Deutscher Juristentag:Im Fokus

Lesezeit: 3 min

"Man lernt, Ermittlungserfolge zu vermarkten, indem man die Medieninszenierung bedient": Kameras beim Prozess gegen Jörg Kachelmann. (Foto: dpa)

Spektakuläre Verfahren wie die um Jörg Kachelmann oder Christian Wulff führen regelmäßig zu Medienhysterie. Doch wie viel Öffentlichkeit verträgt ein Strafprozess? Experten suchen Antworten.

Von Wolfgang Janisch

Die Presse hat der Justiz gutgetan und vor allem den Angeklagten. Beim 71. Deutschen Juristentag war es ein Richter des Bundesgerichtshofs, Henning Radtke, der an diese historische Tatsache erinnerte: Der Grundsatz der Öffentlichkeit im Strafprozess war einst eingeführt worden, um die Angeklagten aus den Kerkern einer Geheimjustiz zu holen, wie sie zuzeiten der Inquisition herrschte. "Die Öffentlichkeit ist ein Schutzinstrument zugunsten der Angeklagten." Die Diskussionen der Abteilung Strafrecht beim Juristentag, der an diesem Freitag in Essen zu Ende geht, knüpfen indes an Entwicklungen an, die ein ganz anderes Bild haben entstehen lassen. Die zuverlässig ausbrechende Medienhysterie bei spektakulären Verfahren - von Christian Wulff über Sebastian Edathy und Jörg Kachelmann bis zum Prozess um den Tod der Studentin Tuğçe Albayrak - lässt die Öffentlichkeit weniger als rechtsstaatliche Medizin denn als Krankheit erscheinen, als Gefahr für die Unschuldsvermutung, für die Beweiserhebung, für die Fairness des Verfahrens.

Wobei die Diagnose nicht ganz so einfach ist. Gewiss, es sind die Mechanismen einer beschleunigten, auf eine "Inszenierung nach dem Vorbild von TV-Serien" bedachten Medienwelt, wie Ina Holznagel, Referatsleiterin im NRW-Justizministerium, beobachtet hat. Aber auch die Ermittler trügen mitunter dazu bei, das Geschehen anzuheizen, teils unter dem Druck der Ereignisse, teils aber auch, um die eigene Arbeit ins rechte Licht zu rücken. "Man lernt, Ermittlungserfolge zu vermarkten, indem man die Medieninszenierung bedient."

Für die Juristen folgt daraus eine typische Juristenfrage: Muss man das regeln? Muss ein Paragraf geschaffen werden, um Auswüchse namentlich während des so sensiblen Ermittlungsverfahrens einzudämmen? Denn in dieser frühen Phase eines oft noch ungesicherten Verdachts ist erstens der Beschuldigte besonders schützenswert (Unschuldsvermutung!) und zweitens der Aufklärungserfolg durch Indiskretionen gefährdet. Holznagel berichtete von Finanzermittlungen, bei denen eine Durchsuchungsaktion anstand - die dann hastig vorgezogen wurden, als die Sache an die Presse durchgesickert war.

Mehrere der diskutierten Vorschläge gehen daher vornehmlich in eine Richtung: weniger Öffentlichkeit während dieses "Vorverfahrens". Zwar tendierten die Juris-ten dazu, die wirklich harten Instrumente im Schrank zu lassen: Es solle kein neuer Straftatbestand für "mediale Vorverurteilungen" geschaffen werden, hieß es im vorläufigen Beschlussvorschlag. Doch Karsten Altenhain, Professor in Düsseldorf und Hauptgutachter für diese Abteilung, schlägt eine bundesrechtliche Regelung vor, um die eher vage formulierten Auskunftsansprüche in den Landespressege-setzen zu präzisieren. Kernaussage: Wenn ein Ermittlungsverfahren gegen einen Prominenten anhängig sei, solle die Staatsanwaltschaft von sich aus keinen Hinweis an die Presse geben dürfen. Danach soll die Staatsanwaltschaft zwar auf Anfrage bestätigen dürfen, was ohnehin auf dem Markt ist. Eine Pressemitteilung aus eigener Initiative - nach dem Schema, es werde gegen einen Wettermoderator ermittelt - soll es danach nicht mehr geben dürfen.

Damit hätten die Pressesprecher der Staatsanwaltschaften - die sich bisher auf einem gesetzlich eher schwach geregelten Terrain bewegen - immerhin klarere Kriterien. Aber ließe sich durch einen eingedampften Auskunftsanspruch wirklich etwas gewinnen? Holznagel hegte Zweifel an der Praktikabilität solcher Paragrafen; sie setzt eher auf eine professionalisierte Pressearbeit der Staatsanwaltschaften.

Während die Zeichen in der Frühphase eines Strafverfahrens also eher auf eine Eindämmung der Öffentlichkeit stehen, geht der Trend beim eigentlichen Strafprozess womöglich in die Gegenrichtung. Das Bundesjustizministerium hat vor Kurzem einen Gesetzentwurf vorgelegt, wonach ausgewählte Urteilsverkündungen der Bundesgerichte für Kameras und Mikrofone geöffnet werden sollen. Auch sollen historisch bedeutsame Verfahren für die Nachwelt audiovisuell dokumentiert wer-den; ansonsten ist die Hauptverhandlung tabu. Beim Juristentag waren Stimmen zu hören, die für eine vorsichtige Öffnung plädieren, über den Reformentwurf hinaus. Altenhain hat in seinem Gutachten die These in Zweifel gezogen, dass die Kamera in laufender Verhandlung ein natürlicher Störfaktor sei. "Die Annahme, die Anwesenheit von Kameras könnte das Verhalten der Verfahrensbeteiligten zulasten der Wahrheits- und Rechtsfindung beeinflussen, ist empirisch nicht nachgewiesen", schreibt er. Zwar möchte auch er den Kamerabann für die Zeugenvernehmung im Strafprozess aufrechterhalten. Doch jenseits solcher sensiblen Prozessphasen sollte der Vorsitzende Richter Aufnahmen zulassen dürfen - oder sogar müssen, sofern alle Beteiligten einverstanden seien.

Der Strafverteidiger Gerhard Strate empfiehlt das Jugoslawien-Tribunal in Den Haag als Vorbild: Das Gericht habe die Hoheit über die Kameraführung und könne die Perspektive bestimmen - zum Beispiel den Einsatz eines diskreten Weitwinkel-Objektivs, wenn es gilt, Beteiligte vor Nahaufnahmen zu schützen. "Diese Bilder wären sehr nüchtern", sagt Strate. Vielleicht könne dies sogar dazu beitragen, dass Verhandlungen - anders als in den TV-Shows - wieder in ihrer sachlichen Atmosphäre wahrgenommen würden. Auch Heribert Prantl, Mitglied der SZ-Chefredaktion, plädierte für das "verträgliche und diskrete Filmen in der Hauptverhandlung".

Wie stark freilich die Ablehnung innerhalb der Juristenschaft gegenüber jeglicher Öffnung für die Rundfunkmedien ist, illustrierte die abschließende Abstimmung eindrucksvoll. Jeder Vorschlag, der irgendwie nach Kameras im Gerichtssaal aussah, wurde abgelehnt, einige nahezu einstimmig. Nicht einmal eine Videoübertragung in einen Gerichtssaal fanden die Juristen akzeptabel. Nur ein Vorschlag, der die Bundesgerichte betraf, fand eine - nicht sonderlich beeindruckende - Mehrheit. Der entsprach im Wesentlichem dem, was ohnehin Gesetz werden soll.

© SZ vom 16.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: