Reibereien bei der "Kronenzeitung":Wiener Tapetentüren

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Sie streiten über alles und jedes: Beim österreichischen Boulevardblatt "Krone" ist nach dem Tod des Herausgebers Hans Dichand im vergangenen Jahr völlig unklar, wer das Sagen hat. Der Miteigner WAZ stellt die Nachfolgeregelungen des Patriarchen in Frage.

Hans Leyendecker

Die Anweisung vom 3. Juni 2011 war doch eigentlich klar und unmissverständlich: Auf ein Bankkonto von Christoph Dichand, der Chefredakteur des Wiener Boulevardblattes Kronen-Zeitung ist, sollten exakt 12.604.893,50 Euro überwiesen werden. Unterschrieben hatte die Direktive der Geschäftsführer Wolfgang Altermann, ein alter Vertrauensmann der Familie Dichand.

Das Erbe des Patriarchen: Hans Dichand starb im Juni 2010 - den neuen Herausgeber erkennt die WAZ derzeit nicht an. (Foto: REUTERS)

Auf dem Blatt fehlte aber die für eine Auszahlung notwendige Unterschrift des zweiten Geschäftsführers. Der Jurist Axel Kroll, der seit kurzem für den Essener WAZ-Konzern in Wien gegenzeichnet, mochte nicht unterschreiben. Seine Chefs in Essen teilten dem 46 Jahre alten Dichand schriftlich mit, natürlich würden sie ihre "rechtliche Verpflichtungen erfüllen", aber es sei noch zu vieles unklar in Wien. Die Millionen wurden nicht überwiesen.

Es herrscht wieder mal Krieg zwischen den Gesellschaftern der erfolgreichsten österreichischen Zeitung - und die Kontrahenten geben sich noch unversöhnlicher als sie es früher schon waren. Mittlerweile streiten sie über alles und jedes. In ihrem Dauerzwist ähneln die beiden Parteien immer mehr einem alten Ehepaar, dem der alltägliche Hader zum Lebenszweck geworden ist.

Sie streiten über jene 12,6 Millionen, die Christoph Dichand als "Bevollmächtigter" der Erbengemeinschaft des im Juni 2010 mit 89 Jahren verstorbenen Zeitungspatrons Hans Dichand als "garantierte Entnahme" verlangt. Sie streiten, manchmal sogar mit einstweiligen Verfügungen, vor Gericht über eine Erhöhung der Abo-Preise, über Managerverträge und die vielen Feinheiten und Grobheiten des Gesellschaftsrechts.

Sie streiten sogar darüber, ob die Angaben im Impressum der Zeitung richtig sind oder nicht. Beide Seiten haben jetzt wieder - aus unterschiedlichen Anlässen - das Schiedsgericht der Zürcher Handelskammer angerufen, wo alle großen Rechtsstreitigkeiten der Gruppe ausgetragen werden. Das wird in der Regel teuer und kann angesichts der vielen Fallgruben auch dauern.

Wer hat das Sagen?

Nun kann man die Streitigkeiten zwischen der WAZ und den hinterbliebenen Dichands als deutsch-österreichische Kabbelei abtun. Aber es geht um mehr: Es geht um die Frage, ob bei der einflussreichsten österreichischen Zeitung nach dem Tod des Patrons ein Machtvakuum entstanden ist. Wer hat das Sagen?

Den WAZ-Leuten zumindest ist nicht klar, was der alte Dichand in seinem offenbar am 30. November 2009 unterschriebenen Testament genau festgelegt hat. Diese Privatgeschichte geht sie etwas an, weil die vor vielen Jahren vereinbarten Garantiezahlungen an Familienmitglieder gestaffelt sind. Die WAZ will erfahren, "ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß" die Witwe Anteile "an den Gesellschaften der Krone-Gruppe" hat: "Bitte teilen Sie uns das unter Beifügung ausreichender Belege mit", forderten sie vor ein paar Monaten Christoph Dichand auf.

Ist das Erbe sehr geordnet, wie die Dichands bedeuten oder sind die Verhältnisse eher ungeordnet, wie Wiener Insider raunen? Ganz sicher ist nur, dass diese "Verlassenschaft", wie in Österreich Erbengemeinschaften genannt werden, aus der 74 Jahre alten Witwe Helga Dichand und den drei Kindern besteht und ziemlich verwaist wirkt.

Alte Fragen, die längst verdrängt worden waren, drängen sich neu auf: Wer steckt eigentlich hinter der Gratiszeitung Heute, die der Kronen-Zeitung inzwischen mit mehr als einer halben Million Auflage große Konkurrenz macht? Verkauft jetzt doch die WAZ ihre Anteile an der Krone oder denken die Dichands trotz aller Dementis insgeheim über einen Verkauf nach? Sicher ist nur, dass sich aus der Marke Krone mehr machen ließe, wenn sich die Anteilseigner nicht zerfleischten, sondern mal gemeinsam Ideen entwickelten. Gemessen an der Bevölkerungszahl hat das Blatt eine der höchsten Reichweiten der westlichen Welt (siehe Grafik). Selbst die Bild-Zeitung wirkt dagegen klein, aber man muss die ganze Bild-Familie mit ihren vielen Ablegern wie Sport-Bild, Auto-Bild im Blick haben, um zu ahnen, was der Begriff Marke meint. Schätzungsweise 250 Millionen Euro Gewinn erzielt die Bild-Gruppe im Jahr.

Die Krone n-Zeitung wiederum ist mit dem Wiener Druck -und Vertriebskonglomerat Mediaprint verbunden, der Mediaprint-Gewinn für 2010/2011 lag bei 26 Millionen Euro. Für das neue Geschäftsjahr wird nur mit 15 Millionen gerechnet. In den "guten Zeiten" habe allein die Krone jährlich knapp sechzig Millionen Euro verdient, hat der alte Dichand mal behauptet, aber auch er war nur ein Citizen Kane aus der Provinz, dem es an den ganz großen Geschäftsideen mangelte. Er wollte vor allem eins: Macht.

Der alte Dichand, der die Krone 1959 mit anderen gekauft und dann ausgebaut hatte, war der Chefredakteur, der Herausgeber, der Hauptgeschäftsführer. Die Piefkes aus Essen, die 1987 für umgerechnet rund 160 Millionen Euro eingestiegen waren, seien doch eher "Kuponschneider", hat neulich ein Dichand- Anwalt vor einem Wiener Gericht gehöhnt und die Richter fanden diese Schilderung "nachvollziehbar und lebensnah". Aber was ist heute, ein gutes Jahr nach dem Tod des Alten, noch nachvollziehbar?

Im Juli 2010 teilte Christoph Dichand, der seit 2003 als eine Art dynastischer Nachfolger Chefredakteur der Zeitung wurde, den WAZ-Leuten mit, sein Vater habe ihn "zum Herausgeber bestimmt. Im Sinne eines kontinuierlichen Übergangs und auch um keine Lücken entstehen zu lassen, habe ich diese Funktion sofort angetreten". Die Aufgabe sei "mit einem erheblichen persönlichen Arbeitspensum und hohen Verantwortlichkeiten" verbunden. Er schlage daher eine zusätzliche "monatliche Vergütung" für die Herausgeberschaft in Höhe von 20.000 Euro plus Umsatzsteuer vor. Der promovierte Christoph Dichand, der mehr einem feingliedrigen Pianisten als einem Boulevardmacher ähnelt, ist ein reicher, armer Mann. Das Geld braucht er sicher nicht, aber den Titel.

Mit dem "Antrag auf gesonderte Vergütung können wir uns erst beschäftigen, wenn Ihre Berufung unter uns verbindlich geklärt ist", retournierten die von der WAZ kühl. "Wann und in welcher Form hat Ihr Vater das Amt zurückgelegt und mit welchem Rechtsakt hat er Sie zum Herausgeber berufen?" Die Erklärung des Sohnes, der Vater habe immer "klar zum Ausdruck gebracht", dass sein Sohn Christoph zum Herausgeber bestellt werde, reiche ihnen nicht. Der Hinweis im Impressum ("Herausgeber Christoph Dichand") sei "daher unrichtig". Vielmehr sei "derzeit" das Medienunternehmen selbst Herausgeber und müsse als solcher im Impressum geführt werden.

Über angeblich falsche oder richtige Details und Fakten wird anlässlich der Fragen um die korrekte Herausgeberschaft lebhaft gestritten und die bewährte Dichand-Anwältin Huberta Gheneff ist um den Durchblick zu beneiden, da sie "überhaupt keine Widersprüchlichkeiten" in der Darstellung des Vorgangs durch die Dichands erkennen kann. Ihr geübter Kontrahent, der WAZ-Anwalt Daniel Charim, sieht das alles völlig anders als die Kollegin. Er hat ganz viele neue Fragen. Wiener Verhältnisse sind manchmal sehr kompliziert.

Die Frage nach den Hintermännern

Herausgeber der Kronen-Zeitung ist ein Dichand, Herausgeberin des Konkurrenzblattes Heute, das angeblich ein Gründungskapital von rund 19 Millionen Euro brauchte und heute über 500.000 Auflage hat, ist Eva Dichand, die Ehefrau des derzeitigen Krone-Herausgebers und die Schwiegertochter des Alten. Macht einer der Gesellschafter heimlich der Kronen-Zeitung auf Kosten des Gesellschafters aus Essen Konkurrenz? Das wäre, in der Juristensprache, ein grob gesellschaftswidriges Vorgehen.

Schon die Frage nach den Hintermännern einer Zeitung klingt seltsam und das alles wird noch seltsamer, wenn man sich die Entstehungsgeschichte von Heute und die Konstruktion näher anschaut. Die Zeitung Heute kam Mitte vorigen Jahrzehnts auf den Markt, als die Kronen-Gesellschafter das gemeinsame Gratisblatt, das U-Bahn-Express hieß, nach drei Jahren beerdigt hatten. Der alte Dichand aber fand das mit der Gratiszeitung so schlecht nicht. Sie sollte aber ein Bollwerk sein gegen die Gefahren, die drohten. Hat er also voller List seine eigene Konkurrenz erfunden?

Der Wirtschaftstreuhänder Günther W. Havranek, den Hans Dichand schätzte, wurde als Vorstandsmitglied einer Privatstiftung quasi zur Hälfte Eigentümer von Heute. Der 72-Jährige erklärte mehrmals, er halte den Anteil im eigenen Namen und auf eigene Rechnung und nicht etwa als Treuhänder für die Dichands. Die wiederum streiten jede Beteiligung an Heute strikt ab.

Geschäftsführer von Heute ist Wolfgang Jansky, der mal Pressesprecher des heutigen Kanzlers Wolfgang Faymann war. Er sitzt neben Havranek im Vorstand der Privatstiftung. Handelte der Dichand-Bekannte Havranek doch eher im Auftrag der Wiener SPÖ, die in der Hauptstadt viel mehr Macht hat als die Bundes-SPÖ? Alle Beteiligten bestreiten auch jede Beziehung zur Wiener SPÖ. Es ist bislang keinem Rechercheur gelungen, die Personen, die da auf offener Bühne spielen, durch die Tapetentüren zu begleiten, um zu sehen, wer da eigentlich im Hinterzimmer beieinanderhockt. Irgendeiner verdient immer.

Die Stadt Wien etwa verteilt über einen Presse- und Informationsdienst Inserate in zweistelliger Millionenhöhe, die vor allem der Kronen-Zeitung und dem Blatt Heute zugute kommen. Die beiden Zeitungen berichten, alles in allem, ganz nett über die Wiener SPÖ. Nur böse Leute erinnern solche Systeme an Schutzgeldeinrichtungen. Die anderen, die Guten, verweisen gern darauf, dass durch solche Anzeigen in den wichtigsten Blättern der Stadt das Gute noch optimiert und mehr verbreitet werden könne.

Man kennt sich, man hilft. Eine Hand wäscht die andere. Geht es in Wien an der Donau so zu wie in Köln am Rhein? Aber den Kölner Express beispielsweise und die Krone trennen Welten. "Jedes Land hat die Zeitung, die es verdient", hat Hans Dichand einmal gesagt. Auch das ist wahr.

© SZ vom 20.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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