Wenn Ärzte jammern:"Herr Patient, ich habe da ein Problem ..."

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Rund ein Drittel aller Ärzte berichten ihren Patienten von eigenen Beschwerden. Die Leutseligkeit ist gut gemeint, schadet aber den Kranken mehr als sie nützt.

Werner Bartens

Der Arzt wollte wohl Trost spenden. Er verriet dem Patienten, dass er an der gleichen Krankheit leide wie dieser: "Ich habe auch diesen Reflux - die Magensäure steigt auf und irritiert die Speiseröhre."

Ein anderer Arzt rechnete seinem Patienten, wohl um ihn dadurch zu motivieren, vor, dass er - bei gleicher Größe - 15 Kilogramm weniger wiege und Halbmarathon laufe. Ein Doktor bot seinem Patienten "einen guten Preis" für die Räume über seiner Praxis, ein weiterer Mediziner beklagte sich bei einem Kranken, dass er gerade solo sei und "auch sonst wenig Freunde" habe - und fragte den Patienten dann nach Problemen beim Wasserlassen.

Wenn Ärzte ins Plaudern geraten, erzählen sie Patienten manchmal von eigenen Beschwerden oder persönlichen Problemen. Bisher taten sie das in dem Glauben, Kranken damit Gutes zu tun. "Die meisten Mediziner vermuten, dass sie so das Verhältnis zu den Patienten verbessern und Nähe vermitteln", sagt Susan McDaniel, Familienärztin an der Universität Rochester im US-Staat New York. "Ärzte sehen so viele Patienten, dass Visiten oft kurz ausfallen und sich das Gespräch auf die Symptome beschränkt."

Doch geteiltes Leid ist offenbar nicht immer halbes Leid, denn Patienten haben keinen Nutzen von der Leutseligkeit ihrer Doktoren. Im Gegenteil: Reden Mediziner über sich, stört dies die Arzt-Patienten-Beziehung, berichten Ärzte aus den USA im Fachblatt Archives of Internal Medicine vom Dienstag.

Die Zeit für den Patienten wird noch kürzer

Das Medizinerteam hat fast 200 Gespräche zwischen Ärzten und Patienten aufgezeichnet und analysiert. Resultat: Alles dreht sich nur um den Arzt, wenn dieser von sich erzählt - was mehr als ein Drittel der Mediziner taten. Dadurch wird der Informationsfluss unterbrochen und die ohnehin knappe Zeit noch kürzer, in der sich Patienten ihrem Arzt anvertrauen können. So nahmen 70 Prozent der Patienten das Thema des Arztes auf, statt auf ihr Anliegen zurückzukommen.

"Ich rede selbst mit Patienten über mich und bin deshalb von den Ergebnissen enttäuscht", sagt der Allgemeinmediziner Howard Beckman, Ko-Autor der Studie. Er hatte erwartet, dass Ärzte, die persönlich werden, ihre Patienten im Mittelpunkt sehen und dass Kranke sich mehr öffnen und wichtige Informationen preisgeben, wenn sie spüren, dass ihr Arzt auch über sich redet. "Doch in 85 Prozent der Fälle hatten die Kranken keinen Nutzen von dieser Art Gespräch, sondern nur die Mediziner", so Beckman.

Psychosomatisch geschulte Ärzte wissen allerdings schon länger, dass sie es tunlichst vermeiden sollten, mit Kranken über sich zu reden. "Ganz selten kann es Patienten zwar helfen", sagt Peter Henningsen, Leiter der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Technischen Universität München. "Meistens ist es jedoch ein Zeichen dafür, dass der Arzt nicht hinhört und sich nicht einfühlt, wenn er von sich redet."

Zudem vermittele der Arzt unterschwellig den Patienten: Stell dich nicht so an - ich sitze trotzdem hier und arbeite. "Das schwingt mit", sagt Henningsen. "Das Signal an den Patienten ist dann: Deine Probleme sind nicht so wichtig."

Ärzte sollten also die Schilderung persönlicher Schwierigkeiten den Patienten überlassen und diesen zeigen, dass sie sich einfühlen können, indem sie auf die Sorgen und Nöte der Kranken eingehen. Das Schlagwort von der sprechenden Medizin darf keinesfalls bedeuten, dass Ärzte über sich reden, den Patienten nicht aufmerksam zuhören oder ihnen über den Mund fahren.

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© SZ vom 26.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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