Auftakt des Branchentreffs:Das gute Gefühl von Unbehagen

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Die Münchner Medientage suchen nach kreativer Zerstörung. Miriam Meckel hält eine fabelhafte Rede über Online-Werbung und Moderator Thomas Gottschalk ist die Disruption in Person.

Von Claudia Tieschky

Ein Kongresstitel wie "Digitale Disruption" legt eigentlich nahe, dass die Branche eher abstrakte Probleme hat. Offensichtlich stimmt das sogar für viele: Exakt zur Eröffnung der Münchner Medientage am Mittwoch meldete der Privatsenderverband VPRT, dass die Umsätze der audiovisuellen Medien in Deutschland 2015 erstmals über zehn Milliarden Euro liegen werden. Und natürlich ist das Schicke an der Rede vom kreativen Zerschmettern ja vor allem der Imagewandel; Veränderung wird von der Bedrohung zur lustvollen Betätigung umgewidmet. Eigentlich wäre dann also alles gut, nein, sogar noch besser: Jeder, der etwas auf sich hält, will heute ein bisschen Zerschmetterer sein.

Auf jeden Fall war man froh um den wie immer sehr unabstrakten Unterhalter Thomas Gottschalk als Moderator, der gleich erklärte, seine Karriere als eigentlich als Radiomann und "Feind des Fernsehens" begonnen zu haben. Gottschalk ist also selbst eine Disruption, aber keine digitale, weil er schon schwer auf die Rente zugeht.

Richtig gemein unabstrakt war auch Miriam Meckel, die am Podium ein Foto machte von den vielen Anzugträgern im Publikum - sicher alle im Herzen kleine Zerschmetterer - um, wie sie sagte, festzuhalten, "wie 22 Prozent Frauenquote aussehen". Diesen Wert erreichen die Medientage bei der Besetzung auf den Podien. Es gibt also noch viel zu zerstören. Obwohl, disruptieren klänge weniger gefährlich.

Moderator Thomas Gottschalk ist hier die Disruption in Person

Die Chefredakteurin der Wirtschaftswoche trug eine fabelhafte Rede vor, die vom aktuellen Konflikt zwischen werbebasierten Geschäftsmodellen und dem rasanten Zulauf für Adblocker ausging, aber weit grundsätzlicher wurde. Von Werbung, wie sie heute ist, werde man als Nutzer ununterbrochen angeschrien im unerträglichen Stil einer "Resterampe der digitalen Zerstreuung". Dagegen setzte sie Angebote wie den aufstrebenden Wirtschafts-Newsletter Quartz, der Werbung sparsam, aber vor erwiesen kaufkräftigem Publikum platziere. Meckel fordert ein Internet, in dem der Nutzer "Inspiration gegen Bequemlichkeit" tauscht. Das erfordere Lernzeit und Konzentration, es wäre aber ein Netz, das dem Menschen entspreche und nicht der "biologischen Verödung" Vorschub leiste, wie Meckel es unter Berufung auf den amerikanischen Publizisten Tim Wu nennt. Sie argumentiert also vergleichsweise konservativ für die klassische Aneignung von Technologie und Inhalten statt der Entmündigung durch eine Technologie, die dem Menschen alles bietet, nur nicht das eigene Suchen und Fragen. Wenn man das zu Ende denkt, zielt es letztlich sogar gegen das Internet der Monopolisten, wie wir sie heute kennen. Während Amazon von einem Prinzip wie dem Anticipatory Shipping träume, also der datenbasierten Lieferung von Produkten, die man noch gar nicht bestellt hat, stelle sich immer mehr eine grundsätzliche Frage, sagte Meckel: "Ob wir immer noch der Meinung sind, dass Medien über unsere Präferenzen hinaus etwas bieten".

Vom Wert der Unbequemlichkeit sprach später auch Roy Price, Vice President der Amazon Studios, wo Serien wie Transparent oder aktuell The Man in the High Castle (und die sich ausmalt, was wäre, wenn die Nazis den Krieg gewonnen hätten) enstehen. Du musst dich immer ein bisschen unsicher und unbehaglich fühlen, sagte Price, der wahrscheinlich als Verkörperung erfolgreicher Disruption eingeladen war.

Bei den gezeigten Serien-Trailern "geht mein Biorhythmus gleich nach oben", erklärte Constantin-Vorstand Fred Kogel beim anschließenden TV-Gipfel. Bei dem erbat Thomas Gottschalk am Schluss allen Ernstes von allen Teilnehmern ein Statement zum Thema: "Warum ich unbesorgt bin und freudig."

© SZ vom 22.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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