Schön doof:Franzens Deutschstunde

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Illustration: Bene Rohlmann (Foto: N/A)

Ein Verehrer freut sich auf Jonathan Franzen. 1200 Zuhörer freuen sich mit Martin Wittmann. Doch der Amerikaner gibt leider mit Holper-Deutsch an.

Ein Oktoberabend in München, aber nicht irgendein Oktoberabend. Im Herkulessaal warten 1200 Zuhörer auf den Meister. Wer seine Bücher gelesen hat, "Die Korrekturen" oder "Freiheit", der erhofft sich vom Auftritt eine Lehrstunde in Gesellschaftskritik und Psychologie, eine Demonstration der Klugheit und der Sprachgewalt, auf alle Fälle genug Genialität, um einen Babysitter zu engagieren; damit am Ende Frau und Mann vom Abend zehren können. Käme nur einer in den erhellenden Genuss, könnte das die atmosphärische Balance im Haushalt empfindlich stören. Wie so was dann aussieht, ist bei Franzen auf jeder zweiten Seite nachzulesen.

Gleich ergreift Franzen, aber eben nicht irgendein Monaco Franzen, sondern eben Jonathan Franzen, das Wort, besser: sein Wort, die Wörter gehören ihm ja praktisch. Wie kein Zweiter kann der Amerikaner in die Köpfe von uns Menschen schauen und aufschreiben, was er dort Widersprüchliches findet. Deswegen: Ehrfürchtige Stille beim Warten auf sein erstes Wort (einzig, wer einen Babysitter daheim hatte, hörte permanent ein Davonrollen großer Münzen; aber gut, es ist ja nicht irgendein Oktoberabend). Aber als Franzens Wort endlich kommt, ist es wie die allermeisten folgenden an diesem Abend: ein deutsches.

Der Sprache sei er mächtig, weil er einige Zeit in München und Berlin verbracht habe, sagt er. Wobei mächtig relativ ist. So manche Fußballtrainer, nicht nur die ausländischen, würden Franzen beneiden um Grammatik und Wortschatz. Aber die verdienen ihren Ruhm auch nicht mit Schreiben, sondern mit Schreien.

Franzen liest aus seinem sicherlich großartigen neuen Buch "Unschuld", aber er hört sich dabei vor lauter Mühe - was ein Zeugnis: er, Franzen, hat sich bemüht um die korrekte Aussprache - an wie Stephen Hawkins Sprachcomputer. Die Fragen nach großen Themen wie Schuld, Liebe, Familie beantwortet Franzen: großartig für einen gemeinen Deutschschüler, aber absolut unbefriedigend, ja lächerlich beschränkt für den Herrn über diese Themen. Verkrampft hängt man an seinen Lippen, gepeinigt vom Impuls, einem Wortsucher beim Finden helfen zu wollen. Wortsucher Franzen! Man würde jetzt gerne mal in seinen Kopf zurückschauen. Ist da Ignoranz? Selbstüberschätzung? Falsche Höflichkeit? Langeweile? Der Abend ist jedenfalls eine Qual, eine Vergeudung von Intellekt (bei Franzen) und Geld (an den Babysitter). Zeitverschwendung ist er indes keine, spart man sich doch viele Stunden der Lektüre - weil die Event-Moderatorin auch noch den Schluss von "Unschuld" verrät.

Auf dem Heimweg sagt die Frau zum genervten Mann: Stimmt, das Deutsche sei schwierig gewesen - Franzens Gestöpsel meine sie damit indes nicht. Vielmehr sei es schon sehr deutsch, sich so über den Autor aufzuregen: Während Franzen in anderen Kulturen für seine Landessprachkenntnisse bewundert würde, wolle der Deutsche eine zählbare Leistung für sein Geld.

Wahrscheinlich hat sie auch noch recht. So viel zur atmosphärischen Balance.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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