Preise fürs Lebenswerk:"Generation Dorian Gray"

Lesezeit: 3 min

Boris Becker und Die Ärzte erhalten Preise für ihr Lebenswerk. Sie sind dafür viel zu jung - oder etwa nicht?

Jürgen Schmieder

Als der Regisseur Robert Altman im März 2006 den Ehrenoscar für sein Lebenswerk überreicht bekam, hielt er eine lustige wie denkwürdige Rede. "Ich dachte immer, dieser Oscar bedeutet, dass es vorbei ist", sagte er. Dann lächelte er: "Doch nun habe ich realisiert, dass es nicht vorbei ist." Er habe bei einer Transplantation das Herz einer jungen Frau bekommen. "Sie haben mir diesen Award womöglich zu früh gegeben. Ich habe wohl noch gute 40 Jahre vor mir und die will ich nutzen." Der 81-jährige Regisseur starb acht Monate später.

Boris Becker und Farin Urlaub: Auszeichnungen fürs Lebenswerk. (Foto: Foto: dpa, AP)

Eine Auszeichnung für das Lebenswerk honoriert die Leistung einer bedeutenden Karriere, ja eines bedeutenden Lebens im jeweiligen Bereich. Deshalb ist das Alter der Geehrten meist fortgeschritten. In diesem Jahr etwa erhielten Burt Bacharach, 80, und Doris Day, 86, den "Grammy Lifetime Achievement Award". Der Moderator Regis Philbin, 77, bekam den Daytime Emmy Award für sein Lebenswerk. In Deutschland wäre am Wochenende Marcel Reich-Ranicki, 88, für sein Lebenswerk mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden - er lehnte jedoch ab.

In der vergangenen Woche wurde bekanntgegeben, dass auch der ehemalige Tennisspieler Boris Becker für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird. Auf dem Deutschen Sportpresseball wird er am 1. November als "Legende des Sports" geehrt, wie die Veranstalter mitteilten. Boris Becker ist 40 Jahre alt. Nur kurz darauf erschien die Meldung, dass die Punkband Die Ärzte den WDR-Radiopreis bekommen - ebenfalls für das Lebenswerk. Die Band selbst ist 26 Jahre alt, was zwar einem Musik-Methusalem gleichkommt, dennoch hat die Band ein Album in den Charts und gerade eine Tournee beendet. Es sieht noch nicht so aus, als würde sie bald in Rente gehen.

Die Auszeichnungen für Becker und Die Ärzte wirken wie eine Antithese zu einer Gesellschaft, in der es verboten zu sein scheint, älter zu werden. Die "Generation Dorian Gray" verlangt, mit 50 Jahren noch in die Disco zu gehen und mit 60 Jahren einen Marathon zu absolvieren. Da wirkt der Lebenswerk-Award für einen 40-Jährigen fast wie Hohn. Wenn das so weitergeht mit der Juvenilisierung der Lebenswerk-Awards, dann muss man sich auf einiges gefasst machen. Tokio Hotel sind dann heiße Anwärter bei der nächsten WDR-Radiopreis-Verleihung und Rennfahrer Sebastian Vettel beim Sportpreis. Denn diese Auszeichnung bedeutet für den Geehrten nämlich auch: Das Bedeutendste in deinem Leben hast du geleistet, es wird von nun an nicht mehr besser.

Das erkannten auch die Beach Boys, als ihnen im Jahr 1999 der Grammy für ihr Album "Pet Sounds" verliehen werden sollte - 33 Jahre nach dem Erscheinen. Brian Wilson lehnte empört ab, er soll gesagt haben, dass er da schon lieber die Auszeichnung fürs Lebenswerk hätte. Die bekam er dann ein Jahr später.

Aber wie soll man mit diesem Award umgehen, dessen Trophäe einem ins Gesicht schleudert, dass es nun endgültig vorbei sein soll mit der Karriere? Die Ärzte haben kein Problem damit, sie machen einfach weiter. Anders bei Boris Becker: Der kann nun mal keinen Tennisschläger mehr in die Hand nehmen, eine Sportlerkarriere ist nun mal vorbei, wenn der Körper keine Leistung auf höchstem Niveau erbringen kann. In einem Interview sagte er kürzlich nicht ohne Wehmut: "Ich werde nie mehr das Gefühl eines Matchballs in Wimbledon haben."

In der Ankündigung der Frankfurter Sportpresse stand auch der Satz: "Natürlich wird es sich der frühere Tennisstar nicht nehmen lassen, die Auszeichnung in der Alten Oper persönlich in Empfang zu nehmen." Becker wird auf die Bühne schreiten und sich artig bedanken. Ob er sich jedoch wirklich darüber freut, ist zu bezweifeln.

Bob Hope übrigens erhielt den Ehren-Oscar vier Mal - das erste Mal 1940, da war er 37 Jahre alt. Als er den Preis erhielt, lächelte er und verkündete, noch einiges vorzuhaben. 1964 erhielt er als 61-jähriger die vierte Auszeichnung "für besondere Verdienste um die Academy". Da fühlte er sich reif genug - und fand auch, endlich genug dafür getan zu haben.

Boris Becker hat also noch Zeit. Für ein zweites Lebenswerk in einem anderen Bereich. Nur muss er sich nun etwas suchen, das er ähnlich gut kann wie Tennisspielen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: