Trends:Sexiness adé!

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Trendwende in Sicht: Im Herbst werden die Röcke länger und die Kurven versteckt. Gemütlich - aber sexy? Nein! Und das ist ganz im Sinne der Erfinder.

Miriam Stein

New York Fashion Week im Februar. Marc Jacobs präsentiert die Herbst/Winter-Kollektion 2008 - da passiert das Unerklärliche: Knabenhafte Mädchen in wadenlangen Säcken stolzieren im Quadrat um die Rockband Sonic Youth. Frontfrau Kim Gordon singt einen Song der Band aus den 90er Jahren mit dem Titel "Kool Thing".

Eine Kreation von Marc Jacobs (Foto: Foto: AP)

Im Publikum begutachten unter anderem Modenschau-Junkie Victoria Beckham und Britney Spears' Ex Kevin Federline die neue Kollektion, die, bis auf wenige Teile, kaum Form bewahrt. Der Blouson sei seine Inspirationsquelle gewesen, heißt es von Seiten des Designers. Gewohnt stringent zieht er sein Konzept durch und spielt dabei mit Taillenansatz und Saumlänge, wobei letztere bei einigen seiner Models bis weit übers Knie reicht.

"Was wirst du für mich tun?", singt Kim Gordon, "Wirst du uns Frauen aus der Unterdrückung durch den weißen Mann befreien?" Schulterzucken bei Frau Beckham.

Marc Jacobs' Kreationen nehmen Sexappeal nicht für sich in Anspruch. "Meine Kollektionen sind nicht sexy", betont der Designer in Interviews immer wieder. Stimmt: Noch weniger sexy als dieses Mal geht es wirklich nicht.

Mit Dolce&Gabbana ist das etwas anderes. Als geradezu oversexed gelten die Kollektionen des italienischen Designerduos. Jedenfalls bis vor kurzem: Ihr Defilee zur Winterkollektion 2008 überraschte die versammelte Mode-Elite. Models spazierten vorbei in langen, karierten Röcken über dicken Wollstrumpfhosen und Abendkleidern aus Tweed. "Wir hatten diese Woche einen Engpass an Sexappeal", beklagt sich der Guardian am Ende der Mailänder Modewoche. Domenico Dolce und Stefano Gabbana erklären ihre Kollektion diplomatisch als die "Rückkehr zu warmen und bequemen Kleidern".

Wie lang sollten Röcke sein?

"Laura Ingalls Walder (aus der TV-Serie ,Unsere kleine Farm') trifft Dr. Quinn, MD", bemerkt Pulitzer-Preisträgerin Robin Givhan in der Washington Post. Die Frage, die nach den Modeschauen die Stil-Ressorts besonders beschäftigte, war: Wie lang sollte der Rock einer Frau, die ernst genommen werden möchte, eigentlich sein? Und: Müssen wir im Jahr 2008, mehr als 40 Jahre nach der Erfindung des Minirocks, etwa wieder über die scheinbare Anrüchigkeit bloßer Knie diskutieren?

Auch bei Prada und Dior reichen die Säume von der Wade bis zum Boden, die Schuhe sind nach dem Höhenkoller der letzen Saisons wieder flach, die Schnitte lose, beinahe wallend.

"Die Veränderung der Rocklängen ist nach der Entwicklung des letzten Jahrhunderts doch nicht mehr als Gesellschaftsbarometer ernst zu nehmen", winkt Caroline Melzig-Thiel ab. Fünf Jahre lang war sie Co-Designerin des Berliner Labels Bless.

Nach Worten ringend beschreibt sie die neue Mode von Dolce&Gabbana als eine Gratwanderung zwischen auferlegter Strenge, Disziplin, Bravheit und natürlicher Schönheit. Das sei einerseits natürlich praktische Kleidung, die Raum für Bewegung lasse, andererseits aber auch eine Form der Zurückhaltung, die schnell bieder wirken könne. "Die Frage ist doch", sagt die Designerin, "wer ist die Zielgruppe dieser langen Röcke? Es scheint, als ob die männlichen Designer uns als Businessfrau, Lehrerin und Kindermädchen gleichzeitig wollen."

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Lehrerin und Kindermädchen sind traditionsreiche, weibliche Rollenmodelle, die seit Mary Poppins und Anna Leonowens als keusche Jungfern mit langen Röcken gelten.

Röcke im Kommen: nicht zu kurz und eher streng (Foto: Foto: Reuters)

Die Businessfrau ist historisch das jüngere Modell, mit zwei Gesichtern: Zum einen gibt es da den sexy Glamour und die eiskalte Berechnung von Alexis Carrington, zum anderen die nüchterne Realität von Angela Merkel - stets aber imitieren Frauen in Machtpositionen den Look mächtiger Männer, mit Hosenanzügen und strengen Kostümen.

Je länger, desto reaktionärer

Wagt man einen Blick in die Geschichte der Mode, so wurden die Röcke immer länger, je reaktionärer die gesellschaftliche Grundstimmung war. Als "Power Dressing" bezeichnet man diesen in den konservativen 80er Jahren etablierten Stil. "Dress for Success" hieß es auch, bis der Minimalismus der frühen 90er Jahre - als Zeichen von Verweigerung des überzogenen Konsumverhaltens der vorausgegangenen Dekade - Schulterpolster und starre Formen beerdigte.

Frauen in höheren Positionen müssen in der Kleiderfrage immer zwischen Seriosität und Weiblichkeit abwägen. Sind die Kreationen der Meinungsmacher unter den Schneidern also nun der Versuch, die seriös gekleidete Frau mit Geld neu zu definieren?

Gesellschaftliche Strömungen spiegeln sich oft in Modetrends wieder. Statt einer gewohnten Hypersexualisierung verlieren Frauen plötzlich ihre Kurven, ja sie werden sprichwörtlich in Sack und Asche gepackt.

Mit Anbruch der Moderne ist Damenmode ein wesentlich kreativeres und rentableres Geschäft als Männermode. Die Silhouette der Frau ist mit einer nackten Leinwand vergleichbar, die man nach Gutdünken gestalten kann. Die Dresscodes der Männer dagegen gelten lange als eindeutig: Anzug, Hemd, Freizeithose, fertig. Ehemänner mit gutem Einkommen schenken ihren Frauen repräsentative Kleider, die die Gattin gut aussehen lassen - und ganz nebenbei auch zu ihrer eigenen Statusdefiniton beitragen.

Christian Dior kleidet in den hochkonservativen 50er Jahren mit seinem "New Look" - enges Oberteil, Wespentaille, wadenlanger Glockenrock - eine ganze Generation priviligierter Hausfrauen ein. Die neue Silhouette betont weibliche Rundungen - aber Platz zum Atmen lässt sie der Trägerin kaum.

Coco Chanel, die schon in den 20er Jahren die Frau aus der Korsage der Gründerzeit befreite, hasst den Dior'schen Look - ihre eigenen schlichten, losen Kreationen garantieren Bewegungsfreiheit, ohne an Weiblichkeit oder Eleganz einbüßen zu müssen.

Lesen Sie weiter: Warum Röcke zu Säcken werden

Die sexuelle Revolution der 60er Jahre beendet nicht nur die Karriere des "New Look", sondern auch die der Nachkriegshausfrau. Frauen wollen studieren, arbeiten, wählen gehen, ihr eigenes Geld verdienen und sich ihre eigenen Kleider kaufen. Der Minirock schwingt durch London; die Kleider, die Hubert de Givenchy für Audrey Hepburn entwirft, verzichten auf Taille und zeigen viel Bein. Das entblößte Knie wird zum gesellschaftlichen Tabubruch. Eine Frau in einem Minirock mache sich zum Sexobjekt, nicht zu einer respektablen Frau, heißt es bis heute aus konservativen Kreisen.

Die liberaleren 90er Jahre sagen dem formellen Powerdressing der 80er Jahre endgültig den Kampf an. "Casual" statt "Business", Jeans, Capri-Hosen, Hotpants. In den Pionierjahren des Internets ist modisch alles erlaubt, was gefällt. Stella McCartney entwirft die ersten Jersey-Minikleider der Haute Couture für Chloé, die sich Businessfrauen leisten, die nicht nur in Konferenzräumen oder in Yuppies-Bars sitzen. Die Kleider sind casual und sexy, aber auch sehr edel.

Tanten-Look für Supermodels

Und jetzt, im neuen Jahrtausend, plötzlich das: gemütlicher Tanten-Look, Edel-Säcke und taillenlose Anzüge. Ist dieser Trend der Toplabels vielleicht eine Annäherung an die Realität der Kundin, die nicht 1 Meter 40 lange Beine hat und Größe 34? Mitnichten. Lange Röcke und konturlose Anzüge werden den Schlankheits- und Jugendwahn nicht beenden. Eine durchschnittlich große Frau mit Kleidergröße 42 würde in einem der bodenlangen, wallenden Kleider aus der neuen Dior-Kollektion klein und gedrungen aussehen. Ein karierter Wollrock in Wadenlänge lässt keine Chefin moderner erscheinen. Warum also tun uns die Designer diese unvorteilhafte Mode an?

"Die gesellschaftliche Rolle der Frau heute ist dualistisch angelegt. Intellekt und Körperlichkeit werden voneinander getrennt: Sehr schlau schließt sexy aus. Und sehr sexy bringt automatisch den Verdacht auf geistige Unzurechnungsfähigkeit mit sich. Seit die Mutterrolle für Frauen wieder in den Vordergrund rückt, kommt ein drittes Element hinzu: entweder Karrierefrau oder schöne Geliebte oder Mutter", erklärt Kunst- und Kulturhistorikerin Ellen Blumenstein, die jüngst die Ausstellungen "Zwischen zwei Toden" im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) und "Männerfantasien" im Centre for Opinions in Music and Art (Coma), Berlin, kuratiert hat.

"Die aktuell zu beobachtende Rückkehr der Familie als Hort vermeintlicher Sicherheit könnte man lesen als (männliche) Abwehrreaktion auf Frauen, die sich immer mehr im öffentlichen Diskurs situieren. Den entsprechenden Trend setzten dann (männliche) Designer um, indem sie mit ihren Entwürfen die Sichtbarkeit des weiblichen Körpers aus der Öffentlichkeit verbannen."

Chefsessel statt Sexiness

Nacktheit und Entblößung finden also nur noch im privaten Schlafzimmer statt? "Die Frauen verstecken sogar ihre weiblichen Attribute", fährt Ellen Blumenstein fort. "Bei Marc Jacobs sind die Haare streng zurückgebunden, unter Stirnbändern und Hüten versteckt." Dazu schreibt der amerikanische Autor Mike Mathews: "Eine Frau, die sich sexy anzieht, sollte nicht erwarten, von Männern mit Ernsthaftigkeit behandelt zu werden. Im Minirock aktiviert die Frau das männliche Lustzentrum. Er wird sie fortan als Sexobjekt wahrnehmen."

Heutzutage verzichten Frauen auf Chefsesseln bereits weitgehend auf zu weibliche Kleidung, um ernst genommen zu werden.

Ab Herbst 2008 müssen nun auch Frauen, die sich Dolce&Gabbana leisten wollen, auf die öffentliche Zur-Schau-Stellung ihrer Reize verzichten. Am Ende der Marc-Jacobs-Show winkt der Designer kurz in die Runde, während seine in pastellfarbenen Lang-Blousons gekleideten Mädchen regungslos auf der Empore stehen. "Angst vor einem Planeten der Frauen? Ich will wissen, ob wir noch Freunde sein können!" singt Kim Gordon. Freunde - sicher. Liebende nur, wenn das Licht aus ist.

© SZ vom 5./6.4.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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