Zeitungen in den USA:Ganz unten

Die New Yorker Wochenzeitung "Village Voice" wurde 1955 als Kampfblatt gegen die großen Meinungsmacher gegründet, die nichtamerikanische Avantgarde war darin immer wichtiger als das Kulturprogramm im Lincoln Center. Künftig erscheint sie nur noch im Netz.

Von Willi Winkler

Wieder ein Nachruf auf einen langjährigen Begleiter, einen Freund in der Not, auch in der Freude am Schlechten, am Unwahren, am kulturkritischen Überschwang: Wie bereits ausgiebig befürchtet (SZ vom 22. Juli 2013), geht es mit der Village Voice zu Ende. Am Dienstag gab ihr Besitzer Peter Barbey bekannt, dass die Wochenzeitung aus dem New Yorker Stadtteil Greenwich Village künftig nur noch online erscheinen wird.

Die Village Voice wurde 1955 von Dorfbewohnern als Kampfblatt gegen die großen Meinungsmacher gegründet; einer war Norman Mailer, der jedoch bald ging. Von Anfang an wurde die schwarz-schwule Subkultur gepflegt; die nicht-amerikanische Avantgarde spielte immer eine größere Rolle als das Kulturprogramm im Lincoln Center. Paris reichte bis Manhattan, der Stil war manchmal poststrukturalistisch verkrampft, wie es rivegauchiger nicht ging. Gut möglich, dass selbst der genderism von der Village Voice erfunden wurde.

Dieses Ur-Hipstertum verlor sich, als selbst Starautoren wie J. Hoberman und Nat Hentoff gefeuert wurden. Seit 1996 erschien die Voice kostenlos, ein immer noch umfangreiches Bündel aus Rezensionen und scharfen Angriffen auf städtische Behörden. Per Annonce konnte man nicht nur einen steinkalten Unterschlupf mit Anschluss an mittelgroße Nager finden oder Tattookünstler für den Intimbereich, sondern auch den Kontakt zu einem Schaf anbahnen, spätere meaningful relationship nicht ausgeschlossen. Das Blatt lag im roten Kasten auch vor Tiffany's und H. Stern an der Fifth Avenue aus, obwohl die Redaktion nur am multikulturellen Kuddelmuddel ganz unten an der Südspitze des Eilands Manhattan interessiert war. Und das soll jetzt alles aus sein?

© SZ vom 24.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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