Dokureihe:Eine Nische voll Nachtisch

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In deutschen Kochshows ist Tim Mälzers Spruch "Backen ist nicht Kochen" zur allgemein gültigen Floskel geworden. Den Machern der Serie "Chef's Table" ist das egal: Sie widmen der Patisserie und dem Dessert eine ganze Staffel ihrer aufwendigen Chefkochporträts.

Von Kathrin Hollmer

Auf einen Schaumtupfer aus Schafskäse und eine Kugel Schafsmilch-Eis setzt Jordi Roca eine "Wolke aus Zuckerwatte", die wie Wolle aussieht. Ein Dessert, flüstert der Patissier, "als würde man ein Baby zu Bett bringen". Kochen als Epos, kein Format hat das in den vergangenen Jahren so ambitioniert erzählt wie Chef's Table. Seit 2015 porträtiert die Dokuserie von David Gelb die besten Köche der Welt. Chef's Table ist kein Wettbewerb, darüber sind die Köche, teilweise mit drei Michelin-Sternen dekoriert, erhaben. Es ist eine Verbeugung vor ihrer Kunst - und ein Nischenprogramm. Die meisten der Porträtierten dürften nur Kennern ein Begriff sein. Nach vier Staffeln (eine davon nur mit französischen Köchen) widmet sich die Reihe nun Patissiers. Ansonsten bleibt man beim bewährten Prinzip: Interviews, auch mit Mentoren und Familienmitgliedern, dazu opulente Bilder. Auch die neuen Folgen kommen den Porträtierten sehr nahe. Etwa, wenn sich Jordi Roca aus Girona in Spanien erinnert, dass er, als er im Restaurant seiner älteren Brüder kellnerte, nur deshalb in die Küche wechseln wollte, weil die Kellner am längsten arbeiten mussten. 2014 wurde er als bester Patissier der Welt ausgezeichnet.

Wie in den meisten Staffeln von Chef's Table ist nur eine Frau unter den porträtierten Köchen: Christina Tosi arbeitete für die besten Köche der Welt und eröffnete dann eine Konditorei (mit inzwischen mehreren Ablegern). Statt die Eiscreme zu revolutionieren wie der Sizilianer Corrado Assenza (Folge zwei) oder mit Desserts Geschichten zu erzählen wie Roca, der beim Servieren Mini-Stalagmiten auf den Tellern emporwachsen lässt, backt Tosi Cookies mit bunten Streuseln und Marshmallows.

In der Spitzenküche erfuhr die Patisserie einst wenig Wertschätzung, sogar in Kochshows ist Tim Mälzers "Backen ist nicht kochen" zur Floskel geworden. Im echten Leben freut man sich trotzdem am meisten aufs Dessert, darum eröffnen sogar Restaurants, in denen nur Nachspeisen serviert werden, wie das Coda in Berlin. Was die große Patisserie ausmacht, ist die Liebe zur Perfektion. Genau die vermittelt Chef's Table auch bei Tosi, deren Süßspeisen zwar schlichter aussehen als die der anderen, aber handwerklich perfekt sind. Wem das trotzdem zu abgehoben ist: Seit März läuft auf Netflix Das Gelbe vom Ei, eine Back-Show für Menschen, die nicht backen können.

Chef's Table, auf Netflix.

© SZ vom 18.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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