Zeitschriftenmarkt:Die Zielgruppe ist Programm

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TV-Publikationen setzen verstärkt auf Special Interest, bieten mehr Lesestoff als den Fernsehprogrammteil.

Von Christoph Löbel

Hitler geht immer. Während andere Fernsehzeitschriften auf bis zur Unkenntlichkeit retuschierte Stars und Sternchen als Covergirls setzen, zeigt die aktuelle TV Wissen den NS-Diktator sowie Heinrich Himmler und Albert Speer. "Die Geheimakten des 2. Weltkriegs" zu öffnen, verspricht die Titelzeile: "Atombombe, Falschgeld, Phantomarmee: Was wir nie erfahren sollten". Es gab in TV Wissen auch schon "Die geheimen Mordakten der Geschichte" - Hauptsache irgendwie geheim also.

Das Heft aus dem Gong-Verlag bezeichnet sich selbst als "Hybrid aus Wissensmagazin und TV-Programm" und hebt sich damit deutlich von der Masse der Fernsehpresse ab: Mantelteil und TV-Programm des seit November alle zwei Wochen für 1,50 Euro erscheinenden Magazins richten sich an die Zielgruppe, die ihren Fernsehabend nicht mit Castingshows oder Actionfilmen, sondern lieber mit Dokumentationen und Reportagen verbringt. "Bisher geht das Konzept auf, die Auflage steigt mit jeder Ausgabe", sagt Sandra Schönbein, die verantwortliche Verlagsbereichsleiterin bei Gong. "Wir sind also auf einem guten Weg." Baldmöglichst peilt man 100 000 verkaufte Exemplare an.

"Programmies" verkaufen sich nahezu unverändert gut. Nur die Klassiker haben es schwer

In schwierigen Zeiten für die Printmedien bilden Programmzeitschriften eine Bastion gegen die Digitalisierung. Die Verkaufszahlen sind nahezu unverändert hoch, gleich fünf "Programmies" führen das Ranking der auflagenstärksten Zeitschriften in Deutschland an. "Nur die alteingesessenen Zeitschriften mit ihrer immer älter werdenden Leserschaft haben mit Auflagenrückgängen zu kämpfen", sagt Gong-Frau Schönbein. Spitzenreiter ist tv14 (Bauer Media Group), die verkaufte Auflage der meistgelesenen Publikumszeitschrift Europas lag im letzten Quartal des vergangenen Jahres bei 2 358 808 Exemplaren pro Ausgabe.

TV-Publikationen, die ihren Programmteil mit ein paar längeren Geschichten über Promis oder Gesichtsmasken aufpeppen, gibt es schon lange. In Zeitschriften, die Programmheft und thematisch spezialisiertes Magazin zugleich sein wollen, sehen nun einige die Zukunft einer Branche, die zwar noch stabil ist, aber deren Publikum immer älter wird. "Will man heute noch mit einer neuen Fernsehzeitschrift Erfolg haben, muss man auf eine spezielle Zielgruppe setzen", erklärt Sandra Schönbein vom Gong-Verlag. Bei der Tochtergesellschaft der Essener Funke-Mediengruppe, ansässig in Ismaning bei München, konkurrieren mehr als ein Dutzend Programmzeitschriften um die Gunst der Leser. Neben klassischen Formaten wie Gong, Bild+Funk und dem größten Titel des Hauses, TV direkt mit einer verkauften Auflage von 1 115 450 Exemplaren, entwickelte sich vor allem das seit August 2008 erscheinende Blatt TV für mich zum Auflagenhit.

Das Magazin funktioniert ähnlich wie TV Wissen, nur mit anderem Schwerpunkt. Zum Kampfpreis von einem Euro ist es nicht nur Programmheft, sondern auch serviceorientierte Frauenzeitschrift. Bei der Zielgruppe, den 30- bis 69-Jährigen, kommt das "Zwei-in-Eins-System" gut an, TV für mich konnte die Zahlen stetig verbessern. Im vierten Quartal 2015 stieg die verkaufte Auflage der Zeitschrift um 9,39 Prozent auf 358 735 Exemplare.

Diesen Erfolg begründet Verlagsbereichsleiterin Schönbein damit, dass der thematische Fokus im Gegensatz zu manchem Konkurrenzprodukt keine Alibi-Funktion habe, sondern man konsequent und ausführlich auf Ratgeber- und Servicethemen setze: Rezepte, Ernährungs- und Diättipps, kleinere Reisegeschichten und Neuigkeiten aus der Welt der Stars. Genauso fest im Blick hat TV für mich die Zielgruppe im Programmteil, sagt Schönbein. So gebe es jeden Tag acht Tipps für Ratgeber-Sendungen, "versteckte Perlen im Programm".

Auch bei der Hamburger Bauer Media Group setzt man auf das "Dual-Use-System": Während die Auflage des bereits seit 1983 wöchentlich erscheinenden Hefts auf einen Blick, das sich explizit an Frauen ab 50 richtet, seit Jahren sinkt, ging es mit der 2011 gestarteten, 14-täglich erscheinenden Zeitschrift mein tv & ich, die sich ähnlich wie TV für mich auch an ein jüngeres weibliches Publikum richtet, nach einigen Schwankungen zuletzt wieder bergauf.

Zudem verpasste Bauer seiner zweiwöchentlich erscheinenden TV Movie im Oktober einen Relaunch, der unter dem neuen Chefredakteur Uwe Bokelmann fortgesetzt werden soll. Der Mantelteil der Zeitschrift, in dem vor allem die neusten Serien und Kinofilme besprochen werden, wurde um das achtseitige Ressort "My Life - Die Zeit meines Lebens" erweitert. Laut Verlag dreht sich darin alles um die Themen "Living, Genuss, Style, Travel und Fitness". Die Zielgruppe sind "einkommensstarke Leserinnen um die 40, die Spaß am Leben haben und das nötige Kleingeld besitzen, sich den ein oder anderen Traum zu erfüllen". Ein paar Frauenthemen im Fernsehheft, das sich bisher eher an Männer richtete. Auch eine Form des Dual-Use-Systems.

© SZ vom 29.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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