Studie aus England:Denn sie wollen belogen werden

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Mit der Ehrlichkeit nahm es einst schon Tony Blair wohl nicht so ganz genau. Heute allerdings sind die Briten generell deutlich unehrlicher als noch im Jahr 2000. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Essex. Schwinden Integrität und Vertrauen, kann das fatale Folgen für die Gesellschaft haben.

Lena Jakat

"Der Irak besitzt chemische und biologische Waffen. Seine Raketen sind binnen 45 Minuten einsatzbereit", sagte der damalige britische Premierminister Tony Blair 2002, im Mai 2003 fielen die ersten Bomben auf das Land. Wenig später musste US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld einräumen, dass das doch alles möglicherweise nicht ganz so gewiss sei mit den Massenvernichtungswaffen. Blair dagegen hielt an seiner Aussage fest, doch die ersten Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Regierungschefs waren gesät und sie wuchsen und wucherten - bis zum Untersuchungsausschuss 2010. Vertrauenskrisen sind schlecht für die Politik, für die Demokratie. Doch wenn einer Gesellschaft ganz generell das Vertrauen verloren geht, kann das fatale Folgen haben, warnt Paul Whiteley. Der Sozialwissenschaftler leitete eine Untersuchung des soeben neu eröffneten Zentrums für Integritätsstudien der britischen Universität Essex. Das Ergebnis: Die Briten legen heute deutlich weniger Wert auf Ehrlichkeit als im Jahr 2000.

Test der Universität Essex
:Wie halten Sie's mit der Ehrlichkeit?

Unehrlichkeit ist für die Briten akzeptabler als noch vor zehn Jahren. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Essex. Wie würden Sie in der Untersuchung abscheiden? Machen Sie mit einer Auswahl aus dem Fragenkatalog den Test!

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In einer Online-Erhebung befragten die Wissenschaftler mehr als 2000 erwachsene Teilnehmer zum Thema Ehrlichkeit. Zu den Fragen waren bereits vor zwölf Jahren in einer breit angelegten Studie Antworten erhoben worden. Das Resultat: Die Toleranz der Briten bei Unehrlichkeiten hat in vielen Bereichen zugenommen.

Während 2000 sieben von zehn Befragten ein außereheliches Verhältnis zum Beispiel für "nie gerechtfertigt" hielten, waren es 2011 nur noch halb so viele. Auf deutlich weniger Toleranz stößt übrigens das Fallenlassen von Abfall. Das sei in keinem Fall zu rechtfertigen, finden acht von zehn Briten.

Bei einer einzigen Frage fielen die Antworten entgegen des Trends aus: Das unrechtmäßige Inanspruchnehmen von staatlichen Unterstützungsleistungen. Verurteilten diese Praxis in der ersten Erhebung 78 Prozent der Teilnehmer, waren es 2011 sogar noch mehr, nämlich 85 Prozent. Was Flunkern und Tricksen angeht, sind die Jüngeren offenbar deutlich großzügiger: Auf der "Integritätsskala" der Wissenschaftler erreichten die unter 25-Jährigen einen Durchschnittswert von 47, die über 65-Jährigen 54 Punkte. Das Durchschnittsergebnis aller Teilnehmer lag bei 50 Punkten.

Ehrlichkeit kurbelt die Wirtschaft an

Die Befunde stehen laut Studienleiter Paul Whiteley in engem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Lage. Seiner Meinung nach begünstige Ehrlichkeit die ökonomische Entwicklung, zitiert ihn die britische Zeitung The Telegraph. "Vertrauen ist wichtig, weil es Menschen erlaubt, sich über ihre unmittelbare Familie oder Gemeinschaft hinaus zu bewegen und mit Fremden zu kooperieren. Ein großes Maß an Vertrauen in der Gesellschaft hilft, das zu sparen, was Wirtschaftswissenschaftler Transaktionskosten nennen - den Preis, den Menschen dafür bezahlen, um Geschäfte zu machen."

Ist in einer Gesellschaft wenig Vertrauen vorhanden, müsse das durch institutionalisierte Mechanismen ausgeglichen werden, führt Whiteley aus - wie zum Beispiel durch Verträge und Gerichtsverhandlungen. Das Maß an Integrität wirkt sich dem Wissenschaftler zufolge auch auf andere Bereiche aus: Je weniger hoch Ehrlichkeit geschätzt werde, desto schlechter sei dies für die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht: Vertrauensverlust könne sich negativ auf die Gesundheit und die Zufriedenheit einer Bevölkerung auswirken.

Wie enttäuschtes Vertrauen in Wut umschlagen kann, bekam Tony Blair noch im vergangenen Januar ganz persönlich zu spüren: Als er vor der großen Untersuchungskommission zum Irakkrieg seine Aussage macht, sich windet und kritischen Nachfragen ausweicht, ist der schmucklose Tagungsraum im Queen Elizabeth Conference Centre voller aufgebrachter Beobachter. Draußen vor dem Gebäude demonstrieren einige hundert Menschen. Sie tragen Plakate, auf denen steht "Bliar - Blair, the Liar". Blair, der Lügner.

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Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version war die Rede von "Außenminister Tony Blair". Das ist natürlich falsch. Blair war von 1997 bis 2007 Regierungschef von Großbritannien. Wir bedanken uns bei unserem aufmerksamen Leser für den Hinweis.

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