Schöner wohnen:Bitte recht zeitlos

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Möbel- und Produktdesign erfährt eine Aufmerksamkeit wie nie zuvor. Sensationsheischend wirken viele aktuelle Entwürfe trotzdem nicht.

Von Max Scharnigg

Egal, ob die Firmen sich tatsächlich auf der Messe präsentieren oder nicht: Der Salone del Mobile in Mailand ist das Nebelhorn der Wohnbranche weltweit. Sie verspricht sich davon jeden Frühling wegweisende Signale und einen Gesamtausblick auf all das, was wirklich zählt, zwischen Badezimmer und Büro. Und in Zeiten, in denen die Disziplin "Schöner Wohnen" und die Vorsilbe "Design-" zum Breitensport geworden sind, wird dem Salone noch mehr Strahlkraft zugeschrieben, mehr als 300 0000 Besucher und 5000 Journalisten reisten deswegen an.

Vielleicht war das auch zu viel Erwartung. So gab es diesmal am Rande auch kritische Töne, und zwar von den Hauptakteuren selbst, den Designern. Gerade weil sich unzählige Blogs und Plattformen im Netz heute für ihre Arbeit interessieren und sich neue Entwürfe rasend schnell verbreiten und ständig Bild-Nachschub gefordert wird, sehen sie die Gefahr einer Banalisierung und sich selbst zunehmend als Showmaster missverstanden. Namhafte Gestalter wie Philippe Starck, Konstantin Grcic und Patricia Urquiola jedenfalls äußersten sich in einem viel beachteten Artikel der Branchenplattform Dezeen erschöpft von dem Superstar-Status, der ihnen in Mailand zugeschrieben wird. Er könne kaum einen Messegang entlanggehen, ohne gefilmt zu werden und ad-hoc-Interviews zu geben, sagte Grcic dort, und Patricia Urquiola fühlte sich während der sieben Tage des Salone an ein Wildwest-Szenario erinnert, wo mit den Smartphones von allen alles abgeschossen werde und der Designer daneben wie Vieh vorgeführt. Das ist wohl vor allem ungewohnt - zu viel Interesse ist jedenfalls eine Klage, die aus Messehallen selten dringt und auch etwas seltsam tönt. Die Modebranche hatte diese geballte Aufmerksamkeit der Webreporter und Instagram-Trophäenjäger bereits vor einigen Jahren zu verdauen - in der langsameren und eher leisen Welt von Lichtgestaltern und Stuhlbauern tut man sich damit scheinbar noch etwas schwer.

Kein Wunder, schließlich steht hier ja auch das Haptische im Mittelpunkt, nicht das Digitale oder die schnelle Optik. Materialien, Funktion, Texturen und Oberflächen sollen für sich sprechen, und ein Sofa wie etwa das Bugholzsofa (Bild oben links) , das Thonet vorstellte, muss man tatsächlich persönlich kennenlernen und er-sitzen, um zu verstehen, wieso sein Schöpfer Christian Werner so stolz darauf ist. Es vereint vornehme Schlichtheit mit Eleganz und ist trotzdem so bequem, wie ein Sofa sein soll: Dass man nämlich keine Sekunde mehr daran denkt, wenn man darauf Platz genommen hat. Das lässt sich in Blogs vielleicht nachlesen und auf Instagram erahnen, aber erfahren muss man es auf dem analogen Weg.

In vielen Ateliers und Studios scheint die Antwort auf die gewachsene Design-Begeisterung der breiten Masse eher eine Flucht in Erprobtes und betont Nicht-Knalliges zu sein. Die Suche nach einem Instant-Klassiker, das Ringen um ein Design, das wirkt, als hätte es längst eine Nummer im MoMa-Archiv, ist in vielen Sortimenten auffällig. Ruhige Formen und matte Farben dominieren, bei den Materialien ist der provozierende Kupfer- und Messingglanz eher dezenten Wiedergängern wie Kork und Marmor gewichen. Übrigens präsentierten sich auch die Jungdesigner wenig radikal, für die in Mailand mit dem Salone Satellite ein eigener Bereich existiert: Helles Schichtholz, Anlehn-Möbel und ein wenig 3D-Spielerei gibt es dort schließlich schon seit einigen Jahren zu sehen. Beinahe wirkte es in diesen Präsentations-Kuben der jungen Talente, als wüssten die Absolventen der Designuniversitäten gar nicht mehr genau, welche Möbel für welche Räume und für welchen Menschen eigentlich neu zu denken wären. Die Frage, was für eine Wohnumgebung das digitalisierte Leben eigentlich fordert, ist jedenfalls weiterhin offen. Einen der ernsthaftesten Ansätze in dieser Richtung bot außerhalb des Messebetriebes ausgerechnet Ikea. Der Massenmöblierer exerzierte in einem Mailänder Hinterhof seine Vision einer vernetzten Küche und zeigte nebenbei mit Produkten von namhaften Designern, dass auch hier der Wunsch der Kunden nach kreativ kuratierter Einrichtung und individuellem Wohnen gehört wird.

Neuer Witz und Wille zum Skulpturalen findet sich dieses Jahr am häufigsten noch bei den Lichtgestaltern. Eine Lampe wie die "Follow Me" (Bild oben) des spanischen Herstellers Marset dürfte dabei den Zeitgeist ziemlich perfekt spiegeln. Sie sammelt mit ihrer putzigen Form und dem Materialmix aus Eiche und Polycarbonat perfekt die Blogger-Sympathien, ist mobil, kann also ein Picknick ebenso erleuchten wie einen Schreibtisch und wird folgerichtig auch modern über einen USB-Anschluss geladen. Klein, originell und relativ günstig - die perfekte Designtrophäe von heute.

© SZ vom 25.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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