Pirelli-Kalender 2009:Die Spur der Beine

Lesezeit: 3 min

Frauen vor Flusslandschaften, Models auf Safari: Warum der Pirelli-Kalender auch im 45. Jahr noch immer ein Objekt der Begierde ist.

Christian Mayer

In der Welt der Werbung arbeiten Heerscharen von Kreativen, die sich täglich darüber den Kopf zerbrechen, wie sie ihr Produkt, ihre Marke unverwechselbar machen.

Lippen, Wasser und viel nackte Haut: Der Pirelli-Kalender hat treue Fans. (Foto: Foto: Pirelli)

Immer geht es darum, der Mittelmäßigkeit zu entkommen, eine Kampagne zu erfinden, die nicht verpufft: Wenn aus einem rauchenden männlichen Model der Marlboro-Mann wird oder aus dem Satz "Geiz ist geil" ein populäres Zitat, dann haben es die Marketingleute geschafft.

Oft sind die einfachsten Mittel die erfolgreichsten, wie das Beispiel Pirelli zeigt. Seit nunmehr 44 Jahren vertraut der italienische Reifenhersteller auf eine Form der Werbung, die sich der Konkurrenz entzieht. Der Pirelli-Kalender, dessen Ausgabe für 2009 am Donnerstag mit viel Brimborium in einem Berliner Bahnhof präsentiert wurde, ist längst ein Sammlerstück, weil man es nicht im Laden kaufen kann.

Die Mädchen von Pirelli sind selbst zur Marke geworden. Das Original bleibt Kunden und Geschäftspartnern vorbehalten - ein Präsent für Liebhaber aus der Manageretage, die sich gerne mit Kunst, aber auch mit jungen Frauen umgeben.

Schöne Körper in Botswana

Entsprechend großspurig feiert der Mailänder Konzern die alljährliche Kalender-Enthüllung. In der aktuellen Ausgabe durfte der New Yorker Künstler Peter Beard Schönheiten vor afrikanischen Landschaften in Szene setzen.

Zehn Tage lang war der Fotograf mit Models in Botswana unterwegs. Der Siebzigjährige ist mit farbenprächtigen Collagen, verfremdeten Erinnerungsfotos und seinem übermalten Tagebuch bekannt geworden, eine ungewöhnliche Wahl für einen Pirelli-Porträtisten.

Beard, der schon vor mehr als dreißig Jahren das Aussterben von Wildtieren dokumentierte, hat eine ganz andere Vorstellung von erotischer Inszenierung als der durchschnittliche Sammler, der sich wohl mehr für nackte Haut begeistert.

Die eigentlichen Models sind bei ihm die Elefanten, "göttliche Geschöpfe", wie er sagt, deren Lebensraum immer kleiner wird. "Only beauty can save the world" lautet seine Überzeugung, frei nach Dostojewski, und so sehen wir in der Ausgabe 2009 unter anderem zwei Mädchen, die sich am Stoßzahn eines Dickhäuters festhalten.

Faltige Elefantengesichter neben Badenixen, die im Okavango-Delta Abkühlung suchen - das ist typisch Beard. Schließlich hat er sich selbst in einem berühmten Bild als besessenen Künstler dargestellt, der sogar noch dann weiterschreibt, wenn er schon halb im Rachen eines Krokodils steckt. Als Schauplatz für seine Auftragsarbeit hat der Abenteurer Beard unter anderem die Kalahari-Wüste gewählt.

Schlangen und Löwen tauchen auf den Blättern auf, so dass man beinahe eine Abkehr vom erotischen Prinzip vermuten könnte. Pirelli-Chef Marco Troncetti findet das alles natürlich äußerst gelungen: "Das ist der beste Kalender, den ich je gesehen habe", sagte er in Berlin.

Einer der besten Kalender, darin sind sich Kenner einig, ist noch immer der Erstling von 1964, aufgenommen vom Beatles-Fotografen Robert Freeman. Es sind ganz einfache Strandbilder, die damals Eindruck machten: ein Mädchen vor dem ungeheuren Blau des Meeres, das die Füße in den Sand streckt und auf einen rätselhaften Schatten zuläuft; ein paar Details von Beinen, eine Frau mit geschlossenen Augen, die sich ihren Träumen hingibt.

Die Verheißung eines Sommers - damit begann die Edition, und man spürt in jedem Bild von Robert Freeman die Verspieltheit und den etwas naiven Geist der frühen Sechziger.

Auf der nächsten Seite: Die Verheißung des Sommers

Pirelli-Kalender 2009
:Posieren mit den wilden Tieren

Der neue Pirelli-Kalender ist auch etwas für die Tierfreunde dieser Welt: Die Models räkeln sich für das Werbegeschenk des Reifenherstellers zwischen Elefanten.

Die Verheißung des Sommers

Laut Pirelli-Kalender kann man mit Elefanten ganz viel Spaß haben. (Foto: Foto: Pirelli)

Der Kalender lässt sich immer auch als historische Quelle für den jeweiligen Zeitgeschmack begreifen. Ende der sechziger Jahre triumphiert etwa eine Bardot-hafte Sinnlichkeit, wobei erstmals auch muskelbepackte Männer mit Surfbrettern die Pirelli-Welt erobern. Die Models rösten in der Sonne und lutschen Wassereis, Kalifornien ist überall.

In den Siebzigern treibt Fernweh die Fotografen um, auf den Bahamas und auf Jamaika entstehen Motive, die man aus der Werbung kennt: tiefgebräunte Körper, auf denen sich Sand abzeichnet, Sonnenuntergänge mit Sexappeal.

Nachdenkliche Mädchen in ihren Wohnzimmern posieren im gleichen Stil wie Carla Bruni heute auf ihren CD-Covern, Nacktheit ist weichgezeichnet oder exotisch überhöht.

1972 ist dann die erste nackte Brust zu sehen - fotografiert von Sarah Moon. Überhaupt gewinnt jetzt die Oberfläche an Bedeutung, als sich die Playboy-Ästhetik durchsetzt. In der Ausgabe von 1974 wird der Betrachter von einem knallroten Kussmund geradezu erdrückt.

Und das war's dann auch, denn im selben Jahr stellt das Unternehmen, von der Ölkrise getroffen, die Produktion ein - die Reifen laufen weiter vom Band, die Pirelli-Mädchen müssen konjunkturbedingt pausieren.

Riefenstahl und Newton

Die treuen Sammler erleben erst 1984 eine Wiederauflage. Inspirieren lassen sich die Fotografen vom Hedonismus und Konsumgeist einer neuen Generation von Kapitalisten. Aus dem schüchternen Mädchen wird die eiskalte Verführerin, die sich unterm goldenen Kronleuchter am eigenen Glanz berauscht.

Man spürt den Einfluss des Künstlers Helmut Newton, der ja auch aus der Kälte kam. Der Fotograf von 1990, Arthur Elgort, schreckt nicht vor einer Hommage an Leni Riefenstahl zurück: Auf seinen Schwarz-Weiß-Bildern müssen Models als antike Athletinnen posieren, wobei die Bilder von knapp beschürzten Amazonen beim Schwertkampf heute doch sehr albern wirken.

Seit den neunziger Jahren dominiert die neue Klasse der Topmodels. Starfotograf Richard Avedon durfte beispielsweise mit Nadja Auermann, Naomi Campbell, Farrah Summerford und Christy Turlington einen sehr verspielten Kalender gestalten.

Annie Leibovitz verweigerte sich jeglichem Voyeurismus und zeigte Frauenakte als fotografierte Gemälde. Und Peter Lindbergh verlegte das Shooting nach Hollywood, seine Mädchen spazieren im Scheinwerferlicht über nassen Asphalt.

Es stimmt schon, was die Kritiker sagen: Zwischen Kunst, Künstlichkeit und Kitsch ist es bei diesem Hochglanzprodukt ein schmaler Grat. Was den Herausgebern aber vielleicht nicht so wichtig ist, denn als Marketinginstrument, das die Schaulustigen befriedigt, ist der Pirelli-Kalender schlicht unschlagbar.

© SZ vom 21.11.2008/bre/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: