Produkt-Nostalgie:Die guten alten Dinge

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Märklin, Schiesser & Co: Das Original geht pleite, die Kopie triumphiert: Von der Sehnsucht nach juchtenledernen Abziehriemen und holzverschalten CD-Playern.

Hilmar Klute

Wie es aussieht, sind inzwischen sogar manche gute alte Witzsorten aus dem Bewusstsein verschwunden. Wenn zum Beispiel früher etwas kaputtgegangen ist, von dem man annehmen sollte, dass es ewig halten müsse, hielt man die Scherben, Einzelteile oder was auch immer in die Höhe und feixte hochironisch: "Deutsche Wertarbeit".

Die gute alte Märklin-Eisenbahn: Nichts mehr für die kleinen Jungs von heute. (Foto: Foto: dpa)

Kein Mensch kommt heute mehr auf diese altertümliche Formel, weil sich deutsche Wertarbeit bekanntlich kaum noch kostendeckend herstellen lässt, jedenfalls nicht in Deutschland. Eine Zeitlang lang haben wir alle billig gekauft, nun ist das Maß voll: Namen, die einst für deutsche Wertarbeit standen, stehen heute auf den Pleitelisten. Märklin, Rosenthal, Schiesser - sie sind bereits in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen verabschiedet worden, auch wenn bei einigen versucht wird, ihnen mittels Insolvenzverfahren neues Leben einzuhauchen.

Aber jetzt mal eine andere Frage: Was haben uns all diese Marken überhaupt bedeutet, und wieso hängen wir so eigentümlich an den alten Dingen, als stünden wir mit einem Bein in der Vergangenheit? Die Märklin-Bahn ist doch aus heutiger Sicht ein eher niedliches Spielzeug, weil sie so hoffnungslos analog war und völlig ohne USB-Stick und Soundkarte funktionierte. Kein Junge könnte sie im iPod-Zeitalter noch bedienen.

Und das Geschirr von Rosenthal hatten die Eltern zuletzt überreicht, als die Kinder Hochzeit feierten und für die unsichere Zukunft ein bisschen was Bewährtes im Küchenschrank haben sollten. Was schließlich die Schiesser-Unterwäsche betrifft - es gibt Eleganteres als diese weiße und etwas angestelltenhafte Baumwollkultur. Kaum einer kaufte offenbar diese Dinge, aber alle rufen, mein Gott, wieder ist ein deutsches Original verschwunden!

Die moderne Form der Bonbonlutsch-Tradition

Dabei unterhalten die Deutschen doch inzwischen eine eigentümlich verdrehte Liebe zum Originalen respektive Bewährten. In der Fernsehwerbung gibt es seit Jahren die Reklame für ein Karamellbonbon, das früher "Werther's Echte" hieß. Das Altvordere, fast Adenauerhafte dieses Markennamens wurde personell von einem Großvater und seinem Enkel repräsentiert. Der Alte erklärt dem Jungen, was es mit der Überlieferung der Süßigkeit auf sich hat; dass nämlich schon sein Opa ihm dieses Klümpchen anempfohlen habe - das Bonbon geht also seit Generationen erfolgreich und geschmackssicher von Mund zu Mund.

"Werther's Echte" heißt heute "Werther's Original" und wird in der Werbung von einer jungen Frau in Feierabendstimmung empfohlen, die sich fast um Kopf um Kragen redet, weil sie den Spagat zwischen dem Überlieferten und dem Zeitgemäßen hinbekommen muss. In ihrer locker analytischen Werbeagentin-in-Stand-by-Modus-Rhetorik kommt sie darauf, dass es sich hier um die ganz moderne Form der Bonbonlutsch-Tradition handeln muss.

Olle Kamellen transportieren den Geschmack einer Epoche, von der man glaubt, dass sie besser, ehrlicher und solider war. Die Ladenkette Manufactum macht mit dieser vagen Empfindung Jahresumsätze im 100-Milliardenbereich, und man kann es kaum fassen, dass die Leute wirklich Jennerwein-Filzhüte und Umhänge für Hunderte Euros kaufen; dass sie allen Ernstes Schuhwichse, Rasiermesser und eine Büchse "Eintopf mit Fleisch vom Limpurger Ochsen aus Hohenlohe" für abenteuerliche Summen mit nach Hause nehmen.

Sie kaufen historische Telefone; sie kaufen historisches Brot. Sie kaufen Grubenöllampen für 135 Euro. Sie kaufen sogar die gute alte Brillantine, die sich heute außer Karl-Theodor zu Guttenberg kein Mann mehr ins Haar streicht.

Wir sind heute auf so absurde Art in die guten alten Dinge verliebt wie die Thailänder in Bhumibol. Die unbeschreibliche Hässlichkeit des holzverschalten Tivoli-Musiksystems übersehen wir zugunsten der Aura von Solidität, welche das Gerät ausströmt. So ähnlich muss auch der Vintage-Trend funktionieren, die Neigung also, Kleidung zu reproduzieren, die vor zwanzig, dreißig, ja, vierzig Jahren up to date war. "Ich trage einen nachgemachten Pfeffer-und Salz-Mantel, weil der in einer Zeit en vogue war, da es wirtschaftlich aufwärts ging und alle Rock 'n' Roll tanzten." So etwa.

Käufliches Heilsversprechen

Der Philosoph Günter Anders spricht in seinem großen Essay "Die Antiquiertheit des Menschen" von der "industriellen Reinkarnation, das heißt der Serienexistenz der Produkte". Jedes zerbrochene Stück wachse an seiner Modellidee fort, so beschreibt Anders das Wesen der spätmodernen Industrieproduktion.

Die Modellidee der guten teuren Dinge bei Manufactum beinhaltet eine Art Heilsversprechen für Konsumenten, die glauben, dass sie mit dem Kauf des "Abziehriemens Juchtenleder" neben der Klinge auch die Sinne schärfen für das, was einst gut und wahrhaftig war und auf immer sein wird. Der Abziehriemen Juchtenleder ist, um noch ein letztes Mal mit Günter Anders anzurücken, "ewig geworden durch seine Ersetzbarkeit".

Zu Recht kommen einem Männer, die ein Rasiermesser vor dem Rasieren mit einem Abziehleder schärfen, antiquiert vor. Diese Herren glauben ja, dass schon in der Umständlichkeit der Handhabung eine spitzenmäßige Kulturtechnik stecke. Aber in Wahrheit wollen wir nicht umständlich sein, wenn wir das Bewährte verehren. Deshalb wird von den alten Dingen oft nur die Hardware geliefert, der Kern ist zeitgemäß und effektiv.

Wie viele hochgetunte CD-Player stecken heute in einem Volksempfänger-Gehäuse? Wie viele Tischleselampen, die aussehen wie auf einem Gemälde des Biedermeier-Interieurmalers Georg Friedrich Kersting haben in Wahrheit Halogenleuchten? Und das klobige schwarze Telefon mit dem Philip-Marlowe-Charme hat einen ISDN-Stecker und taugt überhaupt nicht für Erpresserszenen, in denen mit einem Ruck das Kabel aus der schlecht verputzten Wand gerissen wird.

Vom guten alten Degenhardt gibt es ein giftiges Lied über einen Typen, der stets das Echte sucht, aber immer bloß billige Nachbildungen erwischt. "Das Original will ich, nicht die Kopie", lautet der Refrain. Aber der stimmt ja gar nicht mehr, weil wir heute doch bitte lieber die Kopie vom Alten hätten.

© SZ vom 13.02.2009/bre - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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