Streiflicht:Endlich Ruhe!

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Franz Kafka liebte die Stille und konnte es ohne Ohropax nicht aushalten. Nun werden die windelweichen Stöpsel 100 Jahre.

Franz Kafka war einmal in der wenig komfortablen Situation, ein Zimmer zu bewohnen, in welchem er den ganzen elenden Radau seiner Familie in voller Lautstärke abbekam. Aber Franz wäre nicht Kafka gewesen, hätte er die Ungunst der Stunde verstreichen lassen und auf die literarische Veredelung des Krachs verzichtet.

(Foto: Foto: ddp)

Er schrieb die Prosaskizze "Großer Lärm", an deren Ende der Erzähler ernsthaft überlegt, ob er schlangengleich ins Nebenzimmer kriechen und so auf dem Boden seine Schwestern und ihr Dienstmädchen um Ruhe bitten sollte. Nun könnte man Kafka und seine laute, schlimme Welt brutal entzaubern, indem man pöbelt: Warum willst du dich vor den kreischenden Weibern so erniedrigen, Mann aus Prag? Hilf dir selbst, nimm Ohropax! Aber so redet man einfach nicht mit einem wie Kafka. Da schnüffelt man schon lieber, obwohl das auch nicht die feine Art ist, in seinen Briefen herum.

Am 5. Juni 1915 setzte Kafka seine Freundin Felice über seine Maßnahmen zur Lärmabwehr wie folgt in Kenntnis: "Für den Tageslärm habe ich mir aus Berlin . . . eine Hilfe kommen lassen, Ohropax, ein Art Wachs von Watte umwickelt." Die Lieferung der Stöpsel erreichte Kafkas Ohren exakt acht Jahre nach Gründung der Firma, welche nun schon ins stolze hundertste Jubiläumsjahr geht.

Und was soll man sagen? Die Zeiten sind lauter geworden, unsicherer sowieso, und verlassen kann man sich auf fast gar nichts mehr. Da bilden die windelweichen Stöpsel von Ohropax immer noch eine schöne Ausnahme, weil sie sich in die Ohrmuscheln schmeicheln wie signalgelbe Heinzelmännchen, die uns lehren, dass die Stille tief in uns ein hohes Gut ist, für das wir ruhig ein paar Euro ausgeben sollten. Die Firma Ohropax dagegen hat allen Grund, richtig auf die Pauke zu hauen, denn ihre Produktion beläuft sich inzwischen auf 25 Millionen taubheitsfördernde Kugeln im Jahr, so dass die Bevölkerung der Kafkastadt Prag theoretisch zehnfach vor großem Lärm geschützt werden könnte.

Von daher ist es nur natürlich, dass die Firma Ohropax in sympathischem Übermut auf ihrer Internetseite ein Geschicklichkeitsspiel präsentiert, das den pfiffigen Namen "Sound-Memohry" führt. Hier geht es darum, kurze Tonbeiträge mit der Computermaus zu aktivieren, um die gleichlautenden akustischen Satzpaare herauszufinden. Der User hat es hier manchmal mit einer lasziven Frauenstimme zu tun, und die spricht jene pikanten Sätze, die leider nur allzu nahe liegen, wenn ein Produkt beworben wird, das in einen empfindlichen Bereich eingeführt wird. Selbst die Website der Ohropazifisten lässt sich also ohne geräuschdämmende Stöpsel nur schwer ertragen.

Oder, wie Franz Kafka in einem Brief Ende Juli 1922 schrieb: "Ohne Ohropax bei Tag und Nacht ginge es gar nicht."

© SZ vom 4.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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