Literaturverfilmung:Ein Fall für zwei

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Mal wieder eine Neuverfilmung von Erich Kästners Kinderbuchklassiker "Das doppelte Lottchen" - mit blonden Zwillingen und zumeist stimmigen Modernisierungen.

Von David Denk

Doppelt hält besser - für die Ehe der Eltern von Luise und Lotte (Mia und Delphine Lohmann) galt das leider nicht. (Foto: SWR/Uschi Reich Filmproduktion G)

Der Hilferuf kommt per SMS mit angehängtem Handyfoto: "Wer ist das?", schreibt Luise ihrer Schwester Lotte, als sie, gerade in Frankfurt angekommen, in der Tram dieses Mädchen trifft, das es ärgerlicherweise nicht für nötig hält, sich vorzustellen. "Fanny. Mobbt immer die Ilse! Voll die Dummtrulla!!!", antwortet Lotte aus Salzburg. Und schon ist Luise im Bilde, also soweit man das sein kann, wenn man gerade frisch zu Besuch im Leben eines anderen Menschen ist - und sei es die eigene Zwillingsschwester, mit der man die Identitäten getauscht hat und damit auch Wohnort und Elternteil.

Das doppelte Lottchen ist knapp 70 Jahre nach seiner Veröffentlichung so sehr deutsches Kulturgut, das die allermeisten jetzt schon wissen, worum es hier geht: Erich Kästners Kinderbuchklassiker, der schon wieder neu verfilmt worden ist. Ein gutes Dutzend Adaptionen gibt es bereits, sogar eine japanische - und die Frage ist durchaus berechtigt, ob eine weitere wirklich nötig ist. Die Antwort: Na ja, nötig vielleicht nicht, aber hilfreich, um nachwachsende Generationen für Kästner zu interessieren, wenn nicht gar zu begeistern.

Denn wer die Neuverfilmung zum Anlass nimmt, das Buch mal wieder aus dem Regal zu ziehen, stellt einigermaßen verwundert fest, dass die mit der Geschichte verbundene Wärme nicht zuletzt eine nostalgische ist und Kästners Sprache auf heutige junge Leser mitunter etwas bieder wirken könnte: Da sind Ferienheime "Bienenstöcke des Kinderglücks und Frohsinns" und "Fräulein Ulrike treibt ihre schnatternde Herde vollzählig in den Stall, ach nein, ins Haus". Es ist ein bisschen wie beim Wiedersehen mit Exfreundinnen: So schön wie in der Erinnerung wird es nie wieder.

Das Besondere an Kästner aber ist doch eigentlich, dass er keine nostalgischen Kinderbücher geschrieben hat, sondern klar in seinem Hier und Jetzt verortete. Deshalb wird er überhaupt heute noch gelesen und deshalb haben Neuverfilmungen seiner Werke zeitgemäße Anpassungen verdient. Eine Vergangenheit zu beschwören, die für Kästner die Gegenwart war, wäre wohl kaum in seinem Sinne.

Lancelot von Naso hat in seiner Neuverfilmung nach dem Drehbuch von Niko Ballestrem den Spagat zwischen Tradition und Moderne angestrebt. Bei der Arbeit am Film hätten ihn zwei Fragen begleitet, so der Regisseur laut Presseheft: "Wie hätte wohl Erich Kästner die Geschichte heute erzählt? Und was für einen Film würde ich mit meinen beiden Töchtern heute gerne anschauen?"

Rätselhafterweise fühlt man sich jedoch zumindest am Anfang in die Entstehungszeit der Romanvorlage zurückversetzt: Das Ferienheim, in dem Luise und Lotte unverhofft aufeinandertreffen, sieht aus wie einer Zeichnung von Kästners Illustrator Walter Trier entsprungen, ein heimatfilmartiges Sommerferienidyll am See. Und die engelsblonden Mädchen (Mia und Delphine Lohmann) sehen einander so verdammt ähnlich, dass die Heimleiterin Frau Muthesius ungläubig ausruft "Ich hab doch noch gar kein Likörchen getrunken", und ihr Versäumnis umgehend nachholt. Margarita Broich verleiht ihr den spröden Charme einer alternden Gouvernante - ein hübscher Auftritt, aber letztlich doch Klamauk aus der Mottenkiste.

Die Stärke des Films sind die zumeist stimmigen Modernisierungen. Das Ziel: Kindern von heute den Zugang zur Geschichte von damals zu erleichtern, die gleichwohl keine Geschichte von gestern ist: Als "geradezu visionär" preist Produzentin Uschi Reich, dass Kästner zwei Scheidungskinder ins Zentrum seines 1949 erschienenen Romans gestellt hat: "Hat Kästner damals schon gewusst, dass es einmal eine der Hauptaufgaben der Kindheit sein wird, die Folgen der Trennung der Eltern zu verarbeiten?"

Was zu Kästners Zeiten noch ungewöhnlich war, etwa auch die Berufstätigkeit der Mutter, im Film eine chronisch abgehetzte freie Journalistin und Gründerin des "Vaterseelenallein"-Blogs (Alwara Höfels), ist für viele Kinder heute Lebensrealität. Umso weniger scheut sich der Film, die Eltern (Florian Stetter spielt Vater Jan Palfy als musizierenden Luftikus) als zutiefst verletzt und mit sich selbst beschäftigt zu zeigen. Und diese Erwachsenen, die sich wie Kinder benehmen, zwingen die Kinder dazu, erwachsener zu handeln als ihre Eltern. Die harten Zahlen der Scheidungsstatistik befreien den Film zudem vom Druck, ein Happy End bieten zu müssen. Aber ein bisschen Hoffnung wird ja wohl noch erlaubt sein.

Das doppelte Lottchen , ARD, Sonntag, 14.05 Uhr.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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