Schön doof:Pünktchen, Pünktchen

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Früher waren Makel im Gesicht gefürchtet. Heute werden sie hergestellt. Anne Göbel begreift nicht, dass jetzt künstliche Sommersprossen dran sind.

Von Anne Göbel

Früher waren Makel im Gesicht gefürchtet. Heute werden sie hergestellt. Unsere Autorin begreift nicht, warum jetzt künstliche Sommersprossen dran sind.

Wenn es ein Wort gibt, das kein Mensch mehr hören oder lesen kann, dann ist es fake. Aber es geht jetzt um eine wirklich dringende Angelegenheit, bitte noch mal kurz ein Auge zudrücken: "Fake freckles" surren gerade als Frühjahrstrend durch die Netzwerke, auch "freckling" genannt, was nach Bohrmethoden der gewissenlosen Ölindustrie klingt. Es handelt sich aber um gefälschte Sommersprossen.

Ist das zu fassen! Erwachsene Frauen pünkteln sich mit dem Augenbrauenstift die Wangen- und Nasenregion, um trotz 16-Stunden-Tag und entgleister Life-Work-Balance auszusehen wie Heidi von der Alm. Frisch, jung, irgendwie unbekümmert. Oder, noch besser, das Tattoo-Studio tupft lebenslange "Sunkiss"-Tupfen. Ob das den gewünschten Erfolg bringt und worin der eigentlich genau bestehen soll, muss jede bleiche Großstadtpflanze selbst herausfinden. Jedenfalls ist es eine besondere Hinterlist der Beauty-Industrie, dass man jetzt keinem noch so reizenden Hautsprenkel mehr trauen kann.

Aber die eigentliche Frage ist: Kann vielleicht mal Schluss damit sein, jeden körperlichen Makel als das neue Ideal hinauszuposaunen? Es ist zwar schon eine Weile her, dass sich Frauen mit dubiosen Mitteln wie Schwanenweiß die als bäuerlich verschrienen Pigmentmuster aus dem Antlitz zu tilgen versuchten. Aber dass plötzlich nur schön sein soll, wer Isabelle Huppert ähnelt als rosig gepunkteter Unschuld in ihren ersten Rollen, ist schon eine absonderliche Volte.

Davor hatten wir: die große Nase von Sarah Jessica Parker als Zeichen für Klasse; die balkenschwarzen Augenbrauen von Cara Delevingne als oft und schlecht kopiertes Ich-bin-wild-Symbol. Natürlich Zahnlücken, von Lauren Hutton bis Vanessa Paradis, angeblich unwiderstehlich. Und schließlich: Segelohren. Das Model Molly Bair wird nach jedem Laufsteg-Auftritt für ihre abstehenden Lauscher - zugegeben, sie sind zierlich - gefeiert.

Der Hype um die kleinen Defekte lässt sich natürlich erklären als Gegenreaktion einer Trendmaschinerie, die dauernd massenhaft Bilder digital geschönter Körper und Gesichter produziert. Da steigt der Hunger nach Abweichung - und die Abweichung wird dann absurderweise für eine Weile selbst zur Norm. Wie wäre es mal wieder mit einem reinen, makellosen, fernen Schönheitsidol wie Grace Kelly? Diese Latte wäre so hoch, jede Frau könnte locker durchschlüpfen - und einfach mal sie selbst sein.

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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