Serie: Die neuen Alten (2):Die Berufsjugendlichen

Der eine altert schneller, der andere langsamer. Unbewusst tut es keiner mehr. Die Generation "Silver Sex" setzt auf Selbst-Design - und altert smart optimiert.

Violetta Simon

Sie bekommen Babys, heiraten 20-Jährige, kennen die neuesten Fitness-Trends - die "neuen Alten" sind im Kommen. Auch die Werbung hat sie für sich entdeckt - jedoch mitnichten als senile Corega-Tabs-Nutzer, die auf Klosterfrau Melissengeist schwören. Vielmehr als Repräsentanten einer neuen, zahlungskräftigen Zielgruppe. Kein Wunder, dass die agilen Senioren zahlreiche Trendscouts und Zukunftsexperten beschäftigen. Im Zentrum ihrer Forschungsarbeit steht nicht nur die Frage, wie ältere Menschen heute in der Gesellschaft leben. Sie versuchen auch aus der aktuellen Entwicklung zu schließen, wie wir in Zukunft altern werden.

generation "silver sex"; senioren mit surfbrett

"Silver Surfer", Generation "Silver Sex", "Babyboomer" - es gibt viele Namen für die neuen Alten.

(Foto: Foto: iStockphotos)

Die Trendforscher Corinna Langwieser und Peter Wippermann haben für diese Altersgruppe den Begriff "Generation Silver Sex" erschaffen. In ihrem Buch "Länger leben, länger lieben" skizzieren die beiden Autoren das Lebensgefühl der sogenannten Baby-Boomer, die zwischen 1946 und 1964 geboren wurden. Fazit: Diese Altersgruppe ist die reichste Generation, die wir in Deutschland je hatten. Nur 17 Prozent der über 50-Jährigen fühlen sich so alt, wie sie sind. Die Hälfte von ihnen macht sich lieber ein schönes Leben, statt ihr ganzes Geld für den Nachwuchs zu sparen. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung treiben sie am meisten Sport und: Sex verliert keineswegs an Bedeutung.

Langwieser, die für das "Trendbüro" in Hamburg forscht, ist davon überzeugt, dass wir es weniger mit einer neuen Ära zu tun haben, als vielmehr mit der Fortsetzung einer Lebenshaltung. Diese Gruppe repräsentierte einst die "Jugendwelle", es sind selbstbewusste Persönlichkeiten mit eigenen Erwartungen und Ansprüchen an das Leben. "Wir sprechen hier von den sogenannten 68ern, für die Begriffe wie Selbstverwirklichung und persönliche, auch sexuelle, Freiheit immer schon wichtig waren", erklärt die 38-Jährige. Was ältere Menschen heutzutage motiviere, sei die Möglichkeit, das Beste aus sich, ihrem Körper, ihrem Leben zu machen. Ihr zentrales Thema lautet "Selbstdesign", und sie tun etwas dafür. Kosmetik, Food, Gesundheitsvorsorge, Bildung, Sport, Kultur werden gezielt eingesetzt, um geistig fit und körperlich attraktiv zu bleiben.

Der ewige Jugendliche

Der Körper rückt dabei immer mehr in den Mittelpunkt, wird Mittel zum Zweck, das die eigene Attraktivität und die Weltanschauung reflektiert. Die Kehrseite der Medaille: Der allgegenwärtige Leistungsdruck hat damit auch die Alten erreicht. "Höher, schneller, weiter" lautet die Devise, die bislang immer nur die Berufstätigen auf Trab hielt. "Bestimmt wird es auch in Zukunft Menschen geben, die sich dem Alterungsprozess beugen", relativiert Langwieser, "doch gänzlich unbewusst wird es nicht ablaufen." Jeder überlege sich genau, ob er sich lieber perfekt verjünge, nur smart optimiere oder ganz und gar natürlich altere. "Nur eines wird es nicht mehr geben", ist sich die Trendforscherin sicher: "unbewusst-ungestylt altern."

Darüber freut sich nicht zuletzt die Schönheitschirurgie. Sie profitiert von einem neuen Trend: dem Wiederherstellen des Ursprungszustands. Nach Meinung von Experten geht die Entwicklung in diese Richtung weiter: "Das wird so dazugehören, wie wenn ich zum Friseur gehe", sagt Dieter Riediger, Professor für Plastische Chirurgie am Universitätsklinikum Aachen voraus. Wer 70 Jahre alt sei, geistig aber wie 45, wolle auch so aussehen. Kein Wunder also, dass schätzungsweise 65 Prozent der Patienten über 50 Jahre alt sind.

So mancher schießt dabei leider übers Ziel hinaus. Das zeigt sich vor allem bei Prominenten wie Farrah Fawcett oder Mickey Rourke, deren Gesichter - jeglicher Mimik beraubt - eher starren Masken ähneln, als Jugendlichkeit auszustrahlen. Andere wiederum setzen lieber auf Natürlichkeit und aktivieren ihre eigenen Kräfte. In seinem Buch "Mensch, beweg dich!" verrät Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt die Geheimformel für ein längeres Leben - und trifft damit den Nerv der Zeit. Die Devise des prominenten Sportmediziners: Wer mit 50 aussehen will wie 40, muss mit 30 anfangen, etwas dafür zu tun. Die logische Konsequenz: Wer später altert, wird auch später erwachsen. Experten setzen diese Entwicklungsstufe auf etwa 40 Jahre an. "Wir fühlen uns nur kurz als Kind gut und treten dann in eine Phase kaum enden wollender Jugendlichkeit ein - sicherlich mit negativen Konsequenzen für die Gesellschaft, die Familienplanung und die Rentenkassen", erklärt Langwieser.

Die Berufsjugendlichen

Wo bleibt da die Würde des Alters? Was ist mit Weisheit und all jenen Attributen, die man bisher immer mit älteren Menschen verband? "Die Würde des Alters wird auf später verschoben", sagt die Trendforscherin. "Gerade die jungen Alten wollen erst einmal leben und erleben." Würdevoll und ruhig zu altern, bleibe damit jenen vorbehalten, die wirklich als "alt" gelten - nach Meinung der Deutschen alle jenseits der 75. Selbst wenn ihre Protagonisten in die Jahre kommen - die individuellen Rollenmodelle bleiben zu großen Teilen bestehen. "Auch das Modell des Dauerjungendlichen, wie es ein Dieter Bohlen kultiviert, wird es im Alter weiter geben", bestätigt Langwieser.

Serie: Die neuen Alten (2): Mickey Rourke ist faltenfrei. So faltenfrei, dass keine Haut für ein normales Lächeln mehr übrig ist.

Mickey Rourke ist faltenfrei. So faltenfrei, dass keine Haut für ein normales Lächeln mehr übrig ist.

(Foto: Foto: getty images)

Wenn Silver Surfer flirten

Dass die Generation Silver Sex in der Gegenwart angekommen ist, macht sich nicht zuletzt in den neuen Medien bemerkbar. Immer mehr Internetportale haben sich auf Senioren spezialisiert. Webseiten mit aussagekräftigen Namen wie forum-fuer-senioren.de, CharmAge.de, endlich55.de, bieten virtuelle Treffpunkte, auf denen sich die Teilnehmer kennenlernen und austauschen können, oder informieren über alternative Wohnformen und Gesundheit. Auch die Partnersuche über Internet erfreut sich bei älteren Singles wachsender Beliebtheit: Laut einer Studie der online-Partnervermittlung Parship beträgt die Quote der sogenannten Silver Surfer in Deutschland derzeit 43 Prozent - eine bemerkenswerte Entwicklung, wenn man bedenkt, dass die Zahl der Singles über 50, die das Internet für die Partnersuche nutzten, 2004 noch bei knapp 14 Prozent lag und 2006 bereits auf 29 Prozent anstieg.

Neben ihrem Privatvergnügen nutzen Senioren das Internet auch wegen der Informationen zum Thema Job und Weiterbildung oder suchen Hilfe im Umgang mit moderner Technik. Dass diese eine immer größere Relevanz erfährt, zeigt sich im Erfolg von Buch-Reihen wie "Opa, das kannst du auch!", in denen ein Enkel seinem 85-jährigen Großvater die Geheimnisse eines Computers, des Internets oder einer Digitalkamera erklärt. Die erhöhte Akzeptanz des Mediums hat den Bundesverband50plus sogar dazu veranlasst, einen Internet-Sender für seine Zielgruppe einzurichten - auch wenn 50Plus-TV eher den Eindruck vermittelt, es handelt sich um eine Marketingaktion beteiligter Firmen.

Hilflos und ratlos

Die Werbung hat erkannt, dass es an der Zeit ist, das Potential der liquiden Senioren zu nutzen - sie weiß nur noch nicht, wie. "Die Branche hat zwar verstanden, dass sie sich nicht länger auf ihrer Kernzielgruppe zwischen 14 und 49 Jahren ausruhen kann, doch die Verwirrung ist noch groß", sagt Trendforscherin Langwieser. Wie wollen die über 50-Jährigen angesprochen werden? Wie alt dürfen die Alten aussehen? In ihrer Hilflosigkeit beschränkt sich die Werbebranche auf die Darstellung vitaler, sonnengebräunter Menschen mit weißem Haar und noch weißeren Zähnen. Eine der wenigen Ausnahmen: die Werbekampagne der Kosmetikfirma "dove", die in ihren Spots mit dem Alter kokettiert - eine Marketingstrategie, die sich als überaus erfolgreich erwies.

Auch die TV-Branche scheint zum Thema "Silver-Sex-Generation" noch nicht recht in die Gänge zu kommen. Das von Max Schautzer geplante Senioren Format Bono-TV sollte Mitte des Jahres an den Start gehen, wurde aber erst einmal bis zum Ende des Jahres verschoben. Zwar sei die Konzeptionierung bereits abgeschlossen, so versichert man bei Bono-TV. Doch wer kann sich da schon sicher sein in einer Zeit, in der die neuesten Forschungsergebnisse über die begehrte Zielgruppe sich rascher erneuern, als das für sie vorgesehene Fernsehformat.

Abgesehen davon halten die meisten Medienexperten überhaupt nichts von speziellen Fernsehformaten für ältere Menschen. Auch Manfred Helmes, Direktor der Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz, erteilt der Idee eine Absage: "Dass ich alt bin, weiß ich selbst. Dazu brauche ich keine Sendung, die mir das zeigt." Und so hält man sich weiter an das bewährte Konzept: Senioren sollen in erster Linie attraktiv rüberkommen.

Dasselbe lässt sich auch in der Werbung beobachten. "Hier besteht in jedem Fall Nachholbedarf", sagt Langwieser. Medienforscher fanden in einer Studie im Jahr 2007 ("Ein Blick in die Zukunft - Demographischer Wandel und Fernsehnutzung") heraus, dass die über 50-Jährigen wegen ihrer hohen Kaufkraft für die Werbebranche an Bedeutung gewinnen werden. Wie WDR-Programmchef Karl-Heinz Angsten bei der Präsentation der Studie erklärte, ist dieser Aspekt vor allem ökonomisch zu verstehen. "Natürlich ist es auch soziologisch interessant, wenn sich Opa noch ein Cabrio kauft", sagte Angsten. Aber die wirtschaftlichen Interessen stünden eindeutig im Vordergrund.

Der Markt reagiert

Etwas entschlossener als die ratlose Werbebranche reagiert die Wirtschaft selbst. Vor allem dienstleistungsorientierte Unternehmen haben erkannt: Die Generation der heutigen Älteren ist so aktiv und vermögend wie keine andere zuvor. "Und vermutlich auch so, wie nie eine nach ihr sein wird", prophezeit Langwieser. Auf diese zahlungskräftige Klientel stellen sich immer mehr Anbieter ein, etwa in Form von Reisen unter ärztlicher Begleitung, Sport unter medizinischer Aufsicht, Kultur- und Bildungsangeboten mit altersgruppenrelevanten Themen. Auch die Kinos ziehen nach: Immer mehr Betreiber bieten Käse und Wein statt Cola und Popcorn an, reduzieren die Foyer-Beschallung, dimmen die Beleuchtung und passen ihr Filmangebot an.

Die Filmindustrie selbst hingegen traut sich noch nicht so recht an die Alten ran. Zwar setzen sich Filme wie "About Schmidt" und "Was das Herz begehrt" auf überaus gefällige und ästhetische Weise mit den Themen "Alter" und "späte Liebe" auseinander. Doch die Vorlagen entstammen dem präviagrischen Zeitalter, zur Sache ging es nur unter der Decke. Wenn es darum geht, Senioren als körperliche, sexuell aktive Wesen in Aktion darzustellen, guckten wir lieber weg. Andreas Dresens Film "Wolke 9", eine leidenschaftliche Liebesgeschichte zwischen einem 80- und einer verheirateten 70-Jährigen, erregte aus gutem Grund so viel Aufsehen in der deutschen Kinolandschaft: Er war der Erste seiner Art. Regisseur Dresens versteht nicht, warum im Kino keine alten Leute vorkommen sollen. "Und zwar so wie sie sind!" Doch darauf müssen wir noch ein bisschen warten, da ist sich Trendforscherin Langwieser sicher: "Gerade die Riege der hochgelobten älteren deutschen Schauspielerinnen sieht alles andere aus als alt."

Doch egal, wie glatt die Haut der Leinwand-Diven auch sein mag: Um das Altern kommt keiner herum. "Nicht alle Angehörigen der Generation Silver Sex werden gleich erfolgreich bei ihren Anti-Aging-Bemühungen sein", sagt Langwieser. Die einen verfügen über das nötige Kleingeld, um sich äußerlich zu optimieren - sei es mit Hilfe von Kosmetik, Nahrungsergänzung, Wellnessbehandlungen oder chirurgischen Eingriffen. Andere besitzen die nötige Gelassenheit, bewusst und schön zu altern. Nur wer weder das eine noch das andere kann, wird sich schwertun.

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