Stilvoll trinken mit Tequila:Stoff für Rebellen

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Ein Cocktail-Klassiker machte ihn gesellschaftsfähig - pur war Tequila lange verpönt.

Stefan Gabányi

Was dem Deutschen sein Italien, ist dem Ami sein Mexiko: ideale Projektionsfläche für die Sehnsüchte stressgeplagter Jünger der protestantischen Arbeitsethik - Heimat leidenschaftlicher Schnulzensänger und glutäugiger Schönheiten, sinnlich, geheimnisvoll und wild, und was der Südländerklischees mehr sind.

Mal eben zur Flasche greifen? Tequila ist das Getränk der Zukunft (Foto: Foto: Getty Images)

Besonders virulent wurde dieser Exotismus in der Nachkriegszeit, als wachsender Wohlstand es auch dem Mittelstand erlaubte, sich ein wenig Zivilisationsflucht zu gönnen. Zumindest in Mexiko, wo sich dank der US-Prohibition eine blühende Spirituosenindustrie entwickelt hatte, war dies gleichbedeutend mit exzessivem Alkoholkonsum.

Zentrum solchen Treibens war die Grenzstadt Tijuana, wo es alles gab, was die reichen Nachbarn aus dem Norden anlockte: Spelunken, Bordelle, Spielhöllen, Abtreibungsärzte, eine Stierkampfarena und jede Menge fiesen Fusel. Gebrannt aus billigem Zuckerrohr oder Mais, angeboten wahlweise als Whiskey, Gin oder Tequila, genießbar in der Regel nur in Form von Cocktails, also unter Zuhilfenahme von Zucker, Säften oder Limonade. Als Tequila Sunrise zum Beispiel, einem Rezept, das in den 1930er Jahren auf Tijuanas berühmt-berüchtigter Pferderennbahn Agua Caliente populär wurde.

Die Geburt eines Cocktail-Klassikers

Diese süßliche Mischung aus Tequila, Granatapfelsirup und Orangensaft gilt heutzutage nicht gerade als kultivierter Trinkgenuss, ganz anders dagegen die Margarita, jener Cocktail-Klassiker, durch den Tequila in den USA erst gesellschaftsfähig wurde. Zahllose Legenden ranken sich um die Entstehungsgeschichte dieses Drinks und die Dame, nach der er benannt sein soll. Prominenteste Kandidatin hierfür ist Hollywoods Latina-Schönheit Rita Hayworth, anderen Quellen zufolge war es eine gewisse Margarita Sames, die diesen Drink für einen ihrer Liebhaber, einen großspurigen Hotelbesitzer aus dem Hilton-Clan, kreiert haben soll.

So jedenfalls erzählte der Saxophonist und Bandleader Teddy Stauffer die Geschichte, Deutschlands einstiger "Swing-König", der in den vierziger Jahren nach Mexiko emigriert war, um in Acapulco eine zweite Karriere als Partylöwe, Hotelmanager und Nachtclub-Besitzer zu machen. Sein "Tequila a Go-Go" wurde zum Treffpunkt vergnügungssüchtiger Filmstars, und schon bald avancierte das vormals verschlafene Fischerdorf Acapulco zum Biotop des internationalen Jetset - so nannte man damals die Avantgarde des gehobenen Amusements, zu deren Hauptverdienst die Erfindung der Pool Party (und des Après-Ski) zählt. War es in Portofino, dem italienischen Acapulco-Pendant, noch schick, seinen Drink auf der Terrasse oder an Deck zu nehmen, so stieg man in Acapulco mit einer Margarita in der Hand und in voller Abendgarderobe in den Pool.

Derart promoted, machte die Margarita in den USA der fünfziger Jahre als Inbegriff des Vollmond-unter-Palmen-Drinks Karriere, der Genuss von purem Tequila dagegen galt noch lange als degoutant. Um bei aller Schwärmerei für die angeblich sorglose Sinnenfreude der Südländer nicht an der eigenen Kultur zu verzweifeln, musste man ihnen doch immer auch eine gehörige Portion Geringschätzung entgegenbringen. Und so blieb der Mexikaner (ganz wie der Italiener im Wirtschaftswunder-Deutschland) immer ein tumber Geselle, ungewaschen, faul und verschlagen, der sich mit Schnaps volllaufen ließ und dem kultivierte Personen einen süßlich-schwärenden Beigeruch von Chrysanthemen attestieren konnten, die in Gin vermodern.

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400 Götter des Trinkens

Den Kurzen in Ehren kann niemand verwehren (Foto: Foto: iStockphotos)

Auch solche Klischees haben ihren Reiz, vor allem für diejenigen, die in der Fremde nicht Spaß und Abwechslung suchen, sondern Grenzüberschreitung und Gefahr. Schriftsteller und Künstler zumeist, die in Mexiko Anarchie und Inspiration vermuteten und dann vor allem Alkohol fanden, gefolgt von Beatniks, für die Tequila ein cooles Streunerdasein verkörperte, und Hippies, die, immer auf der Suche nach neuen Rauscherfahrungen, die halluzinogene Wirkung der Agavendestillate Tequila und Mezcal erkunden wollten.

Der einschlägige Ruf der Agave geht auf die Azteken zurück, die sie Maguey nannten und als Fruchtbarkeitsgöttin verehrten, als Mutter der 400 Hasen, jener 400 Götter des Trinkens, die jeder für sich eine Form des Rausches repräsentierten. In Europa gab man der Agave immerhin den Namen einer der Mänaden im Gefolge des Dionysos, die von Wein und religiöser Inbrunst berauscht ihrem eigenen Sohn den Kopf abriss.

Der vergorene Saft dieser Pflanze wird Pulque genannt und war lange Zeit das verbreitetste alkoholische Getränk des Landes. In destillierter Form wird daraus Mezcal beziehungsweise Tequila; der wiederum ist eine Sonderform des Mezcal, die nur in einer bestimmten Region in der Provinz Jalisco hergestellt werden darf, und allgemein als qualitativ höherwertig angesehen wird.

Was die halluzinogene Potenz dieser Getränke angeht, so mussten all jene eine herbe Enttäuschung hinnehmen, die von Mezcal eine ähnliche Wirkung erwartet hatten wie von Meskalin, jenem psychoaktiven Alkaloid, das einem Kaktus entstammt und ähnlich extravagante Zustände hervorrufen kann wie LSD. Obwohl es also mit der bewusstseinserweiternden Kraft der Agave nicht weit her ist, vermittelte der Genuss von Tequila offenbar noch genügend Rebellenattitüde, um in der Gegenkultur der späten sechziger Jahre verwurzelt zu bleiben. Nicht zuletzt wohl deshalb, weil die zum Teil atemberaubende Schärfe vieler Tequilas dem Trinker einigen Mut abverlangte, nicht zu reden von der erstaunlich schnellen Intoxikation, mit der man zu rechnen hatte - auf keinen Fall war das ein Drink für moralisch gefestigte, etablierte Erwachsene.

Die Agaven sind ausverkauft

Die rasch steigende Nachfrage bescherte den Produzenten ernsthafte Lieferschwierigkeiten, denn Agaven brauchen sechs bis acht Jahre, um ausreichend gärungsfähige Stärke zu produzieren, die dann weiter verarbeitet werden kann; abgesehen davon schien es nun ratsam, die Qualität zu vereinheitlichen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Die gesetzlichen Regelungen, die Anfang der siebziger Jahre in Kraft traten, brachten verbindliche Qualitätsstandards bezüglich Brenntechnik und Lagerung, dem Rohstoffengpass begegnete man ganz pragmatisch mit der Zulassung von Zuckerrohr zur Tequilaherstellung. Seither muss man zwischen hochwertigem 100% Agave Tequila (so steht es auf dem Etikett) und einfachem Mixto unterscheiden, der meist nur entfernt an das Original erinnert.

Dass ein derartiges Ersatzprodukt auf dem Weltmarkt reüssieren konnte, zeigt, welch geringe Rolle der Geschmack eines Genussmittels spielt, solange nur das Marketing stimmt. Tequila wurde als unangepasstes Spaßprodukt verkauft, dessen derber Charme durch alberne Rituale wie dem "Slammer" noch verstärkt wurde: Dafür füllt man ein Schnapsglas je zur Hälfte mit Tequila und einem Limonadengetränk nach Wahl (zumindest in München durfte dafür auch Champagner herhalten), deckt es mit der Hand ab, um es hochzuheben und dann mit Karacho auf die Theke zu donnern; das Glas nun schnell zum Mund führen und schon schießt die aufgeschäumte Plempe die Kehle hinunter (und manchmal auch wieder hoch).

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Schnaps und Mainstream

Etwas verwegener kommt der angeblich alte mexikanische Brauch daher, bei dem hierzulande eher kleingewachsene Großstadt-Cowboys einen Zitronenschnitz auszuzeln, sich eine Prise Salz vom Handrücken lecken und dann einen Tequila kippen (oder andersrum).

Mit dem weltweiten Siegeszug der TexMex-Gastronomie verkam Tequila dann endgültig zum Mainstream-Artikel, der ein tristes, mit Erdbeersirup verkleistertes Dasein in Literkrügen fristet und den sich spätpubertierende Kampftrinker zu klebrigem Rockgedröhne und ebensolcher Bohnenpampe einflößen. Während sich die Jugend der westlichen Welt derart vergiftete - mit Rübenzuckerdestillaten etwa, die in Spanien und Griechenland hergestellt und bis in die neunziger Jahre in der EU als Tequila verkauft werden durften - mutierte der Tequila in Mexiko vom Arme-Leute-Schnaps zum Edelbrand.

Den Grundstein dafür hatte die Firma Herradura bereits 1974 gelegt, indem sie ihre Destillate bis zu einem Jahr in Eichenfässern reifen ließ. Bis dahin wurde Tequila gleich im Anschluss an die Destillation (Blanco) oder nach einer mehrwöchigen Ruhezeit (Plata) auf Flaschen gezogen. Die von Herradura entwickelte neue Kategorie (Reposado) stellt heute den Löwenanteil des mexikanischen Marktes. Noch länger gelagerte Tequilas heißen Añejos; sie haben im Fass eine dunkle Farbe angenommen, im Unterschied zu den Gold genannten frischen Destillaten, die schlicht mit Zuckerkulör gefärbt sind. All diese Kategorien gibt es als Mixto sowie (mit Ausnahme von Gold) als 100% Agave Tequilas, wobei letztere bis vor wenigen Jahren außerhalb von Mexiko so gut wie unbekannt waren.

Das änderte sich erst mit der Marke Patrón, die in den 90ern in den USA herauskam. Patrón ist eine typische Designermarke, konzipiert für einen internationalen Konzern von einem Kreativdirektor, der bis dato Haarpflegeserien unter die Leute brachte. Mit einem Preis von 40US-Dollar kostete Patrón bei seiner Markteinführung ungefähr soviel wie drei Flaschen einer Standardmarke. Dieses Premiumisation genannte Konzept profitiert davon, dass bestimmte Konsumgüter nur noch dann gekauft werden, wenn ihr Preis einigermaßen exklusiv ist. Inzwischen haben nahezu alle Tequilaproduzenten mit Premiummarken nachgezogen, und Patrón stieg folgerichtig mit einem Superpremium in den Ring, einem weißen Tequila für 200US-Dollar: Darauf können auch nur die Gringos kommen.

© SZ vom 02.02.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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