Dauersendung:Geweihe im Schneesturm

Lesezeit: 2 min

Viel Landschaft, wenig Handlung, das hat stets funktioniert. Bis die Rentiere kamen und den Zeitplan sabotierten. (Foto: NRK)

Slow TV unterbricht die Live-Übertragung einer Rentierwanderung, weil die Tiere trödeln. Auch die Entschleunigungs-Lust der Norweger hat ihre Grenzen.

Von Silke Bigalke

Die Rentiere waren selbst fürs Slow TV zu langsam. Am Sonntagnachmittag lagen sie lange Zeit wieder nur da, Hinterteile in den Wind gedreht, und bewegten sich kaum. Man sah: Geweihe im Schneesturm, live im norwegischen Fernsehen.

Die Rentierherde ist auf Frühjahrswanderung durch Finnmark, Nordnorwegen. Sie verlässt die Weiten der Hochebene und wandert Richtung Norden zur Küste, wo das Gras im Sommer grüner ist. Der Sender NRK 2 begleitet sie auf ihrem Weg, überträgt in Echtzeit, jede Minute live.

Reinflytting - minutt for minutt ist das 17. Projekt der Slow-TV-Reihe. Viel Landschaft, wenig Handlung, das hat stets funktioniert. Doch die Rentiere liegen so hoffnungslos hinter dem Zeitplan, dass die Übertragung in der Nacht zum Montag nach sieben Tagen Dauersendung ausgesetzt worden ist. Fünf bis sieben Tage waren eingeplant, am Sonntag spätestens hätten die Tiere ihr Ziel erreichen sollen.

2009 hatte es noch so einfach angefangen, mit der Bergensban. Die Macher hängten eine Kamera vorne an den Zug von Oslo nach Bergen. Sieben Stunden und 16 Minuten lang Gleise und ganz viel Natur, Rekordquote. Dann die Hurtigruten-Postschiffstrecke von Bergen nach Kirkenes, fünfeinhalb Tage Wasser und Küste, streng nach Fahrplan, Marktanteil: 36 Prozent.

Doch die 1500 Rentiere sind schon mit Verspätung gestartet, zu kalt, zu viel Schnee, was die Futtersuche erschwert. NRK wollte sie die letzten 100 Kilometer ihrer Wanderung begleitet, vom See Iešjávri auf dem Hochplateau bis zur Insel Kvaløy, auf der auch Hammerfest liegt. Auf dem Weg durchs raue Lappland gibt es keine Straßen, keine Übertragungswagen, manchmal auch kein Funksignal. Deswegen hat das Team Spiegel aufstellt, um das Signal zu reflektieren. Die Regie wurde in einem Gumpi untergebracht, einer Art Miniwohnwagen, den die Rentierzüchter auf Skiern hinter ihren Schneemobilen herziehen. Von Schneemobilen aus haben die Kamerateams gefilmt, sie haben Drohnen benutzt und dem kleinen Muzet, einem leidlich zahmen Rentierbullen, eine Kopfkamera verpasst. Muzet hatte zwar bald genug von der Kamera. Die Bilder der Reise sind trotzdem wunderschön geworden.

Wenn die Rentiere am Ende eine Meerenge durchschwimmen, will Slow TV wieder auf Sendung gehen, fürs große Finale. Pausen und Höhepunkte sind neu im Sendungskonzept: Bisher mussten die Zuschauer ohne beides durchhalten, 18 Stunden angelnde Lachsfischer, acht Stunden brennendes Feuerholz, zwölf Stunden strickende Strickerinnen. Sie werden dabei irgendwie hineingezogen in die Ereignislosigkeit, spinnen sich ihre eigenen Geschichten. Auch dieses Mal schauen nach ersten Zahlen wieder Million zu. Nebenher diskutieren sie online darüber, wann die Rentiere die Straße E6 überqueren, ob ihnen jemals kalt wird und wann sie endlich im Meer baden und NRK wieder zuschaltet. Könnte Mittwoch, Donnerstag oder Freitag sein, schreibt der Sender, genau wüssten das nur die Rentiere.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: