Tagebuch New York:Got hope?

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Mit den Brooklynern hat Barack Obama leichtes Spiel. Sie jubeln schon, bevor er spricht. Doch viel mehr als hoffnungsvolle Schlachtrufe hat der Demokrat nicht zu bieten.

Nikolaus Piper

Montag, 27. August 2007 Am vergangenen Mittwoch habe ich meine erste Wahlkampfveranstaltung in New York besucht. Barack Obama, der Jungstar des demokratischen Bewerberfeldes, machte seinen Fans in Brooklyn die Aufwartung. Erstaunlich für den Beobachter war schon allein die Geduld, die seine Fans mit ihm hatten: Ungefähr 2.500 Brooklyner hatten je 25 Dollar gezahlt, um "den nächsten Präsidenten der USA" hören zu können. Für das Geld mussten sie eine Stunde lang stehend im Ballsaal des Marriott Hotels warten, um anschließend 36 Minuten Rede hören zu dürfen.

Barack Obama: "Ein künftiger Präsident, wenn auch nicht unbedingt der nächste." (Foto: Foto: AP)

Das Publikum rekrutierte sich überwiegend aus der schwarzen Mittelklasse Brooklyns, was insofern wichtig ist, als nach Erkenntnissen der Meinungsforscher Obama die Stimmen der Afroamerikaner noch keineswegs sicher hat. Hier in Brooklyn hatte er jedenfalls leichtes Spiel. Der Jubel begann schon, als man vom Kandidaten noch gar nichts sehen konnte. Als Obama dann auf die Bühne trat, gab es im Saal kein Halten mehr, was dazu führte, dass weite Teile seiner Rede im Lärm untergingen.

Aber vielleicht war das auch kein Fehler. Obamas Beiträge in den Fernsehdebatten der demokratischen Präsidentschaftsbewerber waren bisher auch eher enttäuschend unkonkret gewesen.

Wenn Obama gewählt werden sollte, dann wegen seiner Art, mit einfachen Menschen zu kommunizieren. Das fängt mit der Körpersprache an. Obama bewegte sich während seiner Rede in Brooklyn mit einem ganz eigentümlichen, wiegenden Gang. Ein Kollege von CNN nannte diesen Gang kürzlich "South Side of Chicago Walk" - es ist die Art und Weise, mit der sich angeblich junge Männer aus den Armeleutevierteln des südlichen Chicago bewegen, wenn sie groß und stark sein wollen. Obama lebt mit seiner Familie genau dort.

Oder wie Obama seine Zuhörer anspricht. Die erste Hälfte seiner Rede handelte nicht von Obama selbst oder von seiner Politik, sondern von den Menschen, die ihn wählen sollen: "Ihr seid die Leute, die etwas ändern können. Ihr wollt nicht, dass es so weitergeht wie bisher. Amerika dürstet nach Wandel."

Oder der Slogan der Obama-Kampagne: "Got Hope?", was sich so anhört, wie: "Hast du schon Hoffnung?" Und da Obama in diesem Jahr einen Bestseller geschrieben hat unter dem Titel: "Das Wagnis der Hoffnung", weiß jeder, was gemeint ist. Der Slogan eignet sich vorzüglich für die Interaktion mit dem Pub-likum ("Got hope?" - "Yeah!"). In diesen Augenblicken klingt Obama wie ein Predi-ger, genauer: wie Martin Luther King, was sicher kein Fehler ist.

"Sehen Sie jetzt, dass die schwarze Community hinter Obama steht?" rief mir ein Zuhörer nach dem Ende der Veranstaltung zu. Ein anderer, Michael Benjamin, der einen Teil der Bronx für die Demokraten im Staatsparlament von New York-vertritt, ist sicher: "Obama kann gewinnen, das zeigt sich hier in Brooklyn." Außerdem werde er "das Image in der Welt von Amerika verändern."

Die Frage ist nur: Wie weit kommt man mit jugendlicher Dynamik, mit Charisma und Kommunikationstalent, wenn das politische Programm noch sehr unklar ist. Möglicherweise lag unser lokales Anzeigenblättchen, "The Brooklyn Paper", mit seiner Anmerkung richtig: Er sei "ein künftiger Präsident, wenn auch nicht un-bedingt der nächste".

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Montag, 21. August 2007: I'm so sorry

Nicht ohne ein Lächeln: Service wird in den USA groß geschrieben. (Foto: Foto: Getty Images)

Einer der kleinen, aber feinen Unterschiede, die dem Neu-New-Yorker im Vergleich zu Deutschland auffallen, ist die Art und Weise, wie man hierzulande mit Beschwerden umgeht. Wenn ich in einem Münchener Durchschnittsrestaurant sage: "Dieser Wein schmeckt aber nach Korken" - dann wird die Bedienung in der Regel antworten: "Das kann gar nicht sein. Wir haben bei diesem Wein noch nie Beschwerden gehabt." Das Ganze mit dem dazu passenden Blick.

Die deutsche Standardwendung "Das kann nicht sein" muss sehr unamerikanisch sein; ich habe sie jedenfalls in New York noch kein einziges Mal gehört. Wann immer ich mich irgendwo beschweren musste, bekam ich erst einmal eine Entschuldigung zu hören: "Oh I'm soooo sorry!". Und dann tat der oder die Betreffende meist irgendetwas, um mich zu besänftigen.

Die Carsharing-Firma zum Beispiel hatte, wie ich fand, zuviel von meinem Konto abgebucht. "Bitte entschuldigen Sie, wir haben offenbar unsere Geschäfts-bedingungen im Internet nicht hinreichend deutlich gemacht," schrieb mir der Direktor für Kundenbeziehungen und schickte das Geld zurück.

Einmal, an einem heißen Tag, war ich im Ale House an der fünften Avenue außerstande, den dort angebotenen unfassbar süßen Apfelwein zu trinken. Der Kellner umwarb mich sofort. "Bitte entschuldigen Sie, dürfen wir Ihnen ein gutes Bier zum Ausgleich anbieten?" Das war zwar auch nicht gut, aber immerhin.

Der amerikanische Impuls, den Kunden erst einmal zu besänftigen, funktioniert auch dann, wenn das Geschäft dem Kunden in Wirklichkeit gar nicht helfen will. Vor kurzem kaufte ich bei Johnston & Murphy in der Madison Avenue ein paar Halbschuhe, die bereits nach einmal Tragen ihre Farbe verloren. "Oh, I'm soooo sorry," sagte die Verkäufern und gab mir ein neues Paar. Das jedoch war genauso schlecht wie das erste, weshalb ich es wieder in die Madison Avenue bringen musste. "Oh, I'm so sorry", sagte die Verkäuferin wieder. Jetzt bot sie mir aber kein neues Paar Schuhe mehr an, sondern fragte, ob sie mir mal zeigen dürfe, wie man richtig Schuhe putzt. Ich verzichtete und warf die Schuhe nach drei weiteren Versuchen, sie zu tragen, auf den Müll.

Auch Delinquenten werden umworben, mit Worten jedenfalls. Wenn ich eine der vielen Sicherheitszonen rund um die Wall Street verletze, ruft mir ganz schnell ein Polizist nach: "May I help you?" Und wenn ich nicht sofort reagiere, wieder-holt er den Satz. Jetzt klingt es allerdings so, als würde ein deutscher Polizist rufen: "Raus da!"

Oder die U-Bahn: Heftiges Drängeln ist unter New Yorkern durchaus erlaubt, vorausgesetzt, man sagt dabei ständig: "Excuse me!" Und wenn man dann erfolgreich einem anderen Fahrgast seinen Ellbogen in die Magengrube gerammt hat, kann man immer noch sagen: "I'm sooo sorry".

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Montag, 13. August 2007: Die nervöse Stadt

New York ist vermutlich die nervöseste Stadt der Vereinigten Staaten. Umso er-staunlicher ist es, wie geduldig die New Yorker sind, wenn es um ihre U-Bahn geht.

Die Subway, das wichtigste Verkehrsmittel in der Stadt, ist laut, dreckig und unzuverlässig. Wer zum Beispiel mit der Linie F von Brooklyn nach Manhattan fahren will, tut gut daran, 20 Minuten Wartezeit einzukalkulieren, obwohl laut Fahrplan alle vier bis sechs Minuten ein Zug kommen sollte. Stopps auf offener Strecke sind die Regel, nicht die Ausnahme. Das Streckennetz ist so marode, dass ständig irgendwo repariert wird.

Wegen der vielen Großbaustellen wird besonders an den Wochenenden der Verkehr großräumig umgeleitet - deshalb sind die Ansagen in den Zügen so wichtig. Genauer: Sie wären es, würde man sie verstehen, aber das gelingt nicht einmal alteingesessenen New Yorkern. Das liegt nicht nur an den schlechten Lautsprechern, sondern auch am ausgeprägten Dialekt der U-Bahn-Fahrer.

Legendär, was die Verständlichkeit betrifft, ist der Standardspruch der U-Bahn-Fahrer, mit dem sie die Fahrgäste vor der Abfahrt zum Zurückbleiben auffordern: "Stay clear of the closing doors" - was sich ungefähr so anhört: "Staakliaklodo."

All das nehmen die New Yorker mit stoischer Gelassenheit hin. So als sei das U-Bahn-Chaos, ähnlich wie die grotesken Mieten in Manhattan, ein Preis dafür, in dieser schönen Stadt leben zu dürfen.

Doch nun scheint es mit der Geduld ein Ende zu haben. Das hat zwei Gründe. Zum einen mehren sich die Gerüchte, wonach die U-Bahn-Gesellschaft MTA die Preise erhöhen will. Und zum anderen hat es am vergangenen Mittwoch in den frühen Morgenstunden geregnet, wodurch das gesamte U-Bahn-System regelrecht absoff und der Verkehr in der Stadt einen Vormittag lang lahmgelegt wurde.

Es war, zugegeben, ein ungewöhnlich starker Regen: 43 Liter pro Quadratmeter wurden binnen einer Stunde im Central Park gemessen. Außerdem gab es in Brooklyn den ersten Tornado seit Menschengedenken.

Trotzdem kam es in der Öffentlichkeit ausgesprochen schlecht an, als der Chef der MTA im Fernsehen zur Entschuldigung sagte, die Pumpen der U-Bahn seien halt nur auf 30 Liter ausgelegt, außerdem habe der Nationale Wetterdienst das Unwetter nicht vorausgesagt.

Keine Erklärung gab es dafür, warum die Fahrgäste stundenlang in den U-Bahnen festsaßen, ohne ausreichend informiert zu werden. In der Pressestelle der MTA saß den ganzen Vormittag über nur ein Mitarbeiter - die anderen steck-ten ebenfalls in der U-Bahn fest. Und auf der Website der MTA passierte auch nichts.

Sally, die Verkäuferin in unserem Computer-Laden, gehörte auch zu den Op-fern. Drei Stunden saß sie in der Linie F fest - ohne zu wissen, was eigentlich los ist. Als sich MTA-Mitarbeiter zeigten, sei ein regelrechter Aufruhr aus-gebrochen. Sally sagte wirklich "Aufruhr".

Man wird sehen, was passiert, wenn die MTA den Preis für eine Fahrkarte wirklich von zwei auf 2,25 Dollar erhöhen sollte.

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