Netzwerk für Freie :Uber-Journalismus

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Die "Washington Post" sucht Autoren per Onlineplattform. Das "Talent Network" soll die Kommunikation zwischen Redaktion und freien Mitarbeitern erleichtern und zeigt, wie radikal sich das Denken bei der "Post" gewandelt hat.

Von Matthias Kolb

Mit einem im Silicon Valley entwickelten Modell will die Washington Post ihre Zusammenarbeit mit freien Journalisten in aller Welt verbessern. Ein Jahr lang hat Redakteurin Anne Kornblut als Stipendiatin der Stanford-Universität die Online-Plattform "Talent Network" entwickelt, über die Redaktion und Freelancer "so reibungslos wie möglich" interagieren können.

Während Firmen wie der Fahrvermittler Uber oder TaskRabbit seit längerem erfolgreich Selbstständige und Kunden für alle denkbaren Aufträge zusammenbringen würden, seien die Ideen der talent sharing economy im Medienbetrieb noch nicht ausprobiert worden, erklärt Kornblut in einem Youtube-Video. Mit der neuen Plattform will die Post ihr eigenes Netzwerk an freien Mitarbeitern aufbauen und Daten bündeln: Oft werde am Newsdesk verzweifelt nach einem Reporter in einer Region gesucht - ohne zu wissen, dass ein Redakteur eines anderen Ressorts die passende Nummer im Telefon gespeichert hat.

Also sollen sich freie Journalisten beim "Talent Network" mit ihrem Wohnort, Fachgebiet und Arbeitsproben registrieren. Da sie vor allem bei Breaking News, also nach Schießereien, Unfällen oder Naturkatastrophen, zum Einsatz kommen sollen, werden alle Bewerbungen von einer Redakteurin überprüft. Denn, so das Versprechen, an den hohen professionellen Standards soll sich ebenso wenig ändern wie an der Bezahlung.

Die Initiative zeigt, wie radikal sich die "Post" gewandelt hat

Von anderen Firmenchefs der talent sharing economy hat Kornblut erfahren, wie man freie Mitarbeiter bei Laune hält: Diese erwarten ein nutzerfreundliches System, wollen sich nicht als Einzelkämpfer fühlen - und natürlich genug verdienen. Folgerichtig bietet die Plattform nun die Chance, ganz bequem über einen einzigen Kanal Geschichten anzubieten oder zu sehen, für welche Themen gerade Autoren gesucht werden. Ein ähnliches Werkzeug namens "Freelancer" testet auch das Start-Up Vox Media (The Verge,).

Ob das Talente-Netzwerk die Erwartungen erfüllt, ist wenige Wochen nach dem Start noch offen. Die Initiative zeigt aber erneut, wie radikal sich das Denken bei der Washington Post seit dem Kauf durch Jeff Bezos verändert hat. Der Amazon-Gründer aus Seattle gibt den Redakteuren Zeit und Geld, um Dinge auszuprobieren, mit der die Leserzahlen erhöht werden können. Also wurde ein Digital- und Design-Thinktank in New York gegründet, es wurden mehr Programmierer angeheuert, neue Blogs etabliert und viel Kreativität wurde darauf verwendet, die Artikel gut bei Facebook zu präsentieren.

Dass vieles wie work in progress anmutet, ist gewollt: Die Westküsten-Philosophie, aus dem eigenen Scheitern zu lernen, ist auch in der US-Hauptstadt spürbar. Bei der Post folgt man verstärkt dem Ansatz des design thinking, der ebenfalls an der Stanford-Uni entwickelt wurde. Im Zentrum stehen die Bedürfnisse der Nutzer, die in einem Prozess des Testens erfüllt werden sollen. Anstatt monatelang zu planen und alle Eventualitäten abzuwägen, wird Neues einfach ausprobiert und später angepasst - oft gestützt auf Daten.

Das Talente-Netzwerk der Washington Post verrät auch einiges über die US-Medienkrise: Erstmals erlaubte die Knight-Stiftung, die jährlich etwa 20 Journalisten einen Forschungsaufenthalt in Stanford finanziert, einem Stipendiaten ein Projekt mit dem eigenen Arbeitgeber umzusetzen. Bisher sollten die Fellows eine allgemeine "journalistische Herausforderung" lösen, vor der alle Journalisten stehen. Nun hilft die Stiftung gezielt Verlagen und Sendern dabei, mit der digitalen Entwicklung Schritt zu halten. Denn das wirtschaftliche Überleben ist für viele Medien in den USA und anderswo mittlerweile die größte Herausforderung.

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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