Vorreiter der Aufklärung:Wehe, wenn die Betten quietschen

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Der Sexualfachmann Siegfried Schnabl erklärte mit seinem Standardwerk "Mann und Frau intim" den DDR-Bürgern alle Techniken der Lustoptimierung. Systemübergreifend gleich waren Erregung, Plateau, Orgasmus, Entspannung. Nun wird er achtzig Jahre alt.

Jens Bisky

Als Rainer Langhans sich in Uschi Obermaier verliebte und in der Kommune 1 allerlei Drogen und Stellungen ausprobiert wurden, erschien im thüringischen Rudolstadt ein Buch mit dem Titel: "Mann und Frau intim. Fragen des gesunden und des gestörten Geschlechtslebens". Das klang ein wenig streng, so als ob ein Wandervogelgruppenführer unter die Bettdecke leuchten und die Techniken des normalen Beischlafs erklären wollte.

Siegfried Schnabls Buch wurde nach der Wende mit Illustrationen neu aufgelegt. (Foto: Foto: dpa)

Mehrere DDR-Verlage hatten das Manuskript des klinischen Psychologen Siegfried Schnabl abgelehnt, bis es der Greifenverlag 1969 veröffentlichte. Es wurde rasch ein Bestseller, erlebte achtzehn Auflagen und war eines der meistgeklauten Bücher im Arbeiter- und Bauernstaat, obwohl man mehr als eine Million Exemplare verkauft hatte.

Es war nicht einfach, das Buch zu bekommen, dennoch kannte es jeder. In Thomas Brussigs Wenderoman "Helden wie wir" will der impotente Klaus Uhltzsch endlich wissen, wo der G-Punkt liegt und besorgt sich daher heimlich "Mann und Frau intim". Was sonst?

Erregung und Entspannung

Schnabl versprach Aufklärung im guten alten Sinne. Wissenschaftliche Informationen sollten Vorurteile beseitigen und jeden zu einem "konfliktarmen, das Dasein bereichernden Geschlechtsleben" befähigen. Es ging um sexuelle Beglückung im Rahmen einer auf Liebe, Achtung und Vertrauen gegründeten Partnerschaft. Die Fragen stellten sich im Westen nicht anders: "Reagiert der Mann zu schnell oder die Frau zu langsam?" Anatomie und Reaktionszyklus waren systemübergreifend gleich: Erregung, Plateau, Orgasmus, Entspannung.

Dennoch war manches in Sachen Sex anders in der DDR, und das nicht nur, weil nahezu alle Frauen arbeiteten und von ihren Männern ökonomisch nicht abhängig waren. Man lebte weitgehend bilderlos. Ein paar Zeichnungen und "künstlerisch wertvolle Aktfotografien" konnten Pornographie nicht ersetzen. Zwar gelang es ab und an, Hefte und Filmchen über die Grenze zu schmuggeln, manche griffen auch selbst zur Kamera - aber all das blieb im Verborgenen. Prostitution war eine heikle, von den Sicherheitsorganen kontrollierte Ausnahme.

Vor allem aber stand Sexualität nicht unter der Last überspannter Erwartungen. Weder sollte sie der Emanzipation dienen noch politisch werden, irgendetwas sprengen oder beweisen. Spaß sollte es machen. Im reizarmen Alltag der DDR gab es neben dem Alkohol kaum ein Vergnügen, das so leicht zugänglich war wie der Beischlaf.

Öffentlich ging es weniger wild zu, dafür privat auch weniger anstrengend. Kein Kampf der Geschlechter. Und trotz aller Experimentierfreude blieb die Missionarsstellung der Königsweg zur Erfüllung. 1990 bekundeten achtzig Prozent der Ostdeutschen, sie seien mit ihrem Sexualleben zufrieden.

3500 Männer und Frauen befragt

Siegfried Schnabl dürfte mit seinen Büchern und zahllosen Artikeln einiges dazu beigetragen haben. Er war 1927 in Sachsen zur Welt gekommen, Lehrer gewesen, hatte dann studiert und für seine Dissertation 3500 Männer und Frauen nach ihrem Sexualverhalten befragt. Die Weiterführung der Arbeit wurde verboten, aber als Leiter der Ehe- und Sexualberatungsstelle in Karl-Marx-Stadt erfuhr Schnabl auch weiterhin von den Sorgen der Leute. Es handelte sich meist um Erektionstörungen und Orgasmusschwierigkeiten.

In der psychotherapeutischen Kultur des Westens neigte man dazu, in der Sexualität das innerste Wesen der Seele zu vermuten. Sexualaufklärung im Osten war dagegen weniger an psychischer Tiefe als an der Lösung begrenzter Probleme und Techniken der Lustoptimierung gelegen. Normal war für Schnabl "alles, was Freude bereitet und dem geliebten Menschen angenehm ist." Bemerkenswert liberal sprach er über Homosexuelle.

Sein Glaube an die menschenfreundliche Wirkung wissenschaftlicher Kenntnisse hat etwas Anrührendes. Paaren in winzigen Wohnungen beispielsweise riet der Therapeut, auf keinen Fall Bettcouchs anzuschaffen, die einen Winkel bilden. Auch sollte das Ehebett "so stabil sein, dass die Bewegungen keine Geräusche verursachen können".

Eigentlich waren Lust und Arbeiterbewegung alte Verbündete. Die Prüderie ließ man den Bürgern. Schon August Bebel verspottete die "blöde Scheu und lächerliche Heimlichtuerei, über geschlechtliche Dinge zu sprechen". Als die deutschen Kommunisten dann ihren Staat errichteten, hatten sie das freilich vergessen. Mancher Genosse musste sich vor der Parteigruppe für einen Seitensprung rechtfertigen - so wie Horst Seehofer heute.

Mit medizinischem Wissen und gesundem Menschenverstand attackierte Schnabl Verklemmungen und kurierte Unbeholfenheit. Dem Programm blieb er treu. Als in den neunziger Jahren Panik und Hysterie die Diskussion über Sexualstraftäter bestimmten, sah er darin vor allem das Fortleben alter Klischees von triebgesteuerten Männern und Frauen als Lustobjekt. Er beharrte darauf, dass beide aus eigenem Bedürfnis Sex genießen. Sie müssen nur wissen, wie ihr Körper funktioniert, und die "blöde Scheu" ablegen.

An diesem Dienstag feiert Siegfried Schnabl seinen 80. Geburtstag.

© SZ vom 27.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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