TV-Kritik: "Hart aber fair":Die Angst vor Straftätern

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Darauf legt sie Wert: Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat im Gegensatz zu stammtisch-kompatiblen CSU-Kollegen "Migrationshintergund". Frank Plasbergs ARD-Talk konnte das auch nicht aufhellen.

R. Sommer

Die gute Nachricht vorneweg: Frank Plasberg ist aus seiner Sommerpause zurückgekehrt. Die drohenden Verschiebespiele im ARD-Programm haben seine Debattenrunde noch nicht ins Abseits manövriert.

Frau mit Migrationshintergrund: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. (Foto: ddp)

Für die 100. Sendung in der nächsten Woche konnte sich der Mann vom WDR schon einmal warm plaudern - in der guten Gewissheit, dass dann die Konfusion, die ärgerlichen Hänger und das nicht immer professionelle Timing seiner Comeback-Sendung längst wieder vergessen sein dürften. Trotzdem muss sich der im Ersten meist so forsch auftrumpfende Moderator einmal ins Stammbuch schreiben lassen, dass er mit dem Talk-Thema "Mörder in Freiheit, Bürger in Angst - versagt unsere Justiz?" weder sich noch den Zuschauern einen großen Gefallen getan hat. Nach teilweise sehr zähen 75 Minuten blieb in einer Sendung mit eigentlich sehr ernsten Themen - Mörder und Mehrfachvergewaltiger, verpatzte Resozialisierungen, rückfallgefährdete Straftäter, überforderte Polizisten - viel Ratlosigkeit zurück. Und eine ernüchternde Erkenntnis: Übers juristische Minenfeld lässt sich nicht mit Leichtfuß einfach hinwegtänzeln.

In den seltenen Momenten, in denen die streckenweise hilflos angeleitete Diskussion brisant wurde, verrannte sich Plasbergs Team tief im Paragraphen-Dschungel. Selbst das Studiopublikum wirkte gelegentlich unsicher, wann welche Position brav zu beklatschen oder entrüstet abzulehnen war. Worüber wollte Frank Plasberg eigentlich genau sprechen? Über die Angst aufgebrachter Bürger vor verurteilten Straftätern in ihrer Nachbarschaft? Über Gewaltverbrecher, die nach Verbüßen ihrer Haftstrafen eben doch auf freien Fuß gesetzt wurden, weil sie nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht länger hinter Schloss und Riegel gehalten werden können? Über die Verschlafenheit der Politik, die Kritik am praktizierten Strafvollzug lange ignorierte und zu spät Vorkehrungen für eine veränderte Gesetzeslage traf? Über den Schutz von Verbrechensopfern und die Menschenwürde der Täter?

Ein bisschen von allem sollte es diesmal sein. Und genau darin lag das Problem. Die Appelle, bei Reizworten wie "nachträgliche Sicherungsverwahrung", "Sicherungsunterbringung" oder "elektronische Fußfessel" sprachliche Klarheit walten zu lassen, blieben in der Sendung zunehmend ohne Gehör. Plasberg kündigte zwar mehrfach genauere Begriffserklärungen an, blieb diese dann aber doch oft schuldig. Einen klaren Part bekam allenfalls Bernhard Schroer zugewiesen. Der Rechtsanwalt hatte für seinen Mandanten Reinhard M., einen verurteilten Gewaltverbrecher, vor dem Straßburger Gericht einen spektakulären Sieg erzielt und erwirkt, dass seit Dezember 2009 Strafen nicht nachträglich verlängert werden dürfen. In die Böse-Buben-Rolle ließ sich der Strafrechtsexperte, der sich als einziger Diskutant im Kameralicht erkennbar unwohl fühlte, dennoch nicht drängen.

Seinen Standpunkt, dass auch Täter Rechte haben, brachte er klar an den Mann. Mit seiner Forderung, dass der Staat in seiner Rechtsprechung "sowohl für die Opfer als auch für die Täter verlässlich handeln" müsse, hatte er sogar das Schlusswort in der Diskussion. "Ich möchte gar nicht in der Haut des Gesetzgebers stecken", gestand Schroer offen ein. Schwieriger war es da schon, die Positionen von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und die lautstarken Parolen von Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann auseinander zu halten. Der stimmgewaltige Politiker aus München brachte sein Rechtsverständnis auf eine Stammtisch-Faustformel: "Wer gefährlich ist, gehört hinter Gitter und soll dort auch bleiben!" Leutheusser-Schnarrenberger wollte da nicht in die Defensive geraten und betonte wiederholt, dass sie bereits Gesetzesentwürfe für eine Neuregelung der Sicherungsverwahrung vorbereitet habe. Vor Schnellschüssen müsse sie dennoch warnen.

Vom CSU-Kollegen an ihrer Seite rückte sie vorsichtshalber klar ab - körpersprachlich wie verbal. Als Talkmaster Plasberg daran erinnerte, dass sie wie Herrmann ja aus Bayern stammte, betonte Leutheusser-Schnarrenberger schnell ihren "nordrhein-westfälischen Migrationshintergrund". Ein bisschen Geografie kann in der Not helfen. In konkreten Praxisfragen, wie mit entlassenen Gewaltverbrechern im Alltag umzugehen ist, differierten Thomas Feltes, Professor für Kriminologie an der Ruhr-Uni Bochum, und Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, am stärksten. Während der Polizei-Vertreter es für eine selbstverständliche Pflicht erachtet, dass die Anwohner vor Ort über die vermeintlichen Mörder, Kinderschänder und Vergewaltiger in ihrer Nachbarschaft informiert würden, lehnt Kriminologe Feltes dies strikt ab: "Es ist unverantwortlich, den Menschen Angst zu machen." Immer wieder verwies er auf die geringe Zahl von Gewaltverbrechern, die nach dem Straßburger Urteil früher als geplant auf freien Fuß kommen und strich die angeblich niedrige Rückfallquote heraus.

"Die Gesellschaft muss mit dem Restrisiko leben", lautet sein Fazit. Kaum überraschend, dass Gabriele Karl, die Gründerin des Vereins "Opfer gegen Gewalt", dies für unerträglich zynisch hielt. Ihre Tochter Stephanie wurde von einem Rückfalltäter erwürgt. Dass sich die Mehrzahl der Sexualverbrecher im Strafvollzug als therapieresistent erwiesen habe, wie sie wiederholt behauptete, hat sie bitter gemacht. Wenn Gabriele Karl zwar äußerlich gefasst, aber doch mit emotionaler Stimmfärbung das Wort erhob, wurde es ruhig im Studio. Vereinnahmen ließ sie sich nicht. "Das habe ich nicht gesagt", fuhr sie ihrem Gastgeber Plasberg gegen Ende in die Parade, als der sie kurzerhand in einer Hau-Ruck-Zusammenfassung mit ins Boot hieven wollte. Vermutlich war die wichtigste Erkenntnis des Abends, dass dieses Mittwochsthema nicht Hart-aber-fair-tauglich war. Das Final-Lächeln des Moderators wirkte jedenfalls final gequält. Auf eine Abschlussfrage an sein Plenum verzichtete der Talk-Meister diesmal sogar völlig.

"Dazu ist mir keine eingefallen", gestand Plasberg kokett ein. So kann man auch eine Sendung zu Ende bringen. Und jetzt mögen die Feiern zum 100. beginnen.

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