Post aus Israel:Epi(b)log aus Tel Aviv

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Sieben Monate hat unsere Autorin Post geschickt. Beobachtungen aus Jerusalem und Tel Aviv über junges Leben, radikale Politik, Schatten der Vergangenheit. Jetzt reist sie ab - mit gemischten Gefühlen.

Julia Amalia Heyer

Neulich, als ich wieder einmal zwischen Tauben und Russen am Strand saß, habe ich mir überlegt, wie man das wohl macht, eine letzte Kolumne schreiben. Wie man elegant und mit Mehrwert das Erlebte resümiert und das "last" (aber selbstverständlich not least) an den Leser möglichst originell formuliert. Wie man sieben Monate Nahost klug, differenziert und ein bisschen nett zusammenfasst.

"Hat Spaß gemacht, war nicht immer einfach." (Foto: Foto: Heyer)

Und während die Tauben gurrten, die Russen lachten und sich ein Golden Retriever neben mir das Wasser aus dem Zottelfell schüttelte, gestand ich mir ein, bei diesem hehren Ziel passen zu müssen. Und entschied mich für die israelische Art: einfach direkt, gradeaus, voll drauf.

Das ist die letzte Post. Hat Spaß gemacht. War nicht immer einfach. Mancher trivial-journalistische Leitfaden funktioniert hier einfach nicht. Zum Beispiel der: "Man soll den Leser da abholen, wo er sich befindet."

Was Israel, Palästina, "Kernland" oder "Gebiete" angeht, ist das schlicht unmöglich. Jeder, der sich für diese Region interessiert, tut das aus sehr unterschiedlichen Gründen. Vielleicht war er oder sie selbst hier. Vielleicht hat er oder sie in einem Kibbutz Wassermelonen auf Lkws gehievt oder Erdbeeren in Bastkörbchen gelegt. Vielleicht hat er oder sie sich mit Kefije, Palituch, um Hals oder Kopf bei einer der zahllosen NGOs in Ramallah engagiert. Wollte den Altar der Stabat Mater in der Grabeskirche zu Jerusalem berühren oder sich im Breakfast-Club in Tel Aviv weißes Pulver durch einen 200-Schekel-Schein in die Nase ziehen. Alles möglich.

Wer eine gewisse "Informationsaffinität" für Nahost entwickelt oder behalten hat, ohne dass er/sie hier war, muss ein besonders harter Brocken sein: Trotz jahrelanger Vakuumphrasen wie "Friedensprozeß, -gipfel, -plan" und so fort. in der Berichterstattung, hat er/sie das Handtuch nicht geworfen und sich jeden Tag aufs Neue der Einbahnstraßen-Nachrichtenlage gewidmet. Und sich dabei höchstwahrscheinlich einen eigenen Standpunkt angelesen.

Leicht befremdlich finde ich, dass dieser "Lektüre-Standpunkt" mitunter mit mehr Verve vertreten wird, als jemand mit "Feld-Erfahrung" je mit der eigenen kleinen Sicht auf die Dinge hausieren gehen würde.

Der Anwalt des Teufels

Fest steht: Der Aufenthalt in dieser Region dient nicht gerade dazu, eine à priori festgefertigte Meinung von der Realität absegnen zu lassen. Eher spielt man mit seiner Einstellung bei all den Begegnungen hier "Bäumchen wechsel dich". Ich liebe sie, die Diskussionen mit Israelis oder Palästinensern. Man hat einen Argumentationsfaden. Man kann advocatus diaboli spielen. Ich hasse sie, die Gespräche mit anderen "Expatrierten". Wo sich die Katze beim Taking-sides-Dilemma in den Schwanz beißt.

Noch was: Beim Recherchieren, wie andere Menschen ihren Aufenthalt in Nahost resümiert haben, fiel die Schlussfolgerung öfters wie folgt aus: "Die Menschen hier sind weiter als ihre Politiker". Finde ich nicht. Wie könnten sie auch. Bei dem, was Friedensprozess, -gipfel, -plan, whatever, genannt wird, fällt der Alltag mit möglichen Berührungspunkten zwischen beiden Völkern völlig unter den Tisch. Sprich: Es gibt ihn nicht.

Bereits innerhalb der Grünen Linie gilt: 50 Prozent der jüdischen Israelis wollen nicht in der Nähe arabischer Israelis leben. Das hat die Universität Haifa bei einer Umfrage ermittelt. Wie es dann mit der Toleranz für den jeweils anderen diesseits und jenseits der Sperranlagen aussieht, kann man allenfalls ahnen ... Lässt aber wenig Raum für Euphemismen. Die Palästinenser, die ich kennengelernt habe - ob in Israel oder den Gebieten - äußern sich vorsichtiger. Das mag daran liegen, dass sie freundliche, aufgeklärte Menschen sind. Das kann aber auch daran liegen, dass sie situationsbedingt am kürzeren Hebel sitzen.

Und dass Menschen auf beiden Seiten, die sich tagtäglich qua Profession mit dem Konflikt beschäftigen - für Hilfs- oder Menschenrechtsorganisationen arbeiten - weiter sind als das Gros der "Breit-Interessenvertreter", ist anzunehmen und bleibt zu hoffen!

So. Jenseits der persönlich-politischen Horizonterweiterung, die zugegebenermaßen viel Platz einnimmt, sind die Bereicherungen mannigfaltig: Ich habe gelernt "Juden" zu sagen. Ich laviere nicht mehr semantisch um das "Angehörige jüdischen Glaubens" herum. Nach dem recht totalitären Schabbatdiktat freue ich mich ein bisschen auf den deutschen Sonntag. Die israelische Direktheit wird mir fehlen. Ganz ehrlich. Samt Komplimenten der Art: "Du bist nicht mehr so fett wie im Winter. Hast du aufgehört, jeden Tag Hummus zu essen?" Ja, habe ich. Ich kann den Kichererbsenbrei nicht mehr sehen.

Und weiß, ich werde mich danach verzehren, bin ich erst wieder zu Hause.

Unsere Autorin hat uns jeden Dienstag Post aus Israel geschickt. Von Oktober bis April berichtete sie aus einem Land, in dem sie fast nie umhin kam, über Politik zu schreiben, auch wenn sie vom Leben an der Uni, den Partys am Strand oder Ausflügen in die Wüste schrieb. Wir haben ihre spannenden Briefe gesammelt - Sie können sie in unserem Spezial "Post aus Israel" nachlesen. Bookmark: www.sueddeutsche.de/israel. Der Aufenthalt der Autorin wurde gefördert von der Herbert-Quandt-Stiftung.

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