Schön doof:Telefon, hol mich hier raus!

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Alle schimpfen, wenn jemand ständig aufs Handy schaut. Völlig falsch, findet Jan Stremmel: Das Smartphone erspart uns viel gequälte Unterhaltung.

Alle schimpfen, wenn jemand ständig aufs Handy schaut. Völlig falsch, findet Jan Stremmel: Das Smartphone erspart uns viel gequälte Unterhaltung.

Besonders grässlich ist der Mittelplatz im Flugzeug. Dreifache Angriffsfläche für sinnlosen Smalltalk: links, rechts und oben, von wo man ohnehin den sagenhaft überflüssigen Lautsprecher-Phrasen des Piloten ausgesetzt ist (oh, in Düsseldorf hat es wirklich zwei Grad mehr als in München?). Da hilft nur eines: Handy raus, Instagram auf, Mailprogramm auf, und, seufz, keiner erwartet mehr irgendeine Reaktion. Himmlische Ruhe im Kopf!

Man erntet mit dieser Art Selbsthilfe leider viel Unverständnis. Und gilt sofort als "Dauerhandygucker", "iPhone-Süchtling" oder, auf Langenscheidt-Jugenddeutsch, "Smombie" (Smartphone-Zombie). Jedenfalls jemand, der laut gängiger Volksmeinung vor lauter Displayglotzen "gar nix mehr von der echten Welt sieht", der sogar die große Liebe verpasst, wenn sie direkt vor seiner Nase im Aufzug steht! Dabei wird immer eines vergessen: Es ist sehr gut, manches im Leben zu verpassen. Zum Beispiel den strunzegalen Flugzeug-Smalltalk zwischen Sitz 12A und Sitz 12B. Und genau dafür sollten wir unser Smartphone lieben!

Früher, so stellt man es sich als Smombie zumindest vor, musste man jeden missglückten Gesprächsversuch, jedes unangenehme Schweigen und alle sonstigen sozialen Gelenkschmerzen eisern aussitzen. Was blieb einem schon übrig, wenn Kollege Dings mal wieder um 8.15 Uhr in den Fahrstuhl stieg und seine Montagmorgenfloskeln losließ? Lächeln, nicken, ja ja, unglaublich, gell, wirklich schon wieder Herbst . . . Und dann auf die Stockwerkanzeige starren, bis man aussteigen durfte? Grausige Vorstellung!

Gelobt sei da das Smartphone, das griffbereit in der Jackentasche liegt und seinen Besitzer - oh, Moment, das ist jetzt wirklich total wichtig - jederzeit höflich aus der Affäre zieht. Der Autor persönlich lässt montagmorgens im Aufzug sogar gerne gleich die Ohrhörer in den Ohren stecken, obwohl er gar keine Musik hört. Sollen sich doch die anderen Fahrstuhlinsassen, bestimmt überzeugte Smombie-Gegner, mit dem Überbrücken des Fahrstuhlgesprächs quälen, viel Spaß auch, ihr Alles-von-der-Welt-Mitbekommer!

Man mag es Misanthropie nennen, aber was die erzwungene Nähe zu Menschen angeht, hatte Schopenhauer mit seinem Stachelschwein-Gleichnis schon recht: Zu viel davon tut niemandem gut, sondern allen weh, geben wir's endlich zu! Und ein iPhone ist kein Gesprächskiller, sondern eine soziale Rettungsinsel. Und jetzt entschuldigt bitte, da vibriert was.

© SZ vom 24.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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