Umdichten:Sing, sing, sing

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Beim echten Weihnachtsmann wäre das mit dem Spagat wahrscheinlich schwierig. Aber er freut sich, wenn man ihm ein schönes Lied vorsingt. (Foto: Jürgen Blume/epd)

Eine gute Idee, um sich von der ewigen Warterei auf den Heiligen Abend abzulenken, ist bekannte Weihnachtslieder selbst umzutexten. Auch Schriftsteller haben das schon gemacht. Zum Beispiel Erich Kästner.

Erich Kästner ist ein wirklich großer Schriftsteller, der zum Beispiel die Bücher "Emil und die Detektive" oder "Das doppelte Lottchen" geschrieben hat. Außerdem war er ein sehr politischer Mensch. Oft hat er seine Botschaften in seine Geschichten gepackt. Im Jahre 1927 textete Kästner ein Gedicht auf das bekannte Weihnachtslied "Morgen, Kinder, wird's was geben" ( siehe unten). Das Gedicht klingt erst einmal vor allem lustig, es hat aber einen ernsten Kern. Der Text sagt, dass arme Kinder nichts zu Weihnachten bekommen. Geschenke gibt es nur für reichere Kinder. Aber die armen Kinder sollen nicht traurig deswegen sein, sondern sich freuen, dass sie zum Beispiel kein Bauchweh wegen zu vielen Süßigkeiten bekommen. Das alles ist natürlich ironisch gemeint. Kästner wollte mit dem Text vor allem auf die Ungerechtigkeit aufmerksam machen, dass es so einen großen Unterschied macht, ob man in Reichtum oder in Armut aufwächst.

Weihnachtslied, chemisch gereinigt

Morgen, Kinder, wird's nichts geben!

Nur wer hat, kriegt noch geschenkt.

Mutter schenkte Euch das Leben.

Das genügt, wenn man's bedenkt.

Einmal kommt auch eure Zeit. Morgen ist's noch nicht soweit.

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Doch ihr dürft nicht traurig werden.

Reiche haben Armut gern.

Gänsebraten macht Beschwerden.

Puppen sind nicht mehr modern.

Morgen kommt der Weihnachtsmann.

Allerdings nur nebenan.

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Lauft ein bisschen durch die Straßen!

Dort gibt's Weihnachtsfest genug.

Christentum, vom Turm geblasen,macht die kleinsten Kinder klug.

Kopf gut schütteln vor Gebrauch!

Ohne Christbaum geht es auch.

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Tannengrün mit Osrambirnen -

Lernt drauf pfeifen! Werdet stolz!

Reißt die Bretter von den Stirnen,

denn im Ofen fehlt's an Holz!

Stille Nacht und heil'ge Nacht -

Weint, wenn's geht, nicht! Sondern lacht!

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Morgen, Kinder, wird's nichts geben!

Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!

Morgen, Kinder, lernt fürs Leben!

Gott ist nicht allein dran schuld.

Gottes Güte reicht so weit ...

Ach, du liebe Weihnachtszeit!

Quelle: Atrium Verlag, Zürich 1928 und Thomas Kästner

© SZ vom 24.12.2016 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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