Starköchin Sarah Wiener:Frau mit Alpha-Mentalität

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Sie braucht keinen Stern und keine Ausbildung, um ganz vorne mitzukochen. Starköchin Sarah Wiener blickt auf eine ungewöhnliche Karriere.

Mirja Kuckuk

Eigentlich hat sie keine Zeit, sich zu wundern. Als Frau in einer Männerdomäne, erfolgreich mit drei Berliner Restaurants und einem Catering-Service, freitagabends im Studio bei Johannes B. Kerner, um die Wette kochend mit Johann Lafers und Alfons Schuhbeck, Fernseh- und Buchprojekte präsentierend, und dabei immer im Kampf für artgerechte Tierhaltung. Sarah Wieners Programm ist stramm, da bleibt wenig Muße zur Reflexion.

"Ganz nah am Produkt" ist Sarah Wieners Devise. Und so geht sie auch auf Wildschweinjagd und zum Muschelfischen, ehe sie sich an den Herd stellt. (Foto: Foto: ddp)

Das ist auch nicht ihre Sache. Wiener packt lieber an, probiert aus; als "ungeduldiger" Mensch hasst sie Langeweile. "Mein Lebensweg ist viel zu rasant, um zurückzuschauen. Viel spannender ist für mich immer das Morgen und Übermorgen." Auch wenn die 46-Jährige selbst sich die Zeit nicht nimmt, lohnt sich ein Blick auf ihren Werdegang.

Abenteuer suchen, einfach alles ausprobieren - die Grundregel des Kochens - hat sich Sarah Wiener früh zu eigen gemacht. Mit 17 schmeißt sie das Mädcheninternat in Wien, trampt durch Europa, hütet Schafe in Südfrankreich und pflückt Orangen in Spanien. "Ich habe nicht irgendein Erweckungserlebnis von meiner Europatour erwartet. Wie ein ganz normaler Teenager hatte ich Langeweile und suchte das Abenteuer gesucht."

Erfolgsrezept "Gulaschkanone"

Am Ende ihrer Reise landet sie in Berlin - und auf den Füßen. Als Küchenhilfe im Kreuzberger Restaurant "Exil" ihres Vaters, des österreichischen Schriftstellers Oswald Wiener, verdient sie ihren Lebensunterhalt und lernt ihr heute hochgelobtes Handwerk. Sie schaut ab und lässt sich zeigen. Mit einer alten NVA-Gulaschkanone katapultiert sich die Autodidaktin schließlich nach vorn: 1990 kauft sie sich auf Kredit einen ausrangierten Armee-Küchenwagen und steigt ins Filmcatering ein. Wiener macht sich bald einen Namen in der Branche, bekocht mit ihrer mobilen Küche internationale Filmcrews und Stars wie Isabelle Huppert, Veronica Ferres, Bruce Springsteen, Kate Moss und Janet Jackson.

Der Weg von unten nach oben lässt sie Bodenhaftung wahren. Auch heute, als Chefin von über hundert Beschäftigten in drei Restaurants und einem Catering-Service, nimmt sie sich bewusst zurück. Wenn sie in Berlin ist und Zeit hat, übernimmt sie in ihren Küchen häufig, wie sie sagt, die "Kärnerarbeiten". Sie stellt sich hin und rupft Hühner, schält Kartoffeln oder filettiert kistenweise Fisch. "Die 'Hier-kommt-der-Chef-Mentalität' liegt mir nicht", sagt die gebürtige Nordrhein-Westfälin mit leichtem Wiener Schmäh. "In meinen Küchen arbeiten gut funktionierende Teams, da muss ich mich einfügen."

Ein schärferes Regiment führte Sarah Wiener in der ARD-Doku-Soap "1900". Dort ließ sie ihrem Naturell etwas freieren Lauf und trat als gestrenge Mamsell auf, die in der Küche die Angestellten antrieb. "Das war ein spannendes Experiment, eine Mischung aus Schauspiel und Wirklichkeit", erzählt sie. "Ich habe mir vorgestellt, wie ich vor 100 Jahren gewesen wäre. Heute kann man - zum Glück - nicht mehr so mit Menschen umspringen, aber damals ging man mit Untergebenen einfach härter um."

Weiter: Sarah Wieners neue Liebe

Kaum Zeit für Eitelkeit

Allzu viel Zeit in den eigenen Küchen bleibt der Unternehmerin meist nicht, denn sie "tanzt auch im Fernsehen mit". Als vor drei Jahren Johannes B. Kerners Freitagabend-Show an den Start ging, war Sarah Wiener begeistert mit dabei: "Das hatte etwas Anarchistisches, für die deutsche Fernsehlandschaft fast schon Revolutionäres. Es gab kein Konzept, man durfte einfach ausprobieren." Köche, die nicht nur das Küchenhandwerk, sondern auch ihr Selbstmarketing verstehen, brutzeln heute auf der Mattscheibe. "Mitmachen, um Erfolg zu haben, muss man nicht. Aber klar ist da ein bisschen Eitelkeit dabei", gibt Sarah Wiener zu.

Für Eitelkeiten nimmt sie sich normalerweise keine Zeit. Denn es gibt so viel Gutes zu tun und zu verbessern auf der Welt. Gegen die Tötung Tausender männlicher Küken aus wirtschaftlichen Gründen setzt sie sich als Schirmherrin des Tierschutzfonds ein und kämpft an zweiter Front für einen "Haushalt ohne Genfood". Möglichst natürlich soll nämlich auch das Essen sein, dass die unprätentiöse Köchin serviert. "In meinen Restaurants und zu Hause wird bio gekocht. Ich bin aber keine Sektiererin. Wenn ich in Berlin-Mitte bin und keine Zeit habe, stundenlang zum Bio-Bauern rauszufahren, dann behelfe ich mir auch mal mit konventionellen Produkten. Man muss pragmatisch bleiben."

Die neue Liebe

Wochenlang Zeit hingegen nahm sich Wiener für ein Projekt, das ganz besonders ihrer Leidenschaft entspricht - losfahren und ausprobieren. Mit einem alten roten VW-Käfer-Cabriolet durchkreuzte sie Frankreich und entdeckte die lokale Küche. "Ein bisschen Nouvelle und Haute Cuisine kennen wir alle, jeder hat schon mal von Bœuf Bourguignon oder Éclair gehört, aber die ländliche Küche war auch mir völlig fremd." "Sarah Wieners kulinarische Abenteuer" überschrieb Arte das Projekt und strahlte es im vergangenen Jahr in 20 Folgen aus.

Die Entdeckungsreise führte Wiener zu Küchenchefs im Périgord, in der Bretagne und Marseille. In den fremden Küchen musste Wiener wieder einmal ihr Improvisationstalent unter Beweis stellen: Einen Versuch hatte sie frei, um die Bouillabaisse so tadellos wie ihr Marseiller Kollegen aufzutischen oder die Wildschweinkoteletts wie der Kollege aus den Ardennen. Die Fische hatte sie - natürlich - zuvor selbst gefischt, die Wildschweine eigenhändig erlegt.

"Die ländliche französische Küche ist so wunderbar authentisch", begeistert sich Wiener, "die Franzosen haben das Glück, in einem weniger industrialisierten Land und in einem vielfältigeren Klima zu leben. Den Stolz auf ihre Produkte merkt man ihrer Küche an."

Das Tamtam der Sterneküche liegt der "ungeadelten" Köchin nicht. Österreichisch kochen lernte sie von ihrem Vater, lässt sich aber von vielen Länderküchen inspirieren. Seit ihrer Frankreichreise fühlt sie sich mittlerweile "fitter in der französischen als in der deutschen Küche".

Dennoch, zu Hause - wo seit kurzem Freund und Schauspieler Peter Lohmeyer und von Zeit zu Zeit ihr 20-jähriger Sohn mit am Tisch sitzen - ist ihr eine ehrliche Kelle Gulasch auf dem Teller am liebsten. "Ich koche gern wie eine deutsche Hausfrau, ganz bodenständig", sagt Wiener. "Ich habe keine Lust, Türmchen zu schichten, um zu sagen: 'Schau, das hast du noch nicht gesehen.' Ich will den Geschmack nicht neu erfinden."

Mit dieser Ungezwungenheit hat sich Sarah Wiener einen Namen in der deutschen Kochszene gemacht. Männerdominanz, Sternesegen und Gault-Millaut-Rankings lassen sie unbeeindruckt. Nochmal nachgehakt, wie sie sich denn so viel Erfolg und Durchsetzungsvermögen erkläre, zuckt sie mit den Schultern: "Ich habe meinen Erfolg nicht geplant, es gab schließlich nicht nur Höhen, sondern auch Schlappen. Aber ich denke, ich habe eine Alpha-Mentalität: Mich durchzusetzen habe ich mit fünf Jahren gelernt, danach lief's."

"Die kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener", ARTE/zero one film Gmbh, Frankreich/Deutschland 2007

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