Netflix-Dokuserie:Vom anderen Stern

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"Chef's Table" zeigt, wie Kochfernsehen auch aussehen kann. Als erster Deutscher wird nun Tim Raue porträtiert.

Von David Denk

Fluchen kann Tim Raue ähnlich gut wie kochen. Das eine liegt ihm im Blut, das andere hat er sich hart erarbeitet. Man konnte davon Sonntag bei Kitchen Impossible auf Vox einen guten Eindruck bekommen, davon, in welcher Frequenz dem Berliner Sternekoch Kraftausdrücke über die feine Zunge rollen. Für die Netflix-Dokuserie Chef's Table, die ihn in seinem Kreuzberger Restaurant besucht und ein paar Tage begleitet hat, scheint er sich zusammengerissen zu haben. Da schmeckt mal was "nach nix" oder schlimmstenfalls "Scheiße". Das Ordinärste, was Raue in Chef's Table tut, ist, in einen Döner zu beißen.

In Kitchen Impossible hingegen sollte er auf einem Markt in Marrakesch über Holzkohle eine Tajine, einen traditionellen marokkanischen Eintopf, zubereiten und scheiterte am Feuermachen. Es brannte nicht - und Raue kochte und fluchte. Gewonnen hat er am Ende trotzdem, denn anstatt aufzugeben besorgte Raue sich einen Topf, stellte ihn auf den Herd und näherte sich dem nordafrikanischen Rezept auf die europäische Art. Sein unbedingter Wille selbst den Vox-Zuschauern zu beweisen, was für "ein grandioser Koch" er ist (Raue über Raue), hat ihn mal wieder gerettet.

Pünktlich zum Start der dritten Staffel von Chef's Table ist der Wälzer My Way mit Rezepten und Raues Lebensgeschichte erschienen. Dass er als erster Deutscher in der Netflix-Reihe porträtiert wird und sich nach der 2012er-Autobiografie Ich weiß, was Hunger ist nun schon der zweite Verlag für seinen unwahrscheinlichen Aufstieg vom Kreuzberger Gangmitglied zum internationalen Kochstar interessiert hat, dürfte dem erklärten und passionierten Egozentriker Raue überaus schmeicheln.

Der Koch als Künstler: Vladimir Mukhin aus Moskau gilt als Vorreiter der New Russian Cuisine. (Foto: Roman Suslov/Netflix)

Bei deutschen TV-Köchen weiß der Zuschauer oft gar nicht, wofür sie stehen - außer für viel Ingwer

Außer dem Protagonisten und dem Etikett "Kochfernsehen" allerdings haben die beiden Formate Kitchen Impossible und Chef's Table ungefähr so viel gemein wie das "Restaurant Tim Raue" und "Mustafas Gemüse-Kebab"-Stand am Mehringdamm, vor dem Raue in seinen Döner beißt. Nur keine Missverständnisse: Es geht nicht um die Qualität, sondern um den Charakter. Der Döner ist gut, sonst würde Raue ihn kaum essen, und auch Kitchen Impossible ist so aufwendig und liebevoll produziert, dass es den Deutschen Fernsehpreis 2017 sehr verdient hat. Aber das eine ist eben eine Unterhaltungsshow, ein Duell von Köchen und deren Egos, ein lauter, wilder Trip durch Küchen und Kulturen, und das andere ist eine Pilgerreise, in der als Gastrokritiker verkleidete Anhänger über ihren Guru sprechen und der Guru über sein größtes Kapital: sich selbst.

Auch von Kochshows wie Die Küchenschlacht (ZDF), Das Perfekte Dinner (Vox) und selbst dem ambitionierten The Taste (Sat 1) unterscheidet Chef's Table sich fundamental: Vermitteln all diese Formate das Mantra "Jeder kann kochen", hebt Chef's Table diejenigen auf einen Sockel, die es exzeptionell gut können. Wenn ein Sternekoch-Juror Muttis Frikadellen lobt, geht es um Nivellierung, in Chef's Table geht es um Anbetung. Ist Kochen Kunst? Hier schon. So werden die "Signature Dishes" der porträtierten Köche inszeniert wie Exponate im Museum und diese Tableaus von klassischer Musik begleitet.

Gescheitert wird in Chef's Table nicht, höchstens mal kurz mit sich und der Welt gerungen, um daraus zu lernen und daraufhin umso größer rauszukommen. Diese forciert hervorgehobenen (Pseudo-)Krisen lassen die Karrierewege der Porträtierten mitunter ein wenig holzschnittartig erscheinen. Die Köche mögen um den ganzen Erdball verstreut sein - doch in Dramaturgie und Geisteshaltung ist die Serie des erst 33 Jahre alten Showrunners David Gelb eindeutig US-amerikanisch.

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Bei deutschen Fernsehköchen weiß der Zuschauer zumeist gar nicht, wofür sie stehen - außer für sehr viel Ingwer oder einen bestimmten Dialekt. Die meisten sehen in ihnen sowieso mehr den Promi als den Könner. Bekannt müssen die Protagonisten in Chef's Table nicht sein, aber zwingend relevant. Das Format nimmt sich die Zeit, die Individualität von kulinarischen Handschriften herauszuarbeiten und auch für den interessierten Laien unterscheidbar zu machen. Unterstützt wird dieses Ziel von den Kommentaren der Köche, die dem Gezeigten mit ihrer Stimme eine zweite Ebene geben: Nie vergessen wird man den hypnotisierend-maskulinen Singsang des grillenden Argentiniers Francis Mallmann aus Staffel eins. Tim Raue klingt eher gepresst. Vielleicht ist ihm der ganze Druck auf die Stimme geschlagen.

Chef's Table , abrufbar bei Netflix.

© SZ vom 17.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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