E-Books:Herz-Operation

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Heftromane über Ärzte oder Bergpfarrer haben Auflagen in Millionenhöhe, doch das Geschäft mit dem Kitsch ist rückläufig. Nun rüsten die Verlage digital auf.

Von Kathrin Hollmer

Während die Kalbsmedaillons auf seiner Terrasse kalt werden, wird Dr. Norden in ein Hotel gerufen. Eine Frau liegt bewusstlos in ihrem Zimmer. Blinddarmdurchbruch. Die Hotelbesitzerin ist traurig, weil ihre Tochter Sissi mit einem Fremden durchgebrannt ist. Nur auf ihre Angestellte Susi kann sie sich noch verlassen. Und natürlich auf ihren Arzt, Dr. Norden.

Seit 1973 erscheint alle zwei Wochen eine neue Ausgabe der Arztromanserie unter dem Pseudonym Patricia Vandenberg. Seit dem Tod der Autorin Gerty Schiede 2007 schreibt ihre Schwiegertochter unter dem Namen weiter. Dr. Norden ist mit mehr als tausend erschienenen Romanen eine der ältesten Serien aus dem Martin- Kelter-Verlag in Hamburg - und eine der erfolgreichsten: Die Auflage liegt aktuell bei knapp 30 000, insgesamt wurden mehr als 200 Millionen Exemplare verkauft.

Bei Kelter erscheinen neben Heftromanen auch Zeitschriften und Rätselhefte, doch seinen Ursprung hat der Verlag in den Kurzromanen: Arzt-, Heimat- und Adelsgeschichten, Krimis und Western, die auf 60 Seiten passen und am Ende immer gut ausgehen, geschrieben von Autoren mit Pseudonymen, die zum Genre passen: Toni Waicher schreibt den Bergpfarrer, Elena van Wöhren Fürstenkrone, Tessa Hofreiter den Neuen Landdoktor. Während des Zweiten Weltkriegs gründete Otto Melchert den Verlag, überzeugt, dass die Menschen nach Kriegsende Heileweltgeschichten lesen. Er sollte recht behalten. Der Markt meldet beeindruckende Auflagen, auch heute noch. Kelter führt 194 Titel, davon 90 Romanserien, und liefert jede Woche insgesamt zwischen 850 000 und 950 000 Hefte, davon ein Drittel Romane, in den deutschen Zeitschriften- und Bahnhofsbuchhandel, in Urlaubs- und Touristengebiete. Doch die Zahlen waren mal besser.

2012 hat Kelter insgesamt 67 Millionen, 2015 nur noch 46 Millionen Hefte ausgeliefert. Ähnlich geht es dem Konkurrenten Bastei aus Köln, mit dem sich Kelter den Markt teilt. Bei Bastei wird der meiste Umsatz mit Männerromanen gemacht. Aktuell liegt deren jährliche Druckauflage bei 28 Millionen Heften. "Vor fünf Jahren war die Druckauflage etwa zehn Prozent höher, im Verkauf liegt der Rückgang bei ungefähr fünf Prozent", sagt Florian Marzin, der die Abteilung Heftromane bei Bastei leitet. Insgesamt sinken die Auflagen in der Branche etwa seit Ende der Achtzigerjahre.

Wenn man versucht, die Hefte zu kaufen, fällt auf: An Kiosken, in Supermärkten und auch im Bahnhofsbuchhandel sind sie nicht mehr so präsent wie früher. Häufig sind nur einzelne Hefte oder gar keine vorrätig, und wenn, dann oft nicht die aktuelle Ausgabe. "Wir profitieren von einem sehr treuen Leserpublikum, das es oftmals nicht leicht hat, unsere Titel überhaupt am Kiosk zu finden", sagt Mario Melchert. "Die Verteiler werden vom Presse-Grosso überwiegend sehr schmal gehalten. Abo- und Einzelheftbestellungen über Kelter.de steigen dagegen stetig." Auch aus diesem Grund veröffentlichen die Verlage immer mehr Heftromane gleich digital.

Bei Kelter erscheinen seit 2013 einzelne Titel auch als E-Books, darunter Dr. Norden, Sophienlust, Der kleine Fürst und Der Bergpfarrer. 2014 gründeten die Brüder Mario, Oliver und Patrick Melchert, die Enkel von Otto Melchert, den Geschäftsbereich Kelter Digital, der seitdem alle Inhalte des Verlags als E-Books oder E-Paper auf verschiedenen Portalen sowie im eigenen Online-Shop vertreibt. Im Digitalen gehen die Zahlen nach oben. "Die Nachfrage steigt rasant", sagt Mario Melchert. Im ersten Jahr verkauften sie 35 000 digitale Ausgaben, ein Jahr später fast fünfmal so viel.

Bastei veröffentlicht schon seit 2010 Reihen auch digital. Zu Beginn waren 150 Folgen digital verfügbar, heute sind es mehr als 6000. Am erfolgreichsten sind die Serien Der Bergdoktor und Dr. Stefan Frank, aus denen auch im Fernsehen erfolgreiche Serien wurden. "Der Bereich entwickelt sich bei uns konstant, es sind bisher jedoch keine großen Sprünge zu verzeichnen, was sicherlich daran liegt, dass es derzeit noch keinen Online-Shop gibt, der die Fülle an digitalen Serien nutzerfreundlich vermittelt", sagt Sarah Mirschinka, Teamleiterin im digitalen Vertrieb bei Bastei-Lübbe. Die digitalen Inhalte von Bastei kann man in den gängigen E-Book-Shops kaufen, unter anderem im E-Commerce-Shop Beam, den Bastei-Lübbe 2014 übernommen hat.

Allgemein wächst in Deutschland der Umsatz mit E-Books seit Jahren langsam, aber stetig. Davon profitieren auch Heftromane: E-Books sind jederzeit und überall verfügbar, zudem sind sie etwas günstiger als die gedruckten Ausgaben. Dr. Norden kostet gedruckt 1,70 Euro, digital 1,49 Euro.

Auf E-Book-Readern und Tablets erreichen die Groschenromane weitere Leser, aber nicht unbedingt jüngere. "Die Leser unserer digitalen Angebote kommen aus der bürgerlichen Mitte, sind zwischen 50 und 60 Jahre alt und zu 80 Prozent weiblich", sagt Sarah Mirschinka von Bastei. Bei Kelter gibt es noch keine Erhebungen über ihre digitalen Leser.

Beide Verlage planen, ihr digitales Programm auszubauen - die vorhandenen Geschichten aber auch auf anderen Wegen anzubieten. Bastei etwa verkauft seit 2012 übersetzte Romane als E-Books nach China. Bei Kelter sollen Hörbücher das Sortiment ergänzen. "Viele unserer Serien werden von älteren Menschen konsumiert, die manchmal selbst gar nicht so gut mehr lesen können", sagt Mario Melchert. Bastei plant für 2016, weitere 6000 Hefte zu digitalisieren, teils aus der nicht mehr verfügbaren Backlist, teils innerhalb der fortlaufenden Serien.

Neuerdings dienen auch Sado-Maso-Zimmer als Kulisse für die Geschichten

Wo geht die Zukunft hin? Jüngere Leser will man bei Bastei mit interaktiven, "multidimensionalen" Geschichten erreichen. Im April soll dafür die internationale Streaming-Plattform Oolipo starten. Oolipo will Geschichten bieten, die man "lesen, sehen, hören und fühlen kann", wie es auf der Website heißt. Dafür soll es eine Flatrate geben, sozusagen ein "Netflix für Bücher", wie es in der Pressemitteilung heißt. Die Inhalte und Serien sollen auf Smartphones und Tablets abrufbar und größtenteils nur dort erhältlich sein. Ab Juli soll Oolipo vollständig verfügbar sein, in englischer und deutscher Sprache. Gelauncht wird parallel in den USA, Großbritannien, Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Während sich Vertriebswege und Erzählformen verändern, wird an den Inhalten wenig gerüttelt, das Gerüst der Heftromane ist streng wie immer: ein Happy End nach 60 Seiten und auf dem Weg dorthin möglichst viele Wendungen und Hindernisse. Bei Bastei allerdings dienen neben der Praxis des Bergdoktors oder dem Schloss im "Fürsten-Roman" auch Sadomaso-Zimmer als Kulissen: Seit 2013 - zwei Jahre nach dem ersten Band der Erotikschmonzette 50 Shades of Grey - erscheint die Serie Shadows of Love, erst als E-Book, später wegen ihres Erfolgs auch gedruckt. Auch Kelter setzt auf Sex: Seit 2015 erscheint die Erotik-Western-Reihe Cassidy, in der sich der gleichnamige Held der Unterzeile zufolge für Freiheit und Gerechtigkeit einsetzt - und auf den Titelbildern viel nackte Frauenhaut zu sehen ist.

© SZ vom 04.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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