Abschied:Ende einer Charmeoffensive

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"Ich verneige mich, es war mir eine Ehre", sagte Kai Diekmann. Und was kommt jetzt? (Foto: Stefanie Loos/Reuters)

Kai Diekmann verlässt Axel Springer nach 30 Jahren mit ungenanntem Ziel. 15 Jahre war er "Bild"-Chef. Und was kommt jetzt? Möglich ist vieles.

Von David Denk

Zehn Minuten dauerte der letzte große Auftritt von Kai Diekmann in der Bild-Redaktionskonferenz am Freitagvormittag um 11 Uhr. Der Andrang war groß, wie Teilnehmer berichten, denn es mussten wichtige Neuigkeiten sein, die der Herausgeber, ein seltener Gast in dieser Runde, unbedingt noch vor dem Jahreswechsel loswerden wollte. Und die Neugier der Anwesenden wurde nicht enttäuscht: Diekmann, stellenweise sichtlich bewegt, kündigte am "Balken", seiner früheren Wirkungsstätte, an, Bild und Axel Springer zum 31. Januar 2017 mit ungenanntem Ziel zu verlassen, "auf eigenen Wunsch", wie der Verlag in einer parallel zu Diekmanns Auftritt verschickten Pressemitteilung klarstellte. Diekmann sagte vor den überraschten Mitarbeitern: "Was ich für die roten Marken tun konnte, ist getan", entschuldigte sich bei den Leidtragenden für die eine oder andere Ungerechtigkeit und verabschiedete sich mit den Worten: "Ich verneige mich, es war mir eine Ehre." Daraufhin soll die Redaktion ihrem langjährigen Chef stehend applaudiert haben.

In seiner Zeit bei der "Bild" hat Diekmann sich selbst wohl noch stärker gewandelt als das Blatt

Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner erklärte am Freitag, es sei vor allem Diekmann zu verdanken, dass Bild heute "Trendsetter des digitalen Journalismus" sei und "eine hochprofitable Multimediamarke". Weder er noch der für die Bild-Gruppe zuständige Vorstand Jan Bayer waren wegen Urlaubs in der Redaktionskonferenz zugegen. Spekulationen, der Abschied Diekmanns könnte vielleicht nicht ganz so harmonisch abgelaufen sein, wie von der Pressemitteilung behauptet, dementierte eine Springer-Sprecherin auf Anfrage entschieden: Von einem Zerwürfnis könne absolut keine Rede sein.

30 Jahre nach seinem Einstieg als Parlamentskorrespondent für Bild und Bild am Sonntag in Bonn endet die von einem Intermezzo bei der Bunten unterbrochene steile Karriere von Diekmann bei Springer nun recht plötzlich, zumindest für Außenstehende. Aus der Springer-Pressestelle heißt es, die Entscheidung sei schon vor über einem Jahr getroffen worden. Zum 1. Januar 2016 hat Diekmann die Bild-Chefredaktion an Tanit Koch (Print) und Julian Reichelt (Online) übergeben. Und "Kernauftrag" seiner von Anfang an zeitlich befristeten Herausgeberschaft sei es gewesen, diesen Übergang zu organisieren. Hatte er die Herausgeberrolle gegenüber seiner Mannschaft anfänglich noch als "Satellit über euch" umschrieben, erklärte Diekmann am Freitag, er wisse Bild, Bild am Sonntag und B. Z. bei seinen Kollegen "in den allerbesten Händen", sodass er sich nun neuen Aufgaben stellen könne.

15 Jahre war Kai Diekmann Chefredakteur der größten Boulevardzeitung Europas - so lange wie niemand vor ihm und womöglich auch nach ihm - und hat sich selbst in dieser Zeit wohl noch stärker gewandelt als das Blatt, das er verantwortet hat: Am auffälligsten war sicher das äußerliche Umstyling vom Lackaffen zum Zottelbart-Hipster während seines Fortbildungsjahrs im Silicon Valley 2012, in dem er sich als Digitalversteher neu erfunden hat. Das war sowieso immer seine Stärke, die er auch auf die Marke Bild zu übertragen wusste. Seine Amtszeit war eine groß angelegte Charmeoffensive für den Springer-Boulevard, er wollte die "Schmuddelkinder" salonfähig machen und suchte auch den Kontakt zu prominenten Kritikern wie Günter Wallraff. 2009 betrieb Diekmann in diesem Sinne einen Blog, über den sich die gesamte Medienbranche amüsierte, auch diejenigen, die sich eigentlich drüber ärgern wollten; nach 100 Tagen machte er ihn wieder dicht. Heute hat er einen Twitter-Account, über den man gut nachverfolgen kann, wie er in den letzten Monaten als Springer-Handlungsreisender um die Welt getourt ist. Er sei nahbarer geworden, entspannter, sagen Menschen, die ihn aus der Arbeit kennen.

Journalistisch hat Diekmann bei Springer zweifellos alles erreicht, wie auch von Verlagsseite betont wird, als Herausgeber gelangen ihm noch Exklusivinterviews mit Putin, Obama und Co. - doch was, wenn ihm das nicht gereicht hat? Es gilt als offenes Geheimnis, dass Diekmann die Krönung seiner Ambitionen bei Springer verwehrt blieb. Er wollte immer in den Vorstand. Daraus wurde nichts. Kam dazu nun womöglich ein neuerlicher Dämpfer?

Will man an diesem Freitag erfahren, was nun aus Kai Diekmann werden könnte, dann hört man die vielfältigste Spekulationen von Menschen, die ihn kennen: Holt Diekmann sich die verwehrte Krönung nun in einem anderen (Medien-)Unternehmen? Gründet er selbst eines? Oder nutzt der Kohl-Intimus seine unzähligen Kontakte, nationale wie internationale, für einen Wechsel in die Politik? Konkretes weiß offenbar niemand, viele wirken überrascht von dem plötzlichen Abgang.

Für Diekmann gilt in seiner Zeit nach Springer genau wie in der bei Springer: Ihm ist (fast) alles zuzutrauen. Entsprechend schießen die Spekulationen über seine berufliche Zukunft ins Kraut - auch weil er selbst sich am Freitag nicht dazu äußert. Lediglich eins kann sich niemand vorstellen, mit dem man über Diekmann spricht: dass der sich im Alter von nur 52 Jahren zur Ruhe setzt und die Tage künftig Räsen mähend auf seinem Potsdamer Anwesen zubringt.

© SZ vom 31.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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