Werbung und Nacktheit:Free Willie!

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Luxusmodemarken werben immer ungenierter mit dem besten Stück des Mannes. Geht das zu weit oder nicht?

Miriam Stein

"Männer sind unsicher; Männer sind definitiv das schwächere Geschlecht, und der Grund für ihre Schwäche ist ihr Pimmel.'' Dieser Satz stammt nicht etwa von einer Frau, sondern von einem Mann: Im Interview mit der britischen Zeitung The Daily bilanzierte der Journalist Colin McDowell seine Beobachtungen über das Verhalten seiner Geschlechtsgenossen. Der blasse, rothaarige Brite im Nadelstreifenanzug könnte auf den ersten Blick auch Parlamentsabgeordneter oder Rechtsanwalt sein. McDowell aber ist seines Zeichens Senior Fashion Editor des Style-Ressorts der Sunday Times, Gastprofessor an der Londoner Central St. Martins School und Mitbegründer der London Fringe Fashion Week, bei der Nachwuchsdesigner die Mode von übermorgen zeigen. McDowell zählt zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Branche: Seit 30 Jahren berichtet er über Trends und Tendenzen, und veröffentlichte bislang 16 Bücher mit dem Schwerpunkt Männermode.

Eine fiktive Wodka-Werbung aus der Serie "Sex and the City". (Foto: Foto: HBO)

In der aktuellen Winterausgabe der Vogue Hommes International befasst er sich mit einem Trend, der mit einem der letzten Tabus in der Werbung bricht: der Präsentation des Glieds. Seit der Yves-Saint- Laurent-Anzeigenkampagne aus dem Jahr 2002, die das französische Model Samuel de Cubber splitterfasernackt vor dem Parfum M7 zeigt, schleichen sich immer häufiger männliche Geschlechtsorgane - und bisher ebenso zensierte Vorboten derselben - in die Medien: Von Schamhaaren über dem Bund von Dolce & Gabbana-Jeans bis hin zu Hongkong-Superstar Tony Leungs bloßem Hodensack in Ang Lees Venedig-Gewinner "Gefahr und Begierde" findet das männliche Allerheiligste seinen Weg ins Scheinwerferlicht.

Eigentlich sollte Nacktheit kaum mehr als eine Randnotiz wert sein: Seit 20 Jahren präsentiert Werbung so häufig offenherzige Bilder, dass ein Skandal wegen eines Fotos für Eiscreme, Jeans oder Margarine mittlerweile sehr kurz währt. Laut Umfragen der Marktforschungs- und Werbeagentur Gallup&Robinson in New Jersey sind erotische Motive nach wie vor mächtige Verkaufshilfen: Hochwertige erotische Fotos sind aufmerksamkeitsstärker und bleiben besser in Erinnerung - deutlich mehr Männer und Frauen erinnern sich an Produkte, die von erotischen Motiven beworben werden. Die Wirkung könne sich allerdings auch ins Gegenteil verkehren, wenn die Bilder zu aufreizend oder abstoßend seien, warnt die Agentur. Aber wenn Sex mit Bedacht eingesetzt wird, ist er laut Statistik ein eher wertvoller als riskanter Werbeträger. Sex sells: Dass dieses anregende Prinzip in der Werbung noch immer bestens funktioniert, ist bekannt. Aber gilt das auch für die entblößte Scham eines Männermodels?

Ein offensiv gezeigter, nackter Penis wirkt erst einmal befremdlich; kein Wunder, schließlich ist man den Anblick im Kontext seriöser Hochglanzmagazine nicht gewohnt. Abgesehen von Bizeps und Waschbrettbauch wird der Status eines Mannes (im Gegensatz zur Frau) seit jeher weniger an seinem Körperbau abgelesen als an seiner gesellschaftlichen Stellung und den dazugehörigen Statussymbolen. Je nach Klassenzuordnung, kulturellem Interesse und sozialer Identität verfügen Männer über materielle Symbole - Rolex, Gucci, Maserati - die, laut McDowell, für das stehen, was der Mann einerseits schützen und anderseits permanent zur Schau stellen möchte: seine Potenz.

Bleibt die Frage, wie Rezipienten auf so viel Offenherzigkeit reagieren. "Ein Mann in Unterhose ist sexy, weil man sich als Käufer oder Käuferin den Partner oder sich selbst in der Unterhose vorstellen kann, aber nackt lässt der männliche Körper keinen Platz für Vorstellungen. Frauen empfinden beim Anblick des Geschlechtsteils keine unmittelbare Erregung", erklärt die Psychologin Gabriela Corvalan die gesellschaftlichen Vorbehalte gegen das bare Geschlecht in der Werbung.

Anders sieht das die in Berlin lebende amerikanische Künstlerin Sue de Beer, die sich auch mit der Unterdrückung weiblicher Sexualität beschäftigt: "Vielleicht gehen die Vorbehalte auf eine grundsätzliche Schüchternheit zurück, das auszudrücken, was man wirklich begehrt." Kein Problem für Elke Kuhlen, die seit zwei Jahren das Magazin jungsheft (Porno für Mädchen) herausbringt. Ihr gefällt die Werbeanzeige mit dem, wie sie selbst sagt, "nackten Schönling mit dem perfekt rasierten Dreieck": "Es ist doch interessant zu sehen, was es da draußen alles so gibt." Ganz anderer Meinung ist McDowells Kollege Peter Ross. Der stöhnt im britischen Hello!-Magazin: "Das Bild vom nackten Truthahn ist einfach nicht sexy!"

An entblößte Frauenkörper gewöhnt

McDowells Beobachtungen gehen in eine andere Richtung. "Der ganze Stolz des Mannes, seine Unsicherheit und Angst konzentrieren sich in der Lendengegend", schreibt er in der Männer-Vogue. Daher sei die Offenbarung des männlichen Geschlechts nicht nur ästhetisch oder moralisch kontrovers, sondern kratze an der Identität und am Selbstverständnis des Mannes. Anscheinend hat McDowell einen empfindlichen Nerv seiner Geschlechtsgenossen getroffen: "Während es immer erfrischend ist, zuzusehen, wie ein Tabu gebrochen wird, bleibt doch die Frage (beim Anblick der M7-Anzeige): Warum?!" empört sich McDowells Kollege Peter Ross in Hello! über die baren Familienjuwelen. Eine frontal gezeigte nackte Frau empfindet Ross hingegen keinesfalls als ärgerlich.

Das mag sicher daran liegen, dass er ein Mann ist. Fest steht aber auch, dass sich das Publikum, ob männlich oder weiblich, an entblößte Frauenkörper in der Werbung gewöhnt hat. Das werden sich auch die Werbefachleute gedacht haben, die damals die Yves-Saint-Laurent-Kampagne mitentwickelten: Wie soll man noch auffallen auf einem Markt, auf dem die Konkurrenz mit den immer gleichen auszüglichen Anzeigen kokettiert? Die logische Antwort: Man entblößt jetzt mal jemanden, der bisher meistens angezogen war.

In der bildenden Kunst genießt die Darstellung der Körperstudie eine lange Tradition - Heroen etwa wurden stets im Akt dargestellt. Mit der Institutionalisierung der römisch-katholischen Kirche im 4. Jahrhundert war der Akt aber nur noch religiösen Motiven vorbehalten. "Die Erschaffung Adams" von Michelangelo Buonarotti in der Sixtinischen Kapelle ist ein Beispiel eines religiösen und moralisch akzeptablen Aktgemäldes. Antike Darstellungen nicht religiöser Körper als Akt wurden in der Renaissance retuschiert, um keinen Aufruhr zu stiften. Erst mit den französischen Impressionisten wurde das moralische Diktat der Kirche in Bezug auf Akte aufgelöst: Renoir und Degas zeigten nackte Körper in natürlichem Umfeld, oftmals in der Natur.

Dabei unterscheidet man in der Kunst noch immer zwischen "nackt" und "Akt" - ein Akt gilt als die unerotische Abbildung eines unbekleideten Körpers im alltäglichen Kontext. "Das Foto zur M7-Kampagne ist ein sehr klassisches Aktbild", kommentierte Tom Ford, seinerzeit Initiator der Kampagne, das Foto. "Man trägt Parfum auf der Haut. Warum sollten die Anzeigen jemanden angezogen zeigen?"

Das mag stimmen - und doch geht es immer auch um Sex. Sex ist und bleibt die stärkste Motivation der Mode, da Kleidung unsere physische Attraktivität betont, die zur Erhaltung unserer Spezies bitternötig ist. "Sexuelle Macht über Kleidung zu kommunizieren bedeutet, dass Kleidung die gut gebauten Körper zur Schau stellt und nicht verhüllt", argumentiert McDowell weiter, "das haben schon Bauern auf dem Feld vorgemacht. Von Zola, Flaubert und D.H. Lawrence wissen wir, wie stark die Anziehungskraft bewegter Körper auf Frauen war."

Lieber auffallen als gefallen

Ob unästhetisch oder anziehend: Fest steht, das männliche Ego hat mit der expliziten Darstellung der eigenen Nackheit noch so seine Probleme. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Männeroberbekleidung Ausdruck von Macht. Viele Konfektionsstücke sind Nachfahren der Militäruniform. Jeder Mann bestätigt, dass er, sobald er in einen Anzug schlüpft, eine bessere Haltung annimmt. In den 80er Jahren brachten Werbetexter im Auftrag des Rasierklingen-Konzerns Gillette das, was die männliche Spezies ausmacht - nämlich Erfolg - in ihrem Slogan auf den Punkt: Gilette, hieß es da, für das Beste im Mann. Im dazugehörigen Werbespot verlieh der schicke Anzug dem Mann Haltung und Autorität zugleich. Entledigt man Mann nun beider Dinge, bleibt im wahrsten Sinne des Wortes nichts übrig als sein nacktes Selbst. Ein Zustand, der auch seine Schattenseiten hat: Seit der Antike wird Nacktheit als Foltermethode missbraucht, Blöße ist bis heute das Mittel der Demütigung - und vielleicht appelliert ja eine zu willkürliche Darstellung an die Kastrationsangst.

In der Werbung ist es wichtiger, aufzufallen als zu gefallen. Werbung für Luxusgüter darf immer neue Grenzen setzen, schließlich handelt es sich um geschmäcklerische Requisiten eines modernen Selbstverständnisses. Hinzu kommt, dass die Modewelt von homosexuellen Männern bestimmt wird (wie einem Tom Ford), die sich ganz offen mit der Realität ihres männlichen Selbstverständnisses auseinandersetzen müssen. Für die Werbung ein Glücksfall, der garantiert Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Steht der Mann nun wie beim Freistoß vor dem Tor und schützt seinen Schoß im Angesicht der Werbeoffensive? Ein nacktes Genital auf einem Foto ist zweifelsfrei Geschmackssache. Aber das ist jede nackte Frau ebenfalls. Doch sieht man die YSL-Werbung mal als das, was sie ist, nämlich eine konservative Akt-Präsentation eines männlichen Körpers, ist sie doch schon fast ein bisschen langweilig. Ist die männliche Identität wirklich so fragil, dass die Abbildung eines Aktmodels dem heterosexuellen Mann seine eigene Angreifbarkeit vor Augen hält - und zu solch heftigen Reaktionen führt?

Werbung ist opportunistisch und profitiert manchmal von der Angst des Konsumenten. Aber warum sollte ein Mensch Angst haben vor einem Zustand, der doch der ursprünglichste und natürlichste überhaupt ist? Deswegen ganz im Sinne von Colin McDowell: Show us some skin, man!

© SZ vom 9.2.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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