Vorsorge:Lücken in der Grippe-Abwehr

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Eigentlich wird es wieder Zeit für die Grippeschutzimpfung. Doch für Senioren bietet diese Vorsorge womöglich nur wenig Schutz.

Martin Kotynek

Die Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI) und des Paul-Ehrlich-Instituts haben die Bevölkerung erneut zur Grippeschutzimpfung aufgerufen.

Insbesondere ältere Menschen seien gefährdet, sagte der RKI-Präsident Reinhard Kurth am Mittwoch in Köln. Bei ihnen komme es häufig zu Komplikationen, die tödlich enden könnten. Auch die Ständige Impfkommission empfiehlt Menschen über 60 Jahren die jährliche Schutzimpfung vor Influenza.

Doch am selben Tag erschien im Fachjournal The Lancet Infectious Diseases (Bd.7, S.658, 2007) eine Studie, die Zweifel an der wissenschaftlichen Grundlage für diese Empfehlungen aufkommen lässt.

Die positiven Effekte der Schutzimpfung bei älteren Menschen würden "stark übertrieben", schreiben fünf Epidemiologen der amerikanischen Nationalen Institute für Gesundheit und Infektionskrankheiten.

Die Forscher werteten zahlreiche Studien zur Wirksamkeit von Grippeimpfungen bei Senioren aus. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass zwar das Risiko, an einer Grippe-Erkrankung zu sterben, vom 65. Lebensjahr an exponentiell ansteige. Die wissenschaftlichen Belege, dass eine Impfung dieses Risiko senke, seien jedoch "unzureichend", sowie "dünn und wenig vielversprechend", schreibt das Team um Lone Simonsen.

Methodische Mängen in den Studien

Die Epidemiologen fanden zahlreiche methodische Mängel in den überprüften Studien. An kaum einer Untersuchung hätten auch Menschen teilgenommen, die 70 Jahre oder älter waren. Drei Viertel aller Grippetoten fallen jedoch in diese Altersgruppe. Die wenigen Studien, die auch Senioren über 70 Jahre berücksichtigten, zeigten, dass mit steigendem Alter weniger Antikörper gegen das Grippevirus gebildet würden.

Der Schutz durch eine Impfung sei daher gering. Bereits im vergangenen Jahr hatten Epidemiologen des Cochrane Instituts ähnliche Zweifel gemeldet. Man dürfe "nicht mehr zulassen, dass mangelhafte Forschung ein fälschlich optimistisches Bild über Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit zeichnet", kommentieren die damaligen Autoren Tom Jefferson und Carlo Di Pietrantonj die neue Studie.

Vertreter der deutschen Institute, die die Impfung weiterhin empfehlen, sind sich über die Probleme bewusst. "Die Datenlage ist dünn, es gibt kaum kontrollierte Studien. Und die wenigen, die es gibt, haben viele Lücken", sagt Michael Pfleiderer, Leiter des Fachgebietes für virale Impfstoffe am Paul-Ehrlich-Institut. "Wahrscheinlich ist es gar nicht möglich, die Wirksamkeit in der Bevölkerung zu testen", sagt Pfleiderer.

Ethische Gründe sprächen gegen Studien, bei denen einige ältere Probanden ein Scheinmedikament erhalten und so womöglich an einer Infektion sterben. Dennoch hält das Institut an seiner Empfehlung fest. "Die Wirksamkeit der neuen Impfstoffe wird jährlich im Labor untersucht", sagt Pfleiderer. "Wir sind sicher, dass der Impfstoff auch bei Senioren wirkt." Auch die Autoren der neuen Studie kommen zu einer ähnlichen Empfehlung: "Ein kaum wirksamer Impfstoff ist auf jeden Fall besser als gar keiner."

© SZ vom 27.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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