Werbung in der Kritik:Kick auf den ersten Blick

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Werbepsychologe Martin Scarabis über Möglichkeiten und Grenzen von Werbung, Vampir-Effekte und die Mechanismen zweier umstrittener Kampagnen.

Tanja Rest

In Italien erregt ein Anzeigenmotiv der Modemacher Dolce & Gabbana die Gemüter von Politikern und Kirchenleuten: Ein Mann mit nacktem Oberkörper hält eine Frau, die mit entblößten Beinen auf dem Rücken liegt, am Boden fest; mehrere andere Männer schauen zu. Gleichzeitig ist in Deutschland die größte je dagewesene Plakataktion angelaufen: An landesweit mehr als 200000 Stellen wirbt der Autobauer Toyota für seinen neuen ,,Auris''. Ein Gespräch mit Martin Scarabis, Werbepsychologe an der Universität Münster.

Das umstrittene Motiv des italienischen Designer-Duos. (Foto: Foto: afp)

SZ Herr Scarabis, wie gefällt Ihnen die Kampagne von Dolce & Gabbana?

Scarabis: Persönlich spricht mich das nicht so an, aber ich gehöre bestimmt auch nicht zur Zielgruppe. Professionell betrachtet muss man fragen: Was kommunizieren die damit, was passiert beim Konsumenten kurzfristig und langfristig? Es handelt sich um eine Mischung aus einem Tabubruch und der Verwendung von Sexappeal - so erzeugt man kurzfristig mühelos Aufmerksamkeit...

SZ ... was man schon daran sieht, dass wir nun dieses Gespräch führen. Aber verkauft D& G so auch Kleider?

Scarabis: Eine ganz einfache Formel: Wenn Sie Ihren Konsumenten etwas geben, das ihren Motiven und Wünschen entspricht, dann kaufen die das. In diesem Fall wird sehr deutlich der Wunsch nach männlicher Dominanz und Überlegenheit angesprochen. Ein Zielgruppen-Prototyp wäre etwa der Manager. Andere Käuferschichten wiederum kann man damit verärgern, und da muss sich das Unternehmen vorher überlegen: Nehme ich diesen Effekt in Kauf oder nicht?

SZ Die italienische Gleichstellungs-Ministerin hat das Motiv ,,eine Anstiftung zur Gruppenvergewaltigung'' genannt.

Scarabis: Das geht vielleicht ein bisschen weit. Der Konsument wird sich mit dem Motiv nicht lange beschäftigen, da kommt die Vergewaltigungs-Symbolik möglicherweise gar nicht durch. Auf den ersten Blick wird aber vermittelt: Männer, die D&G tragen, sind stark.

SZ Werbung hat doch schon jedes Tabu gebrochen - ist die Aufregung da nicht erstaunlich?

Scarabis: Es wird immer Motive geben, an die man sich nicht gewöhnt hat. Ford hat vor einiger Zeit mal mit einer Taube geworben, die durch einen Schlag der Motorhaube getötet wurde. Tiere zu töten ist ebenfalls ein Tabu, und das fanden dann auch viele witzig. Aber es gab gewaltige Proteste von Tierfreunden. Wer längerfristig etwas für die Marke tun will, muss vorher überlegen, ob es der schnelle Effekt wirklich wert ist.

SZ Im Fall von D&G ist die Aufregung bei Politikern und bei der Kirche aber doch wohl kalkuliert.

Ein Motiv der neuen Toyota-Kampagne: Die größte Plakatkampagne in Deutschland, die es je gab. (Foto: Foto: Hersteller)

Scarabis: Das ist nur dann ein Erfolg, wenn die Personen, die die Sachen später kaufen sollen, nonkonformistisch sind - und sich von der etablierten Politik bewusst abgrenzen wollen. Für alle anderen ist das nicht unbedingt eine Kauf-Aufforderung. Davon abgesehen kann etwas passieren, das man den ,,Vampir-Effekt'' nennt: Wenn die Aufmerksamkeitsbindung durch die Kampagne zu gut funktioniert, haben die Leute keine Kapazität mehr frei, sich mit dem Produkt zu beschäftigen.

SZ Mit ganz anderen Mitteln wirbt in Deutschland zurzeit Toyota. 200000 Plakate in 82 deutschen Großstädten: Kommt das nicht etwas penetrant rüber?

Scarabis: Penetrant würde ich nicht sagen. Wer jedoch gezielt Aufmerksamkeit erzeugen will, dem kann es passieren, dass der Konsument plötzlich genauer hinschaut und fragt: Nachdem ihr mit eurer Kampagne so auf den Putz haut, was habt ihr mir eigentlich zu sagen? Bei den Toyota-Motiven wird aber nur kommuniziert, dass es was Neues gibt.

SZ Also sehen wir im Moment nur Stufe eins?

Scarabis: Man nennt das Vorprägungseffekt. Die Leute lernen den Markennamen und sind später besser in der Lage, Informationen aufzunehmen. Die Frage ist nur: Hätte man das nicht effizienter erreichen können, indem man gleich klar macht, was das Neue ist am Auris?

SZ Mit welchen Mitteln erreichen Werber heute noch Aufmerksamkeit?

Scarabis: Da gibt es einen Mechanismen-Katalog: Normbrüche auf kultureller oder gesellschaftlicher Ebene. Brüche in der Wahrnehmung - wenn ein Produkt plötzlich spricht. Humor natürlich. Und, immer noch, Sex. Psychologische Schlüsselbilder wie kleine Kinder oder Hunde funktionieren auch sehr gut.

SZ Dann ist doch alles ganz einfach.

Scarabis: Das Problem ist nur, diesen Katalog kennen alle. Darum sind sich die Kampagnen ja auch alle so ähnlich.

© SZ vom 6.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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