Vater werden in Deutschland:Mann, wo ist dein Kind?

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Papa wollen sie alle werden, die jungen Männer von heute. Aber oft klappt es nicht. Was weniger an den Männern liegt, wie eine Studie zeigt.

Thorsten Denkler, Berlin

Angehende Väter haben Probleme, die erst mal gelöst werden müssen. Zum Beispiel: Was tun mit dem Firmenwagen, einem flotten Zweisitzer? Da passen weder Kind noch Kinderwagen rein.

(Foto: Foto: iStockphotos)

Die meisten Arbeitgeber würden wohl sagen: Pech gehabt, kauf dir einen Zweitwagen. Die Softwareschmiede SAP, mehrfach ausgezeichnet als familienfreundlichstes Unternehmen Deutschlands, hat eine andere Antwort gefunden. Der Mitarbeiter darf sich vorzeitig einen neuen Firmenwagen bestellen.

Klingt gut. Andererseits: Vom Zweisitzer zum Kombi - das ist schon nüchtern betrachtet eine harte Entscheidung.

Vielleicht erklärt das, warum sich Männer mit dem Vaterwerden so schwertun. In Berlin hat die Bertelsmann-Stiftung jetzt eine Studie vorgestellt, mit der angehende Väter und ihre Wünsche besser verstanden werden können.

Der ewige Ernährer

Das Problem: Fast 100 Prozent der befragten jungen Männer bejahen die Frage nach dem Kinderwunsch. Wer dann 35- bis 45-jährige Männer fragt, was daraus geworden sei, bekommt ernüchternde Zahlen: Bis zu einem Drittel der Männer sind kinderlos geblieben.

Das hat viele Gründe. Einer davon hat etwas mit Kombis und Zweisitzern zu tun: das männliche Rollenverständnis. Männer stecken in einem Dilemma, das zeigt die neue Studie mit dem Titel: "Null Bock auf Kinder? Der schwierige Weg junger Männer in die Vaterschaft."

Sie haben einerseits den Eindruck, dass alles auf die traditionelle Ernährerrolle hinausläuft, die nach wie vor eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz hat. Andererseits aber sind sie durchaus bereit, sich um ihre Kinder zu kümmern. Allerdings nur, wenn damit die berufliche Karriere nicht gefährdet wird.

Man könnte auch sagen: Männer können sich nicht entscheiden zwischen Zweisitzer und Kombi. Sie wollen beides. Nur ist darauf die Gesellschaft überhaupt nicht vorbereitet.

Thomas Rauschenberg, Direktor des Deutschen Jugendinstitutes, das die Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellt hat, konstatiert: "Es fehlen immer noch gesellschaftliche Antworten auf die Frage: 'Welche ist die Alternative zum traditionellen Ernährermodell?'" Da habe sich in den vergangenen Jahren "nichts, aber auch gar nichts getan".

Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird bisher lediglich unter dem Gesichtspunkt Frau und Beruf debattiert. Elternzeitmodelle sind auf die Lebenssituation von Frauen zugeschnitten. Die Betreuungsangebote in Kindergärten und Schulen gehen von der maximal Teilzeit arbeitenden Frau aus. Väter geraten unter Rechtfertigungsdruck, wenn sie zwei Monate oder gar die gesamte Elternzeit beanspruchen wollen.

Auf der nächsten Seite: Der berufliche Wiedereinstieg ist für Männer schwieriger als für Frauen.

Zu spät für Kinder

Noch schlimmer: "Der berufliche Wiedereinstieg gestaltet sich für Männer heute ungleich schwieriger als für Frauen", sagt Renate Schmidt, bis 2005 Bundesfamilienministerin und Erfinderin des Elternzeitmodells.

Der Grund: Für Frauen gibt es reichlich Beratungsangebote in den Unternehmen. Die Arbeitgeber sind darauf eingestellt, dass Frauen in die Elternzeit gehen und irgendwann wiederkommen. Für Väter gibt es außer gesetzlichen Ansprüchen: nichts.

Männer müssen sich zudem damit herumschlagen, dass sie in der Regel mehr verdienen, als ihre Partnerinnen. Hohes Einkommen ist grundsätzlich eine wunderbare Sache. Wenn er allerdings ernsthaft vorhat, seine Kinder in den ersten Jahren selbst zu betreuen, endet die Debatte mit der Kindsmutter in der Regel an dieser Stelle: "Du kannst nicht zu Hause bleiben, du verdienst zu viel."

Renate Schmidt macht das auch den Frauen zum Vorwurf: "Junge Frauen gehen zu oft in solche Berufsfelder, die schlechter bezahlt sind." Sie scheinen ein Abo auf Berufe wie Erzieherin, Krankenschwester, Grundschullehrerin zu haben.

Was übrigens Folgen für die nachwachsende Männergeneration zu haben scheint. Die Rollenbilder, die Jungen vorgelebt werden, sind in der Regel tradierte. "Männer werden frühestens ab dem fünften Lebensjahr vom Kind als wichtige Bezugspersonen wahrgenommen. Dann ist meistens alles zu spät", sagt Renate Schmidt.

Wenn der Kinderwunsch irgendwann Wirklichkeit werden könnte, ist es oft tatsächlich zu spät. Das Zeitfenster zum Kinderkriegen ist auf den Zeitraum 29 bis 33 Jahre zusammengeschrumpft. Wer es in diesen vier Jahren nicht schafft, Nachwuchs zu zeugen, wird es - so die Statistik - auch danach nicht hinbekommen.

Drei Dinge braucht der Mann

Thomas Rauschenbach erklärt das so: "Männer brauchen drei Dinge, damit sie tatsächlich Väter werden: eine gut funktionierende Partnerschaft, eine abgeschlossene Berufsausbildung und ein gesichertes Einkommen." Klassische Ernährerrolle eben.

Die Realität aber sieht so aus - lange Ausbildungszeiten und zunehmend unsichere Beschäftigungsverhältnisse. Wer nach Studium und zahlreichen Praktika mit 34 seine erste unbefristete Vollzeitstelle annehmen kann, der hat in der Regel keine Kinder und bekommt auch keine mehr.

Am besten wäre es, wenn sie ihr erstes Kind mit 28 Jahren in den Händen halten dürften. Das wünscht sich die Mehrheit der 1800 für die Studie befragten Männer.

Das geht nur, wenn die Phase der Ausbildung zur Phase des Kinderkriegens wird. So stellt es sich zumindest Thomas Rauschenbach vor. Das bedeutet Kinderbetreuung, die auf studentisches Leben unter den harten Bachelor-Bedingungen abgestimmt ist. Oder Azubis, die ihre Ausbildung in Teilzeit machen können.

Männer, die den Bewusstseinswandel vollzogen haben und sich gierig auf die Erziehung ihrer Kinder stürzen wollen, scheitern also regelmäßig an den gesellschaftlichen Realitäten. Vor allem in den Unternehmen, in denen sie arbeiten. Großzügig gerechnet, sagt Renate Schmidt, weisen von den 2,3 Millionen Unternehmen in Deutschland allerhöchstens zehn Prozent familienfreundliche Strukturen auf.

Dabei sei doch längst erwiesen, dass familienfreundliche Unternehmen die Produktivität ihrer Mitarbeiter um bis zu 17 Prozent steigern könnten, sagt Schmidt. Das würde dann reichen, damit die Arbeitgeber nicht nur den Zweisitzer gegen einen Kombi tauschen, sondern zudem noch Eltern-Kind-Büros einrichten, wenn die Kleinen mal mit zur Arbeit kommen wollen oder müssen, Betriebskindergärten zu bauen oder Väterstammtische unter der Leitung eines Personalers zu betreuen.

Zukunftsmusik? Bei SAP längst Alltag. Die anderen müssten es nur nachmachen.

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