Quotenmessung im Netz:Alles, was zählt

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Seit Kurzem zählen Quotenforscher auch Abrufe in den Mediatheken aus. Die Ergebnisse sind vor allem für Werbekunden wichtig, die wissen wollen, wie viele Leute ihre Spots sehen können. Die würden aber noch andere Zahlen sehr interessieren.

Von Benedikt Mahler

Vertreter der TV-Werbebranche scheuen angesichts dieser Nachricht kein Pathos. Ein neues Zeitalter sei angebrochen: Seit Kurzem weist die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), die in Deutschland bisher nur Einschaltquoten im linearen Fernsehen ermitteln konnte, eine sogenannte konvergente Reichweite aus, die auch Streaming im Internet abbildet. Darauf haben TV-Anbieter, Agenturen und Werbetreibende lange warten müssen.

Fernsehquoten waren immer schon eher ein Quantitäts- als ein Qualitätssiegel. Sie sind vor allem wichtig, um zu bestimmen, zu welchen Preisen Werbung im Fernsehen verkauft wird. Die klassische Quote liefert Informationen über die Zuschauer, mit denen Werber ihre Kampagnen planen können. Über die Nutzer im Netz war dagegen bislang nicht viel zu erfahren. Mit der Veränderung der Nutzungsgewohnheiten verlagert sich aber auch der Werbemarkt immer stärker ins Internet. Rufe nach einer Quote, die TV und Streaming zusammenführt, wurden lauter.

Streaming-Abrufe auszuwerten, dauert im Moment etwa 40 Tage

Anfang des Jahres nun gelang es der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung, die sich seither etwas holprig "AGF Videoforschung" nennt, als erste eine aussagekräftige Crossmedia-Quote auszuweisen. Es gab also Grund zum Feiern bei der alljährlichen AGF Roadshow in einem Münchner Hotel vergangene Woche. Stolz präsentierten AGF-Geschäftsführer Willibald Müller und zwei Referenten üppige Diagramme und Schaubilder, die das neue Erhebungsverfahren illustrierten. Die Daten aus dem Internet auszulesen, sei zwar erst einmal keine Kunst, sagte Bernhard Engel, Sprecher der Technischen Kommission der AGF. Die Daten richtig zu interpretieren, sei das eigentliche Kunststück.

Abrufzahlen der Mediatheken können die Sender schon seit Langem einsehen. Aber die blanken Zahlen waren mit der ausdifferenzierten Fernsehquote bisher überhaupt nicht vergleichbar. Bei der TV-Einschaltquote gilt zum Beispiel derjenige, der nur eine halbe Sendung sieht, auch nur als halber Zuschauer. In den Mediatheken dagegen entsprach bislang ein Klick einer Sichtung, selbst wenn der Nutzer das Video nach wenigen Sekunden abbrach. Außerdem schlüsselt die Fernsehquote, die über Geräte in 5000 Haushalten ermittelt wird, genau auf, welche Altersgruppe mit welchem Einkommen und welchem Bildungsstand einschaltet. Die Abrufzahlen der Streams, die bei 20 000 Personen erhoben werden, liefern diese Informationen erst einmal nicht. Nur mit komplexen Berechnungen gelingt es, von den Zahlen auf die Nutzer zu schließen.

Für die Werbebranche sind auch Videoabrufe bei Youtube wichtig

Die Reform ist ein großer Schritt nach vorn und doch erst der Anfang. Im Moment dauert die Auswertung der Datenmassen etwa 40 Tage. Der Prozess soll bald beschleunigt werden. Bis dahin kann die AGF die neue Reichweite aber nur monatlich ausweisen, während die TV-Quote jeden Morgen um neun Uhr auf den Smartphones der Fernsehmanager, Produzenten und Regisseure landet. Außerdem analysiert die AGF derzeit nur 40 ausgewählte Streaming-Angebote von ARD, Pro Sieben, ZDF, Sport 1 und RTL. In die Messungen fließen hauptsächlich Nutzer ein, die Streams über den klassischen Desktop-PC aufrufen. Informationen von Smartphones oder Tablets auszuwerten, gestaltet sich dagegen schwieriger. Dafür wären Standortinformationen wichtig, wie sie vor allem Google flächendeckend erhebt. Die AGF hofft darum, schon bald mit dem US-amerikanischen Unternehmen zusammenarbeiten zu können.

Langfristig möchte die AGF die Videonutzung im Netz flächendeckend abbilden. Deshalb ist es wichtig, dass die beiden großen Player auf dem Markt, Google beziehungsweise Youtube und Facebook das Forschungssystem und den Standard der AGF annehmen. "Es nützt nichts, wenn man in einem Land fünf verschiedene Währungen hat. Auf die Weise kann man keinen Tauschhandel betreiben", sagt der Stellvertretende Vorsitzende des Werbekundenverbands OWM, Uwe Storch. Google und Facebook werden für Werbetreibende immer bedeutsamer. Umso wichtiger wären Standards, mit denen Werbetreibende ihre Wirkung auf diesen Plattformen quantifizieren können. Davon würden vermutlich auch die Netzwerke selbst profitieren. Bleibt abzuwarten, ob die Riesen aus den USA die Methode der deutschen Fernsehforscher übernehmen oder sich doch lieber ein eigenes System ausdenken.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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