Schön doof:Leben in Dunkelheit

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Illustration: Bene Rohlmann (Foto: Illustration: Bene Rohlmann)

Wer selbst nachts eine Sonnenbrille trägt, ist entweder ein Star oder eitel. Oder er hat wie Martin Wittmann eine OP hinter sich.

Von Martin Wittmann

Wer selbst nachts eine Sonnenbrille trägt, ist entweder ein Star oder eitel. Oder er hat wie Martin Wittmann gerade eine Operation hinter sich. So eine neue Perspektive kann aber überraschend erhellend sein.

Für berühmte Menschen ist die Sonnenbrille kein Accessoire, sondern ein zusätzliches Organ. Stars schützen damit ihre heiligen Augen vor bürgerlichen Blicken. Auch den Verdruss darüber, sich die Welt mit nahbaren Normalos teilen zu müssen, verbergen sie hinter den dunklen Gläsern. Ob tatsächlich die Sonne scheint, ist Elton John oder Karl Lagerfeld dabei einerlei. Unter den Menschen, die ihre Sonnenbrillen derart wetterunabhängig aufsetzen, sind aber auch etliche, die nicht berühmt sind, sondern nur bekannt, und das auch nur in ihrem Bekanntenkreis. Das wirkt dann oft genau so: aufgesetzt. Sonnenbrillenträger sind entweder Geblendete oder Blender.

Ich fand es immer unlogisch, sich winters über die Dunkelheit zu beschweren, nur um sich dann frühlings vor den ersten hellen Strahlen zu fürchten wie ein Maulwurf. Deshalb habe ich eigentlich nie eine Sonnenbrille getragen - bis jetzt.

Ich war kurzsichtig und habe mich lasern lassen. So eine Operation am offenen Auge ist heute ein Klacks. Der Patient wird wie in "Clockwork Orange" auf dem Bett fixiert, mit rostigen Drähten. Von einem Zischen begleitet, fährt eine Ärztin in Fleischerschürze ihr Lichtschwert hoch. Das Schwert nun genau in die Pupille zu rammen, ist einfach, beim Zielen hilft die Anatomie (nicht umsonst heißt die Mitte der Dart-Scheibe Bullseye). Einmal drin, rührt die Ärztin heftig in der Linsensuppe und setzt, je nach Dioptrienzahl, ein Schmirgelpapier oder eine Flex an, um die Sehstärke zu korrigieren. Der Augapfel sieht nun aus wie das Apple-Logo. Der Patient wird alsbald abgeschnallt, weil die rostigen Drähte zum Vernähen der Wunde gebraucht werden. So lief das ab, glaube ich.

Seit 14 Tagen sehe ich also scharf wie nie, und das schmerzfrei. Allerdings sind die Augen immer noch blutunterlaufen bis blutüberlaufen und den Mitmenschen schwerlich zuzumuten. Im Spiegel sehe ich einen Zombie. Deshalb verstecke ich die Augen hinter dunklen Gläsern. Wetterunabhängig.

Die Erkenntnisse dieses Schau-Prozesses sind bisher faszinierend, auch wenn jetzt immer alles nach Herbst aussieht. Morgens ist man in der Krippe der gruselige Mann mit Sonnenbrille, der zwischen den Kindern herumsteht; aber wenn man die Wahl hat zwischen misstrauischen Eltern und traumatisierten Kinder, schützt man doch lieber die Kleinen. Untertags sind die Bürokollegen interessiert, die Freunde amüsiert und die Interviewpartner doch recht erstaunt - jetzt kommen also schon die Reporter mit Starallüren zum Termin. Wenn man Glück hat, ist der Gegenüber ebenfalls augenoperiert (wie etwa der Autor Irvine Welsh). Da ist das Eis schneller gebrochen als eine Iris aufgelasert. Und abends wird man natürlich für den größten Trottel auf Erden gehalten. Oder eben für einen Star. Auf jeden Fall ist das Leben jetzt ein anderes.

Verglichen mit dem exotischen Blick durch die neue Sonnenbrille ist das neue Scharfsehen übrigens unspektakulär. Die Brille ist tot, es lebe die Brille.

© SZ vom 25.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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