Verlage:Wall Street in Karlsruhe

Lesezeit: 4 min

Seit Montag ist der deutsche "Business Insider" online. Das Start-Up ist Teil eines ehrgeizigen Projekts von Springer-Chef Döpfner.

Von Nikolaus Piper

Am Montag startete der Springer-Verlag ein neues Internet-Portal für Wirtschaftsnachrichten: Business Insider Deutschland. Das Start-up produziert mit einer kleinen Redaktion (die genaue Größe veröffentlicht Springer nicht) eine Kopie der amerikanischen Internetseite Business Insider (BI) - mit monatlich 76 Millionen Nutzern weltweit eines der erfolgreichsten Wirtschaftsportale. Sitz der Redaktion ist Karlsruhe, aus dem einfachen Grund, weil dort auch Finanzen.net residiert, Springers erstes Wirtschaftsportal, an das Business Insider angegliedert ist. Das Projekt ist ein nicht ganz unwichtiger Teil der ehrgeizigen Digitalstrategie des Springer-Verlages. Es ist aber auch ein ziemlich überraschendes Stück Wall-Street-Geschichte.

Springer-Chef Mathias Döpfner hatte BI im vergangenen Monat erworben, genauer: Er erhöhte den Anteil des Verlages von neun auf 97 Prozent. Den Rest der Firma hält Amazon-Gründer Jeff Bezos über seine private Anlagegesellschaft. Für die 97 Prozent zahlte Springer die erstaunlich hohe Summe von 343 Millionen Dollar (309 Millionen Euro), das ist mehr als Jeff Bezos 2013 für die Washington Post ausgeben musste (250 Millionen Dollar). Der Preis erklärt sich eigentlich nur dadurch, dass Springer möglichst schnell globale digitale Reichweite erwerben will. Jetzt ist der Verlag nach eigenen Angaben bei 200 Millionen Lesern angelangt und damit unter die sechs größten des Geschäfts aufgerückt. Springers Einstieg bei Forbes und bei der Financial Times waren zuvor gescheitert.

Die Geschichte des neuesten Springer-Deals beginnt allerdings nicht erst im September, sondern viel früher, genau genommen mit der großen Internet-Spekulation Ende der 1990er Jahre. Damals hatte die Investmentbank Merryll Lynch (sie ging 2008 in der Finanzkrise unter) einen Staranalysten namens Henry Blodget. Blodget feuerte den Aktienboom mit extrem optimistischen Analysen an. Er verdiente zuletzt zwölf Millionen Dollar im Jahr. Dann, 2000, platzte die Blase, Blodget wurde entlassen und vom New Yorker Generalstaatsanwalt, dem ehrgeizigen Eliot Spitzer, verfolgt. Spitzer warf dem gefallenen Star vor, öffentlich Aktien empfohlen zu haben, die er intern als "POS" bezeichnete, als piece of shit. Zwar kam es nie zu einem Prozess, Trotzdem war Blodget in seinem Beruf erledigt. Die amerikanische Börsenaufsicht SEC stellte im Februar 2003 zwar ihre Ermittlungen ein. Dafür musste Blodget jedoch vier Millionen Dollar Geldbuße zahlen und für den Rest seines Lebens dem Geschäft an der Wall Street fernbleiben.

Blodget brauchte einen neuen Beruf und beschloss daher, Journalist zu werden. Er verdiente seine Brötchen bei Slate und verschiedenen Technik-Portalen. Dann, 2009, gründete er Business Insider. Das Geld dazu kam, wie in den Vereinigten Staaten üblich, von verschiedenen Wagnisfinanzierern, darunter Institutional Venture Partners und RRE Ventures. Und, nicht zu vergessen: von Jeff Bezos. Der Amazon-Gründer investierte eine unbekannte Summe in Business Insider. Das kann man als Anerkennung werten. Seinen ersten Ruhm hatte Blodget erworben, als er die Amazon-Aktie heraufschrieb, was für Bezos mindestens so gut war wie für Blodget.

Der Ex-Analyst bezog ein Büro in Manhattan, heuerte eine Redaktion an und hatte Erfolg. Heute ist Blodget 49 Jahre alt und ein gemachter Mann. Seine Investitionen hat er mit einem hohen zweistelligen Millionengewinn realisiert, er bleibt weiter Chef der amerikanischen Ausgabe. Und dank Springer ist er in diesem Jahr den letzten Rest vom Schmuddel-Image losgeworden. Sein alter Gegner Eliot Spitzer wurde längst mit Schmach aus dem Amt als Gouverneur von New York gejagt, nachdem ihn die Polizei als Kunden eines teuren Callgirl-Ringes überführt hatte. Blodgets Erfolgsrezept ist die Bereitschaft, Wirtschaftsnachrichten ohne jede Scheu zu vereinfachen und auch zu trivialisieren, dazu ein einprägsames Design mit vielen Fotos und Videos. BI übernimmt sehr viel von anderen Websites, von Reuters etwa oder dem Wall Street Journal, hat aber zunehmend selbst recherchierte Geschichten. Sehr beliebt sind Texte nach dem Muster: "Sieben Dinge, auf die Sie heute als Anleger achten müssen" oder: "Ein superschneller Link zu dem, worüber Händler momentan reden". Mathias Döpfner pries nach dem Kauf vor allem die Tatsache, dass BI über mobile Geräte und soziale Medien die Zielgruppe der 18- bis 34-Jährigen erreiche.

Am ersten Tag geht es um die Folgen des Terrors - und um die Folgen von Kaffee

Und nun also BI Deutschland, Springers Versuch, Blodgets Konzept nach Deutschland zu importieren. Zum Programm erklärte der Springer-Verlag am Montag: Das Angebot solle "kompetent sein und Spaß machen. Die Redaktion vermeidet komplizierte Fachbegriffe und kommt schnell auf den Punkt". Auch die neue Chefredakteurin Christin Martens legt Wert auf den Begriff "kompetent": "Wir bieten einen kompetenten und zugleich unkonventionellen Blick auf die Welt der Wirtschaft. Dabei verfolgen wir keine langweilige Chronistenpflicht, sondern bereiten komplizierte Themen verständlich auf und werden viel Neues ausprobieren." Martens, 38, kommt von bild.de. Dort war sie seit Januar 2015 stellvertretende Ressortleiterin Politik und Wirtschaft. Zuvor arbeitete sie für Bild in Los-Angeles, im Wirtschaftsressort und im Parlamentsbüro.

Was beim Vergleich der deutschen und der amerikanischen Ausgabe des Business Insider sofort auffällt: Die deutsche Version ist im Vergleich zum großen Vorbild aus New York verblüffend simpel und inaktuell. BI Amerika wechselte im Laufe des Tages mehrfach den Aufmacher, jedesmal ging es - durchaus naheliegend - um die Konsequenzen der Terroranschläge in Paris. BI Deutschland hatte bis zum Abend einen einzigen Aufmacher, und der war allenfalls indirekt aktuell: "Wie Tech-Konzerne nach den Anschlägen Opfern und Angehörigen helfen". Es gibt ein Interview mit dem Deutschland-Chef des Taxi-Dienstes Uber und, zeitweise an dritter Stelle: "Diese 11 Dinge passieren in eurem Körper, wenn ihr Kaffee trinkt". Ach so: BI Deutschland duzt seine Leser, die Zielgruppe ist sehr jung. Das Angebot jedenfalls deutet auf eine überforderte Mini-Redaktion hin.

BI hat auch zwei "Werbepartner", wie die Anzeigenkunden hier heißen: Audi und die Deutsche Asset & Wealth Management (DWS), wobei das Design der zwar gekennzeichneten Anzeigen kaum von dem redaktioneller Beiträge zu unterscheiden ist.

Ja, BI ist eine erstaunliche Erfolgsgeschichte, wenn man Blodgets Anfänge bedenkt. Aber man fragt sich, ob Döpfner wirklich glaubt, damit den Erfolg fortsetzen zu können.

© SZ vom 17.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: