Arte: "Cameraperson":Bilder von ihr

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Die Kamerafrau Kirsten Johnson hat die ganze Welt bereist, mit Jacques Derrida gedreht und für Filmemacher wie Laura Poitras ihre Bilder eingefangen. Eine bewegende Dokumentation widmet sich nun ihrem Leben außerhalb des Scheinwerferlichts.

Von Hans Hoff

Wenn eine Dokumentation läuft, stehen meist die Regisseure und die Autoren im Licht des Interesses. Ihnen wird der Film zugeschrieben. Die Menschen hinter der Kamera finden selten Erwähnung, sie stehen im Abspann, obwohl es sehr oft an ihnen liegt, ob eine Dokumentation wirklich gelingt. Kirsten Johnson hat in den vergangenen 25 Jahren die Kamera für etliche Dokumentationen bedient, hat mit Jaques Derrida gedreht und Citizenfour mit Laura Poitras. Kirsten Johnson war an unzähligen Orten im Einsatz. Sie hat in Jemen gefilmt, in Darfur und in Ruanda, in Alabama, Bosnien und Afghanistan. Sie war da, wo die Menschen großes Leid ertragen mussten. Sie war da und hat oft die Kamera länger laufen lassen als es für den späteren Film nötig war.

Aus dem, was da zwangsläufig übrig blieb, hat sie Cameraperson gefertigt, eine 105 Minuten lange Dokumentation, die zahlreiche Preise gewonnen hat und nun im Rahmen des Arte-Jubiläums erstmals im deutschen Fernsehen zu sehen ist. Der Film hüpft scheinbar wahllos von Drehort zu Drehort, von Kontinent zu Kontinent und erfordert deshalb anfangs etwas Anstrengung. Es gibt keine einordnende Off-Stimme, nur ein paar Inserts. Und die Stimme von Kirsten Johnson, die in ihrer Position hinter der Kamera spricht. Man hört sie lachen, man hört sie fragen. Was ist mit dem Nebel? Geht der weg? Soll der aufs Bild? Einmal hört man ihre tränenerstickte Stimme, als sie einen Jungen interviewt und der berichtet, wie er und sein Bruder von einer Rakete getroffen wurden.

Vor einem Gefängnis in Jemen filmt sie heimlich. Ihr Fahrer tut so, als kaufe er Wasser. Entertainmentfilme könne man machen, hat er gesagt, aber nichts Journalistisches. Dann wird das Auto von Soldaten angehalten. Schnitt. Anderer Kontinent, andere Situation. Wie das in Jemen ausging, bleibt offen.

Vor allem viele Frauen erzählen Kirsten Johnson ihre Schicksale

Zu sehen ist Kirsten Johnson nicht, wenn man mal von ganz kurzen Szenen absieht, in denen man ihren Schatten bemerkt, in denen sie ganz kurz zu erblicken ist, als sie daheim in den USA die Kamera weit von sich weghält, um ihre an Alzheimer erkrankte Mutter zu filmen.

Es geht viel um Frauen in diesem Film. Es geht um Frauen, die Leid zu ertragen hatten und haben. Johnson ist bei ihnen. Wenigstens für den Moment. Sie und ihre Kamera hören zu. Bei manchen Frauen, die von Seelennöten oder erlittenen Verbrechen erzählen, filmt sie nur die gestikulierenden Hände.

Aber es geht auch um Kirsten Johnson selbst, um ihre Wahrnehmung. Einmal sitzt sie mit Frauen zusammen, die sie Jahre zuvor schon mal gefilmt hatte. Es sind Frauen, die Furchtbares durchgemacht haben. Johnson erzählt ihnen, wie sie daheim in den USA einer Freundin den fertigen Film über eben diese Frauen übergab und sagte, es seien sehr schöne Blaubeeren zu sehen. Dass es um großes Leid ging, hatte sie völlig verdrängt. Möglicherweise gehört das zum Job, Dinge verdrängen zu können, wenn man immer wieder in Krisengebieten Furchtbares dokumentieren muss.

Einmal wird es trotzdem sehr hart. Da filmt sie eine Hebamme in Nigeria. Die Frau hat ein Baby auf dem Arm. Das Baby braucht Sauerstoff, aber es gibt kein Sauerstoffgerät. Man spürt die Verzweiflung der Hebamme. Aber auch ihren unbedingten Willen. Sie will dieses kleine Leben retten, sie rennt raus, die Kamera hinterher. Sie kommt wieder, aber die Verzweiflung ist immer noch da. Man merkt die Verzweiflung auch der Kamerafrau an, die nicht weiß, was zu tun wäre, um dieses kleine Leben zu retten. Kirsten Johnson kann später wieder abreisen. Die Zustände aber bleiben.

Cameraperson , Arte, Nacht zu Dienstag, 0 Uhr.

© SZ vom 29.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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