbeit will ich an einem Tag das Pensum von einer Woche schaffen und scheitere dann natürlich doch immer wieder."

Nach dem Abitur hat sie die Sucht gepackt: Sie, das Nordlicht, wollte endlich mal die Berge sehen. Sie ist mit einer Freundin nach Österreich in den Skiurlaub gefahren. Ein halbes Jahr später noch mal. Und dann noch mal. Zum Alpinskifahren kam schnell das Tourengehen dazu, zum Tourengehen im Winter das Bergsteigen und das Klettern im Sommer .

"So wie andere Leute eine ganz tiefe innere Sehnsucht nach dem Meer haben, hatte ich die offensichtlich nach hohen Bergen", sagt Alix von Melle. "Das kam von ganz tief drinnen raus. Und das ist das Geheimnis, warum ich mich immer wieder auf einen Achttausender hochkämpfe. Ich tue das nicht für jemand anderen, zum Beispiel meinen Freund. Ich mache das für mich ganz allein."

Ihr Freund, mit dem sie seit 1998 zusammen ist, hat das Höhenbergsteigen zu seinem Beruf gemacht. Er ist Bergführer beim DAV Summit Club. Das findet Melle praktisch, weil sie sich seinen Touren anschließen kann, um Geld zu sparen, denn: Je mehr Leute sich ein Permit - die Erlaubnis zum Gipfelbesteigen - teilen, das durchaus mal 30000 Euro kosten kann, desto weniger zahlt der Einzelne. Höhenbergsteigen ist ohnehin ein teures Hobby. Zu den Flügen zu den höchsten Bergen der Welt in Nepal und Südamerika kommen die Kosten für die Trekkingagentur vor Ort: für Träger, Organisation, Schlafausrüstung und das Versicherungspaket. Und: Für die erste Ausrüstung mit Bergstiefeln, Daunenanzug, Kocher, Zelt et cetera zahlt man etwa 5000 Euro.

Alix von Melle hat das Glück, dass ihr Arbeitgeber ihre sechs- bis achtwöchigen Reisen unterstützt, denn er kann mit ihr glaubwürdige Werbung machen. Sie arbeitet in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eines Trekkingausrüsters und hat Sponsorverträge mit verschiedenen Herstellerfirmen. Wenn sie Kunden berät und für Kunden oder ihre Kooperationspartner Vorträge hält, dann ist das authentisch. Sie hat schließlich alles schon selbst ausgetestet.

© SZ vom 16.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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