"Vogue": Debatte um Anna Wintour:Die nukleare Eiskönigin

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Man nennt sie "Nuclear Wintour" und "Ice Queen", Untergebene haben Angst vor ihr: Nun soll Anna Wintour, gefürchtete Chefin der US-"Vogue", entmachtet werden.

Peter Bäldle

Wird Anna Wintour, die einflussreiche Chefredakteurin der amerikanischen Vogue, das bevorstehende Weihnachtsfest noch in Amt und Würden erleben? Und auch den Jahreswechsel? Normalerweise würden Fragen wie diese außerhalb der Modebranche kaum Beachtung finden. Das hat sich mit dem Film "Der Teufel trägt Prada" jedoch geändert. Dem Kino-Hit des Jahres 2006 lag das Buch von Lauren Weisberger zugrunde, Wintours ehemaliger Assistentin - und der Film lud durchaus ein zu Spekulationen, ob Meryl Streep für ihre Darstellung der eiskalten Chefin eines Hochglanzmagazins tatsächlich Anna Wintour als Vorlage benutzt habe.

Pagenkopf, Sonnenbrille, sparsame Mimik: Anna Wintour ist längst selbst eine Ikone, doch ihre Zeit scheint um. (Foto: Foto: AP)

Schließlich ist die mächtige Vogue-Chefin in der Branche als "Ice Queen", "Stalin auf Stilettos" oder auch "Nuclear Wintour" so berühmt wie berüchtigt. Sie gilt als kalt und hartherzig. Die Augen stets hinter einer riesigen Sonnenbrille verbergend, in kostbare Felle gehüllt, den Stirnpony perfekt frisiert, besucht sie Fashion Events, wobei ihr Pelzgegner mal einen Waschbären auf den Teller, mal eine Torte ins Gesicht werfen. Beides hat sie nicht beeindruckt. Trotzdem sagt etwa Michael Roberts, der Modechef von Vanity Fair, dass Wintour keine Machiavellistin sei, für die der Zweck alle Mittel rechtfertige. Und Karl Lagerfeld geht sogar noch einen Schritt weiter: "Anna ist ehrlich, sie sagt immer, was sie denkt. Ja heißt bei ihr ja - und nein ist nein."

Doch wenn Mächtige ins Wanken geraten, machen sich Häme und Schadenfreude breit. Also brodelt die Gerüchteküche, und schuld daran ist ein stets gut informierter Medienblogger namens "Gawker". Er will im New Yorker Nobelrestaurant Waverly Inn erfahren haben, dass Jonathan Newhouse, der Boss des Vogue-Verlages Condé Nast, zu seinem traditionellen Dezemberurlaub in Wien extra früher aufgebrochen sei, um in Paris mit Carine Roitfeld, der Chefredakteurin der französischen Vogue, die letzten Details für eine Wintour-Nachfolge zu besprechen.

Natürlich entbehrt das Gerücht nicht einer gewissen Delikatesse. Schließlich ist Graydon Carter, der Besitzer des Restaurants im West Village, auch Chefredakteur von Vanity Fair und im selben Verlagshaus wie Wintour tätig. Außerdem wurde Wintour vor zwanzig Jahren eine Affäre mit Newhouse nachgesagt, die sie zwar immer bestritt, die ihre Inthronisierung als Vogue-Chefin aber beflügelt haben soll. Darüber hinaus war es im vergangenen Februar ausgerechnet zwischen Wintour und Roitfeld zum Eklat gekommen, als die Pariserin es wagte, die allmächtige Wintour in einem Interview zu kritisieren. Die verlangte Konsequenzen. Der Verlagsboss empfahl Roitfeld, sich zu entschuldigen. Einige Jahre zuvor hätte sie ihre "Untat" noch den Job gekostet.

Anna Wintour mit ihrer Tochter Bee Shaffer. (Foto: Foto: rtr)

Nicht weniger lauwarm waren nun auch die Dementis zum kolportierten Roitfeld-Rendezvous. "Daran ist nichts wahr", ließ Newhouse erklären, "das ist das dümmste Gerücht, das ich je gehört habe." Carine Roitfeld beteuerte, dass sie bei der französischen Vogue sehr glücklich sei. Und Anna Wintour äußerte sich kühl: "Ich habe nicht die Absicht, die amerikanische Vogue jetzt oder in absehbarer Zukunft zu verlassen."

Weiter zu der potenziellen Nachfolgerin.

Tatsache jedoch ist, dass ihr Vertrag beim Condé-Nast-Verlag bald ausläuft, dass sie zwei Jahrzehnte lang an der Spitze von Vogue stand und im kommenden Jahr 60 wird. Als deshalb Richard Johnson, der Klatschkolumnist der New York Post, schrieb, dass Wintour vor der "freiwilligen Pensionierung" stehe, "weil sie findet, alles erreicht zu haben", werteten nicht wenige dies als Zeichen von Condé Nast.

Schließlich weiß niemand besser als Wintour, wie Kündigungen bei der Vogue aussehen. Ihre Vorgängerin Grace Mirabella hat aus den Sonntagabendnachrichten erfahren, dass sie am Montag nicht mehr im Amt sein würde. Und deren Vorgängerin, die legendäre Diana Vreeland, "the Empress of Fashion", wie sie später genannt wurde, erfuhr eines Morgens telefonisch, dass sie nicht mehr in die Redaktion zu kommen brauche, weil ein Möbelwagen mit ihrem gesamten Büroinventar zu ihr unterwegs sei.

Doch wäre Carine Roitfeld tatsächlich die geeignete Nachfolgerin? Sie ist nur vier Jahre jünger als Wintour, sieht aber aus, als ob sie noch immer den Heroin-Chic der neunziger Jahre propagieren würde. Doch ihr Modestil gilt in Paris als "chic et branché", was "total angesagt" bedeutet, für New York allerdings zu radikal sein könnte. Doch Roitfeld ist lernfähig. Denn sie ist keine Journalistin, keine Blattmacherin, sondern Stylistin - was in Zeiten, in denen es um Optik statt um Inhalte geht, durchaus positiv zu werten ist. Schließlich hat ihr auch die Zusammenarbeit mit dem Fotografen Mario Testino, vor allem für Tom Fords Gucci-Anzeigen, den Chefsessel von Vogue in Paris eingebracht.

Vielleicht aber ist Carine Roitfeld auch nur ein Ablenkungsmanöver, eine Strohpuppe. Als im Oktober die internationalen Modedesigner in Paris ihre Kollektionen zeigten, lud die russische Vogue anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens zum Cocktail. 200000 Exemplare beträgt mittlerweile deren Auflage, 340 Seiten schmücken Anzeigen. Das freut natürlich Verlegerherzen in Zeiten, in denen Ablegerzeitschriften wie Vogue Living eingestellt werden, und Men's Vogue auf zwei Hefte im Jahr schrumpft. Beide Magazine sind übrigens Wintour-Erfindungen.

Also wird auch Aliona Doletskaya, die Chefredakteurin von Vogue Russland, als mögliche Wintour-Nachfolgerin gehandelt. Das immerhin wäre kein schlechtes Konzept, wenn es darum geht, eingefahrenen Zeitschriften-Layouts einen neuen Schliff zu verpassen. Mit ihren langen blonden Haaren und den rasant geschnittenen schwarzen Kleidern schafft sie spielend auch den Spagat zwischen Ost und West. Auf die Gerüchte angesprochen, wehrt sie diese natürlich als "pure Phantasie" ab - eine "Nuclear Wintour" reizt man nicht...

© SZ vom 10.12.2008/age/jüsc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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