Schön doof:Zu den Waffen, an die Töpfe!

Lesezeit: 1 min

Illustration: Bene Rohlmann (Foto: N/A)

Europa tut sich schwer, den Nationalismus zu begraben. Muss, fragt Anne Goebel, dann auch noch die nationale Küche alte Grenzen neu ziehen?

Essen war immer schon ein heikles und emotionales Thema - man blättere, um einen Klassiker zu nennen, nur durch Savarins Standardwerk "Die echte französische Küche" aus den 1950er-Jahren. Ein erstaunliches Buch: zig Zubereitungsarten für ein einziges Stück Rindfleisch; Bohnen à la bretonne haben im eigenen Sud zu schmurgeln, wogegen sie à l'ardèchoise nach Knoblauch verlangen, und Welten liegen zwischen Schnecken Chabliser Art und denen aus korsischen Töpfen. So geht das seitenweise, hingebungsvoll gesamtpatriotisch - und Frankreichs Regionalgrenzen immer schön straff gezogen: In A braucht man keinem mit einem Pilz- oder Kapaun-Rezept aus B zu kommen.

Gut ein halbes Jahrhundert später, Europa bricht gerade auseinander wie ein extramürber Pâte-brisée-Keks, taugt die kulinarische Abgrenzung wieder zum Aufreger. Nationalgericht, das klingt nach Schüleraustauschprogramm in den Achtzigern, aber in etwa darum geht es: Erst erhitzte die Franzosen ein deformiertes Croissant, jetzt kämpft Italien um ein Pasta-Gericht. Gibt es in Rom und Paris keine drängenderen Probleme? Proteste gegen Hollandes Arbeitsmarktreform, der italienische Premier Renzi hatte wieder Misstrauensvoten zu überstehen - aber klar, statt dröge Innenpolitik zu verhandeln, ist es unterhaltsamer, in sozialen Netzwerken lukullische Heiligtümer gegen Angriffe von außen zu schützen.

Oft sind die Küchenschlachten eine pikante Spielart lang gehegter Feindschaften, wie beim Hummus-Krieg zwischen Israel und Libanon um die Herkunft der glorreichen Kichererbsenpaste. Ein englischer Supermarkt nimmt nur noch ungebogene Croissants ins Sortiment? Hohngeheul jenseits des Kanals. Jetzt "Carbonara-Gate" in Italien, weil ein französischer Blog etwas von Zubereitung der Spaghetti samt Eier-Käse-Masse in einem Topf faselte. Was soll man sagen, seither liegt das ganze Land von Bozen bis Palermo quasi im hysterischen Lachkrampf am Boden. Demnächst lassen die Rechtspopulisten in Polen bestimmt ihre glitschige Leibspeise Pierogi zum Weltkulturerbe erklären.

Aber ja, kulinarische Besserwisserei gehört ins 19. Jahrhundert und ist albern, übertrieben, überflüssig. Andererseits, ist es nicht auch ein bisschen - rührend? So viel beschauliche Kleinkrämerei in Zeiten globaler Superfoods könnte einem in schwachen Momenten beinah das Herz wärmen. Darauf trinken wir eine selbst gemachte Kräuterlimonade zum total regionalen Steckrübensalat!

© SZ vom 23.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: