Zukunft der Mode:Haute.Couture.Com

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Wer heute über Mode im Internet die Nase rümpft, könnte morgen allein im leeren Laden stehen.

Julia Werner

Paris war schon immer für die eine oder andere Revolution gut: Zum Beispiel in den 20ern, als Coco Chanel die Frauen vom Korsett befreite. Oder in den Achtzigern, als die Japaner Yohji Yamamoto und Rei Kawakubo die französischen Edelschneider mit extrem dekonstruierter Avantgarde alt aussehen ließen.

Finden Modenschauen bald nur noch im Internet statt? Oder werden Models auch weiter über den Laufsteg laufen, wie hier in Stiefeln von Miss Sixty. (Foto: Foto: AP)

Auch die British Rock Invasion kann man noch als solche gelten lassen: John Galliano, Julien McDonald und Alexander McQueen, die aussahen, als würden sie nach Bier riechen, kamen Ende der Neunziger, entstaubten die französischen Marken, auf die die Nation stolz war - und blieben.

Seitdem dümpelt die Mode so vor sich hin - ein 80er-Revival hier, ein paar 50er-Röcke dort - aber kein wirklicher Richtungswechsel, keine neue Idee davon, wie wir uns in Zukunft anziehen werden. Man könnte auch sagen: Die Mode weigert sich seit Jahren, ihre angestammte Aufgabe als Sprachrohr des Zeitgeists zu erfüllen.

Deshalb kam der lästerlichen Fashionszene eine Neuigkeit gerade recht, die sich während der jüngsten Haute-Couture-Schauen in Paris sofort unter heftigem Plateauschuhscharren in den Sälen verbreitete: Giorgio Armani übertrug die Präsentation seiner Haute-Couture-Kollektion Armani Privé live. Im Internet.

Für das gewohnt notorisch gelangweilte Publikum reichte das als Tabubruch und somit - jawohl - zur Revolution. Haute Couture, die höchste Schneiderkunst, maßgefertigt für nur ungefähr 300 Kundinnen auf der Welt - einfach so? Im vulgären Internet? Darf man das?

In Wirklichkeit ist das eine ziemlich blöde Frage, denn jeder weiß: Mit Haute- Couture-Kollektionen ist heute kein Geld mehr zu verdienen. Haute Couture ist Werbung, Imagepolitur. Und der kluge Schachzug des Modedemokraten Giorgio Armani, diese Werbefläche auch global zu nutzen, eigentlich nur logische Konsequenz.

Die Frage ist auch hinfällig, weil Mode auf hohem Niveau im Internet längst stattfindet.

Man besucht mindestens einmal pro Tag die Website style.com, wo sich alle Fashion-Shows in Ruhe noch mal anschauen lassen. Der Fotograf Scott Schuman ist in Modekreisen eine Berühmtheit, weil er als "Sartorialist" (wie der gleichnamige Blog) sehr gut gekleidete Menschen auf der Straße fotografiert und das sofort auf seiner Website veröffentlicht, was inspirierender ist als die Modestrecken im Knebel von Anzeigenkunden, wie man sie von einschlägigen Magazinen her kennt.

Es geht nicht mehr um Vogue, Elle, New York oder Tokio - die neuen Gruppen, zu denen man gehören will, sind global. Victoire de Castellane, die große Schmuckdesignerin von Dior, lud kürzlich zur Präsentation der neuen High-Jewellery-Kollektion ein: nach Belladone Island, einer hübschen Insel in der allerdings virtuellen Welt von secondlife.com.

Hier verkauft Nike auch schon Turnschuhe: Man bezahlt ganz einfach mit Lindendollar, der Währung auf Secondlife, darf sie dann digital auch schon mal tragen - bevor sie im ersten Leben nach Hause geliefert werden.

Shopping im Internet ist generell nichts Neues. Fabrikantengattinnen auf dem Lande beziehen ihre Dosis Jimmy Choo schon lange bei netaporter.com oder yoox.com - der wohl erfolgreichsten Shoppingwebsite der Welt. Wer hier ordert, bekommt nicht nur Designer zu Outletpreisen, sondern auch exklusive Sonderkollektionen, zum Beispiel von Jeremy Scott.

Längst haben zahlreiche Luxushäuser die Entwicklung eines virtuellen Ladens bei Yoox in Auftrag gegeben - der erste, marni.com, ging schon letztes Jahr online. Man kann sich Kombinationen zusammenstellen, in Handtaschen schauen - oder sich mit Imagefilmen erst mal in die richtige Marni-Stimmung bringen. Yoox ist ein Spezialist in der Erschaffung virtueller Welten, die dem Original möglichst nahekommen.

Bleibt die Frage, ob wir das überhaupt wollen. Ist Mode nicht etwas, das man nicht nur sehen, sondern vor allem auch fühlen, erleben muss? Woher soll ich wissen, ob der Kaschmirpulli wirklich weich genug ist, ob die Stiefel an meinen Beinen cool aussehen?

"Das sieht man ja dann zu Hause. Und zwar, bevor man bezahlt hat. Ich glaube, reale Läden werden überbewertet. Man findet kaum kompetente Verkäufer, und man muss sich viel schneller entscheiden als bei einer Bestellung im Internet. Und meistens führt dann kein Weg zurück", sagt Yoox-Erfinder Federico Marchetti.

Trotzdem: Ist es nicht schöner und auch leichter, die Kreditkarte zu zücken, wenn uns unzählige Duftkerzen "Dior 30 Montaigne" das Gehirn vernebelt haben, anstatt in Jogginghose und bar jeder Contenance vor dem Computer? Was ist mit dem Adrenalinausbruch danach, dem Hochgefühl, eine himmelblaue Lanvintüte mit Schleife noch ein bisschen durch die Gegend zu tragen, bevor wir den Heimweg antreten?

Genau das ist der Punkt. Wenn wir mal ehrlich sind, haben uns die großen Modehäuser in den vergangenen Jahren nichts weiter verkauft als Anteile an ihrer Luftblase. Wen interessiert die 1000-Euro-Chanel-Bluse noch, wenn sie erst mal im Schrank hängt? Das heißt natürlich nicht, dass jetzt niemand mehr zum Shoppen nach Paris fliegen soll. Es gibt schließlich schon genug komplett vom Rest der Welt abgeschirmte Menschen, die sich nur noch in der virtuellen Welt zu Hause fühlen.

Es heißt einfach nur, dass Designer, und Kunden, die jetzt über Armani die versnobten Nasen rümpfen, nicht ewig an etwas festhalten können, was jahrelang perfekt funktioniert hat: dem Verkauf des reinen Images. Statt in Retro-Phantasien im Duftkerzenaroma zu versinken, wird man sich auf den nächsten Schritt in die Zukunft konzentrieren müssen: den ins digitale Zeitalter. Und der ist mit der Einrichtung eines Virtual Stores noch nicht annähernd vollendet.

Während der jüngsten Prêt-à-Porter-Schauen sah man zwar lauter Robocops und von "Star Wars" inspirierte Outfits (zum Beispiel bei Balenciaga). Solcherlei Zukunftsvisionen sind leider nur auf die Hülle reduziert.

Ein Designer, der schon weiter gedacht hat, ist Hussein Chalayan: Er schickte vier Space-Outfits mit Funktion auf den Laufsteg. Man ahnte gar nichts Böses, und plötzlich war es soweit: Das Kleid eines Models bewegte sich ohne ihr Zutun direkt in Richtung Kopfbedeckung, in der es dann auch verschwand. Eine ganz konkrete Vision dessen, was, wenn es nach Francis Corner, Direktorin des London College of Fashion, geht, bald Realität sein wird: Designer werden zu Ingenieuren, Kameras und Telefone in unsere Kleidung integriert.

Vielleicht werden Jacken auf unsere Stimme hören, sie werden unsere Körpertemperatur ausgleichen und unsere Lieblingsserie downloaden. Nicht jede Art von Kleidung wird das können müssen, aber wir werden ein völlig neues Verständnis von Mode bekommen: Es wird weniger um Oberflächen gehen, dafür mehr um Inhalte.

"In naher Zukunft werden wir 3D-Drucker zu Hause haben - und so direkt in den Produktionsprozess eingreifen können", skizzierte Francis Corner die Zukunft der Mode auf dem Digital Lifestyle Day. "Und dann wird es bei der Mode um das Reparieren gehen, und nicht mehr ums Wegwerfen."

Das heißt: Die Tatsache, dass wir uns lieber bei Givenchy mit Champagner besaufen, als vor dem Computer zu sitzen, interessiert dann niemanden mehr. Die heutigen Shopping-Websites, auf denen die Konsumenten eigene Kollektionen zusammenstellen können, sind nur eine banale Vorstufe dessen, was da auf uns zukommt. "Fashionable body area network" nennt Corner das, was künftig unsere Wahrnehmung in Sachen Mode bestimmen wird.

In den Köpfen von Ingenieuren und Wissenschaftlern ist das längst angekommen - aber wie werden die Designer damit umgehen? Wird Mode nur noch praktisch sein? Laufen wir bald alle in Nutzkleidung herum, um uns vor den Folgen des Klimawandels zu schützen? Vom Revival zur Revolution: das ist semantisch nur ein kleiner Schritt, der große folgt dann auf dem Fuß.

© SZ am Wochenende vom 3.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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