ARD: "Kaltfront":Freigang

Lesezeit: 1 min

Im deutschen Fernsehen werden die meisten Filme um ein aktuelles Thema herum gestrickt. "Kaltfront" erzählt eine angenehm zeitlose Geschichte.

Von Katharina Riehl

Filmen im deutschen Fernsehen sieht man allzu oft an, wie sie entstanden sind. Ein Redakteur oder ein Autor hat die Idee, aus einem gesellschaftlich relevanten Thema zwischen Jugendkriminalität und TTIP einen Spielfilm zu bauen, die Botschaft wird in eine Geschichte verpackt und für das Publikum möglichst quotenschonend aufbereitet. Der Themenfilm ist neben dem Krimi derzeit das beliebteste Genre deutscher Fernsehmacher. Ihre Themen sind oft wichtig. Die Filme aber sind es zu selten.

Wie außergewöhnlich es ist, wenn im deutschen Fernsehen Geschichten einfach um ihrer selbst willen erzählt werden, das merkt man immer erst, wenn man mal wieder einen dieser seltenen Ausnahmefilme zu sehen bekommt. Am Mittwoch zeigt die ARD Kaltfront , produziert vom Hessischen Rundfunk, der es verglichen mit den anderen Sendeanstalten bemerkenswert oft schafft, das bewährte Muster von Krimis und Problemfilmen zu durchbrechen.

Kaltfront (Buch und Regie: Lars Henning) erzählt aus unterschiedlichen Perspektiven von ein paar verhängnisvollen Tagen, von ein paar Menschen, die in sehr kurzer Zeit verhängnisvolle Entscheidungen treffen. Judith Schering (Jenny Schily) saß 16 Jahre lang im Gefängnis, als sie an einem kalten grauen Tag ihre ersten Schritte in eine geliehene Freiheit geht. Judith ist seit ein paar Stunden Freigängerin, soll in einem Sonnenstudio jobben, einem Ort also, an dem sich Menschen ein helleres Leben leihen können. Vor allem aber will sie Kontakt mit ihrer erwachsenen Tochter Anna (Lana Cooper) aufnehmen.

Judith, das kann man verraten, hat vor 16 Jahren eine Bank überfallen, dabei kam nicht nur der Direktor des Geldinstituts ums Leben, sondern auch ein Wachmann. Die Söhne der beiden Männer, der ziellos durchs Leben streunende Bankenerbe David (Christoph Bach) und der stotternde Teenager Jan (Leonard Carow), erfahren vom Freigang jener Frau, die ihnen einst den Vater nahm. Für alle vier Figuren bedeutet der Freigang, sich plötzlich und heftig mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen zu müssen. Am Ende laufen sie alle durch die Nacht, alle auf der Suche nach einem neuen Anfang, alle für immer gezeichnet von den Ereignissen, die Judith ins Gefängnis brachten. Kein öffentlich-rechtlicher Themenabend. Eine existenzielle, zeitlose Geschichte.

Kaltfront , ARD, Mittwoch, 20.15 Uhr.

© SZ vom 03.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: