Naturmagazine:Blütenzauber

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Lebenshilfe für Kräuterfrauen und erschöpfte Multitasker: Inzwischen versprechen eine ganze Reihe von Heften ganzheitlichen Rat aus der Wald-und-Wiesen-Apotheke.

Von Werner Bartens

Es ist ein einziges großes Versprechen: Gesundheit und Wohlbefinden aus der Natur. Ob bei Blähbauch, Arthrose oder Menstruationsbeschwerden: Wurzeln, Gräser und Beeren sollen gegen so gut wie alle Zipperlein helfen. Die Deutschen lieben es ganzheitlich, sanft und natürlich - und jetzt setzt auch der Zeitschriftenmarkt verstärkt auf diesen Trend. Burda hat diese Woche den Titel Mein schönes Land Apotheke an die Kioske gebracht. "Gesund durch den Sommer" lautet die Devise, die Startauflage liegt bei 100 000 Exemplaren, viermal im Jahr soll das Heft erscheinen, vermutlich passend zu jeder Jahreszeit. Sonnengegerbte Kräuterfrauen, Dozenten von Heilpflanzenschulen und Tierärzte stehen beratend zur Seite und dürfen für ihre Bücher und Seminare werben. Als Editor-at-Large muss man sich Paracelsus und Hildegard von Bingen vorstellen.

Der Anspruch ist einigermaßen absurd: Der erschöpfte Multitasker, der nach Halt und Haltung sucht, soll innere Mitte und Vitalität bei Kräutersud und Beerenschmaus finden. Doch statt Entschleunigung droht neuer Terminstress, wenn etwa der Heilpflanzenexperte erklärt, zu welcher Tageszeit welches Gewächs besonders prachtvoll im Saft steht. Dann bleibt oft nur ein kurzes Zeitfenster. So öffnet die Königskerze bereits frühmorgens um sechs Uhr ihre Blüten, gegen elf Uhr wird sie schlaff. "Klatschmohn wird morgens, die Nachtkerze abends von Hand geerntet", lautet der botanische Befehl. Was tun, wenn man nur in der Mittagspause schneiden und pflücken kann und das Feuerwerk der Polyphenole und Flavonoide verpasst? Wäre doch schade, wenn die Wirkung der Antioxidantien schwach bleibt, nur weil nicht zeitig der handgeflochtene Erntekorb bereitsteht.

Dass manche Kräuter und Pflanzen Schmerzen lindern und Beschwerden mildern können, ist seit Jahrhunderten bekannt. Kamille, Salbei und Melisse haben seit jeher in jeder Hausapotheke Platz und helfen bei Halsschmerzen und Bauchweh. Stärkere Heilwirkungen sind hingegen fragwürdig bis umstritten. Man würde sich einen unerschrockenen Gesundheitsökonomen wünschen, der die Vor- und Nachteile gegenrechnet, wenn jetzt alle Welt zum Misteln schneiden, Kräuter sammeln und Gräser trocknen ins Grüne zieht. Wie viele Zeckenbisse, Heuschnupfenattacken und Sonnenstiche auf der einen Seite stehen wohl den dezenten Effekten von Blaubeere, Ringelblume und Keuschlamm entgegen?

Man kommt sich während der Lektüre ganz schön blöd vor, Medizin studiert zu haben und nicht Pflanzenheilkunde, Kräuterchirurgie oder Obstorthopädie. Der Blick in andere Hefte aus dem Segment der botanischen Tees, Tinkturen und Kompressen zeigt jedoch, dass die Vielfalt der Natur zwar nahezu unbegrenzt ist, die einschlägigen Halme, Blüten und Blätter aber nur ein ziemlich schmales Reservoir bieten. Natur & Heilen kommt in anthroposophischer Optik und mit allerlei Chakren und Biografiearbeit daher, widmet sich aber auch der "Volkskrankheit Sodbrennen", gegen die Heilkräuter natürlich viel besser helfen als Säureblocker.

Ringelblüte, Lavendel, Weißdorn und Süßholz finden sich neben dem "Alleskönner Hafer" in der Herbstausgabe des Magazins Landapotheke aus dem Landidee-Verlag, das sich nach fünfjährigem Bestehen als "das Original" bezeichnet. Diesen Titel hat das Heft unbedingt verdient, denn wo sonst würden "Kraftsträuße" angeboten werden, zum Beispiel der "Erkenne-dich-selbst"-Strauß aus Echter Schlüsselblume, Echtem Alant und Echtem Beinwell, der "für Klarheit und Selbsterkenntnis" sorgen soll, inklusive "ein wenig Leichtigkeit und Mut zur Distanz".

Mut zur Distanz müssen die realen Landbewohner tatsächlich aufbieten. Ihnen fehlen vor allem Ärzte, Apotheker, Lehrer und bessere Busverbindungen. Zur Landflucht gibt es bisher allerdings noch kein passendes Magazin, obwohl Adressen für Sammeltaxis, mobile Pflegedienste und rollende Supermärkte mehr Service bieten würden als so mancher Kräutersud. Aber es geht ja nicht darum, Lebenshilfe zu verkaufen, sondern die Sehnsucht nach dem einfachen gesunden Leben. Wer einmal beim Ernten und Einkochen und Einwecken auf dem Land mitgetan hat, weiß jedoch, dass dies kein Entspannungshobby für gestresste Besserverdiener ist, sondern ein Vollzeitjob.

Als heißeste Kandidaten für das hübscheste First-World-Problem müssen in Mein schönes Land Apotheke die Rezepte gelten, um dem Hund die Pfoten zu kühlen ("bereiten sie am Vortag einen Tee aus durchblutungsförderndem Rosmarin oder kühlender Minze zu und stellen sie ihn über Nacht in den Kühlschrank") oder der "Herz-Kreislauf-Trunk für Hunde-Senioren" mit Gingko, Weißdorn und Rosmarin. Bei "sonnengeschädigten Katzenohren" beruhigt Aloe-Vera-Gel.

Das ZDF hat die Vertrauenskrise der Schulmedizin ja längst vorausgeahnt und den Landarzt aus dem Programm genommen. Will es den neuesten Trend aufgreifen, sollte es schnell die Serie "Der Naturapotheker" oder "Die Kräuterfrau" auflegen. Zwischen "Natürlicher Hilfe bei Mundgeruch" und Kräuterbalsam "für gesunde Füße" finden sich reichlich Anregungen im Märchenwald der neuen Magazine.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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