Schön doof:Scharf und betäubend

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Pünktlich zum Karnevalstreiben haben nicht nicht nur Kostüme und Straßenumzüge Saison, sondern auch nervige Anti-Kater-Tipps. Warum bloß, fragt sich Marten Rolff. Zu jedem anständigen Rausch gehört der Weltschmerz danach.

Von Marten Rolff

Die Karnevalswoche steht an, und das gibt Anlass zu einem Gedankenspiel: Wie wäre es, wenn man sich das Rosenmontagsbesäufnis von seiner Krankenkasse organisieren ließe? Die Idee dafür liefern die vielen freundlichen Service-Bulletins, die gerade wieder im kecken Partyton vor den Folgen des "feucht-fröhlichen" Feierns warnen - und die Tipps zur Katervermeidung ("Schlaue Jecken beugen vor!") zu einer Art Zehn-Punkte-Plan ausbauen.

Also los, die Zeit drängt, wer jetzt nicht einkaufen geht, ist zum Wochenstart schmerzhaft unvorbereitet. Zum Beispiel für das - vor der Kostümierung einzunehmende! - ausgewogene Grundlagenfrühstück. Zu empfehlen sind mineralhaltige Vollwertprodukte mit langsam abbaubaren Kohlenhydraten, der Saft basisch wirkender Zitrusfrüchte und, ja, ausnahmsweise Eier mit Speck, weil Salz und Fett die Alkoholaufnahme drosseln. Ebenfalls wichtig ist ein Vorrat an stillem Mineralwasser, das dem Körper für einen ausgewogenen Elektrolythaushalt während der gesamten Festivität in regelmäßigen Abständen zuzuführen ist, notfalls zwischen der kleinen Knutscherei mit Lisa und dem Freundschaftsjägermeister mit Michael. Krapfen und Kamellen sind derweil zu meiden, weil Zucker den Abbau des für den Kopfschmerz verantwortlichen Acetaldehyds hemmt. Soweit alles klar?

Das Problem ist doch, dass die wichtigen Fragen in der übel steigenden Flut der Anti-Kater-Tipps zu Silvester und Karneval nie beantwortet werden: Wer zur Hölle schafft es nach einem gepflegten Exzess, sich die Schläfen mit Minzöl zu massieren, in seiner Küche orientalische Hackbällchen zu frittieren, rohe Eier mit Tomatensaft runterzuwürgen oder sich den hämmernden Frontallappen mit artesischem Gletscherwasser aus Island zu kühlen? Und hat nicht jeder, der auf der Kölner Domplatte singend eine Flasche Wodka-Feige erledigt, genug Erfahrung, um halbwegs würdevoll auf einer Wiese neben den Rheinbrücken aufzuwachen?

Denn merke: Wo Enthemmung reguliert wird, ist keine Enthemmung. Der Anti-Kater-Tipp ist damit ein Widerspruch in sich. Das wusste schon der britische Lebemann Kingsley Amis. In seinem schönen Buch "Anständig trinken" schlug er gegen Kater(welt-)schmerz einst Kriegsgedichte von Thomas Babington Macaulay, einen kathartischen Heulkrampf zu Tschaikowskys "Pathétique" und eine Fahrt im offenen Propellerflugzeug vor. Was, Sie haben keine Propellermaschine? Na, so was! Aber genau darum geht es ja.

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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